Keine Station ist weiter vom Haupteingang entfernt. Zwischen dem Entree zum Vivantes Klinikum Neukölln an der Rudower Straße und dem Pavillon 12, wo am 5. Januar die ersten Palliativpatienten aufgenommen werden, liegt
ein Spaziergang über das parkartige Ge- lände, das vor über 100 Jahren für das Krankenhaus Rixdorf angelegt wurde. Pal- liativpatienten, d. h. Menschen mit der Diagnose einer schweren, unheilbaren Krankheit, bräuchten ein „abgerundetes Angebot, das nicht durch den Notfall nebenan unterbrochen wird“, sagt Christian Dreißigacker. Wunderschön sei die Station geworden, eine völlig andere Atmosphäre als alle anderen Stationen habe
sie, schwärmte der geschäftsführende Direktor des Vivan- tes Klinikums Neukölln bei der von zwei Musikern des Iru Mun Trios
begleiteten Eröff- nungsfeier, die der Besichti- gung der neuen Station voraus ging. Dass das 750.000 Euro- Projekt „innerhalb des Kosten- plans und relativ pünktlich geschafft“ wurde, freut den Betriebswirt zusätzlich, der erst durch Prof. Dr. Maike de Wit, die Chefärztin des Klinikbereichs für Hämatologie und Onkologie, zum „großen Fan der Einrichtung einer Pallia-
tivstation im Vivantes Neukölln“ gemacht wurde. „Das Langsame, das dort nötig ist“, weiß auch Dreißigacker, „kommt im normalen Klinikalltag viel zu kurz.“
Bei Palliativmedizin, führt de Wit aus, gehe es um gutes Leben durch lindernde Maßnahmen am Lebensende: „Wir wollen keine Sterbestation sein, sondern bereiten die Überleitung ins Hospiz oder nach Hause vor.“ Die Patienten seien meist Krebserkrankte, aber auch Men- schen, bei denen schwere chronische Lungenerkran- kungen oder neurologische Krankheiten zu „komplexen Problemen in der letzten Lebensphase“ führen. Therapiert werden sie mit konservativer oder interventioneller Schmerztherapie, eine weitere wichtige Rolle spielt die zusätzliche soziale, psy- chische und spirituelle Betreuung unter Einbeziehung von Angehöri- gen und Freunden. Dafür steht Maike de Wit ein Team von 11 Mitarbei- terinnen und drei Mitarbeitern mit palliativer Zusatzausbildung ebenso zur Seite wie zwei Pfarrerinnen der Krankenhaus-Seelsorge.
Schon seit 2008 macht sich die Medizinerin, die ein Jahr zuvor als Chefärztin ans Vivantes Klinikum Neukölln kam, für die Einrichtung einer Palliativstation stark. „Den Brief mit einer entsprechenden Forderung, den ich damals an die Geschäftsleitung aufsetzte, haben ausnahmslos alle Chefarzt-Kollegen unterschrieben“, erzählt sie noch heute begeistert von der großen Unterstützung. „Aber auch mit dem Bezirks- amt verbindet mich eine lange palliative Geschich- te“, wandte Maike de Wit sich an Gesundheitsstadtrat Falko Liecke.
Bisher gab es in Berlin zwar schon sechs Pallia-tivstationen, die jedoch liegen alle im Westen und Norden der Stadt. Mit der Palliativstation im Vivantes Neukölln werde jetzt eine Versorgungslücke ge- schlossen. „Das“, so Liecke, „ist ein wichtiger Mei- lenstein für den Bezirk, der bisher keine wohnort- nahen stationären Angebote hatte.“ Sprich: Unheilbar Erkrankte wurden zuhause von Home Care Berlin-Ärzten palliativmedizinisch behandelt. „Dieser Bereich ist auch weiterhin ein Thema und soll ausgebaut werden“, versprach der Gesundheitsstadtrat schon angesichts der Tatsache, dass die Station in Neukölln lediglich über 13 Betten verfügt.
„Gehen Sie doch nach Hause und lassen Sie sich dort betreuen!“, sei bisher tatsächlich der beste Rat ge- wesen, den man Onkologie-Patienten geben konnte, die noch vor der Schwelle zum Stadium der Sterbebegleitung stehen, bestätigt Dorothea Becker, die Leiterin vom Ricam Hospiz. Das sieht Petra Anwar nicht anders. „Aber die Pflege Schwerstkranker hat zuhause in vielen Situationen Grenzen, und dann stand man bisher in Neukölln im Regen“, ist die Erfahrung der Home Care-Ärztin, die im Bereich der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) im Berliner Süden tätig ist und es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben sieht, ein „Netz und Nest für
Patienten“ zu bauen. Mit der Neuköllner Pal- liativstation sei ein entscheidendes Bin- deglied im Netz zwischen der Diagnose unheilbar und dem Lebensende entstanden.
Über neun Einzel- und zwei Doppelzimmer verfügt die Station für Palliativpatienten im Pavillon 12. Alle sind trotz des notwendigen medizinischen Equip- ments behaglich eingerichtet, haben eigene – teils barrierefreie – Bäder und bieten zudem die Mög-
lichkeit, dass Angehö- rige mit im Zimmer übernachten. Das Be-
dürfnis der Schwerster- krankten, in wohnlicher Atmosphäre viel Zeit mit Verwandten und
Freunden verbringen zu können, wird hier groß geschrieben. Zu- gleich aber wurden durch gemütlich gestaltete Aufenthaltsräume auch Inseln für das soziale und kommunikative Miteinander der Patienten, die auch durch niedergelassene Neuköllner Ärzte eingewiesen werden können, geschaffen.
Der Begriff palliativ, der sich vom lateinischen Wort Pallium ableitet, das Mantel bedeutet und so die schützende pflegerische und medizinische Betreuung perfekt beschreibt, müsse bekannt werden, wünscht sich Petra Anwar. „Überhaupt“, findet Neuköllns Gesund- heitsstadtrat Falko Liecke, „sind die Themen Schwerstkranke und Tod viel zu sehr tabuisiert. Aber man muss darüber sprechen.“
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