Zu einer Gesprächsrunde über das Span- nungsverhältnis von Antisemitismus und Islamophobie, hatte gestern die Salaam-Schalom Initiative zusammen mit der Bür- gerstiftung Neukölln in den Neuköllner Leuchtturm eingeladen. „Wie wird Anti- semitismus (nicht) instrumentalisiert?“, fragten die Veranstalter und fanden damit so viel Publikumsinteresse, dass kein Stuhl des Ausstellungs- und Begegnungs-zentrums im tiefsten Nord-Neukölln leer blieb. Eine eindeutige Antwort gab es an diesem Abend nicht. Dafür aber einen umfassenden Einblick, was Berliner Juden, die nicht meinen, dass Neukölln wegen gewaltbereiter Moslems eine No-Go-Area für sie sei, bewegt.
Der israelischstämmige Shahak Shapira (2. v. l.) wurde in der Neujahrsnacht von mutmaßlich arabisch- oder tür- kischstämmigen Jugendlichen angegriffen: Eine sieben-köpfige Gruppe hatte in der U-Bahn zwischen den Stationen Hallesches Tor und Friedrichstraße zunächst „Fuck Israel“ und „Fuck Juden“ gegröhlt, dazu rhythmisch geklatscht und mit den Füßen gestampft. Zwei Augenzeugen, die Shapira nicht kannte, baten die Gruppe, damit aufzuhören – während die übrigen Fahrgäste schwiegen und sich nicht einmischten. Shapira filmte die Szene mit seinem Handy. Als er sich gegenüber den Jugendlichen weigerte, das Video zu löschen, kam es auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße zur Schlägerei. „Die Leute wussten nicht, dass ich jüdisch bin. Dass sie mich als Juden erkannt haben, kann nicht sein“, ist der rothaarige Mann, der seit einigen Jahren in Deutschland lebt und akzentfrei Deutsch spricht, sich sicher: „Die Schlägerei fand vor allem statt, weil ich das Video gemacht habe.“ In den Medien wurde der Vorfall dagegen nur verkürzt dargestellt: Shapira sei gezielt als Jude angegriffen worden, der Fall ein weiteres Beispiel eines gewalttätigen Antisemitismus, der von jungen muslimischen Männern ausgehe. Obwohl Shapira das Verständnis für die Fuck-Rufe der Angreifer fehlt, war es ihm ein Anliegen, den Tathergang zunächst über seine Facebook-Seite richtig- zustellen, damit dieser klar antisemitische Vorfall nicht vorschnell instrumentalisiert wird, um Islam- und Fremdenfeindlichkeit zu rechtfertigen. „Ich wollte nicht“, hält Shahak Shapira fest, „dass die Leute denken, ich hätte als Jude jetzt Angst, in Neukölln rumzulaufen. Was für ein Blödsinn!!!“
In der an den Erfahrungsbericht anschließen- den Gesprächsrunde wurde deutlich, dass die drängenden Fragen für Juden in Berlin aus Sicht der von dem angehenden Rabbiner Ar- min Langer (r.) gegründeten Salaam-Schalom- Initiative, der „rund 100 hauptsächlich in Neu- kölln lebende Juden, Muslime und Freunde“ angehören, eigentlich ganz andere sind: Wo ist die Grenze zwischen inakzeptablem Antisemitismus und berechtigter Kritik an der Politik des Staates Israel zu ziehen? Warum wird der klassische Judenhass in Deutschland konsequent ignoriert, den die alt eingesessenen mit den neu zuge- wanderten Deutschen teilen, wenn sie zum Beispiel das Wort Jude als etwas wie ein Schimpfwort benutzen? Oder wieso erkennt die Mehrheitsgesellschaft nicht ihre eigenen massiv antisemitischen Paradigmen, wenn sie beispielsweise über die Beschneidung debattiert? Das waren die Aspekte, die in der von der Kultur- anthropologin Sultan Doughan und Hannah Tzuberi vom Institut für Judaistik der FU Berlin gemeinsam moderierten Diskussion, zur Sprache kamen. „Ob ich mein Kind beschneiden lasse oder nicht, das berede ich mit meinem Mann. Aber das muss nicht im Bundestag beraten werden“, empörte sich eine Frau.
Morgen lädt die Salaam-Schalom-Initiative von 19 bis 21 Uhr zur inter- und außerreligiösen Soirée im Interkulturellen Zentrum Genezareth (Herrfurth- platz 14) ein; das Thema der Veranstaltung ist „Achtung: Intoleranz!“.
=Christian Kölling=
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