Ein unscheinbarer Laden in der Brusendorfer Straße. Wer ihn betritt und vorher den Schriftzug „buch-binderei“ übersehen hat, kann leicht dem Irrtum
erliegen, dass hier Mo- torrad-Oldtimer ausge- stellt werden. „Die wie- der fahrtüchtig zu ma- chen, ist mein Hobby“, erklärt Martin Gobel mit Blick auf die beiden Maschinen. Eine von ihnen wird in 13 Jahren 100, die andere ist ein halbes Jahrzehnt jünger – der Wälzer, der vor Gobel auf der Werkbank liegt, ist etwa gleichaltrig. „Das ist ein japanischer Museumskatalog aus den 1920er Jahren über chinesische Kunstwerke“, hat er sich vom Besitzer des
Buches, einem Antiquar, sagen lassen, der extra eine Schablone anfertigen ließ, um Martin Gobel das Nachmalen der Schriftzeichen auf dem Buchdeckel per Hand zu ersparen. „Jede Menge Friemel- arbeit bleibt mir trotzdem“, weiß der Buchbinder schon jetzt.
Für Grobmotoriker sei der Beruf definitiv nichts; eine ruhige Hand und gute Augen sind Grundvoraussetzungen, um ihn aus- zuüben. Ebenso die Liebe zum Detail und das fachliche Know-how. „Im Grunde“, gibt Gobel zu, „kann natürlich auch jeder zuhause am Küchentisch ein Buch reparieren,
aber das Ergebnis ist dann eben doch ein anderes.“ Manchmal rate er dennoch dazu, sagt der gebürtige Neuköllner, der schon im Richardkiez, wo er heute noch wohnt und vor sieben Jahren seine Buchbinderei eröffnete, aufwuchs. Der springende Punkt sei schließlich nicht nur die Frage, was der Kunde für die Reparatur ausgeben will: „Entscheidend ist auch, ob das lädierte Buch im Alltag häufig genutzt wird oder meistens im Regal steht.“ Oft sind es „zerlesene Kinderbücher oder alte Kochbücher mit handschriftlichen Notizen der Oma“, die bei ihm landen. Da müsse man sich bzw. er den Besitzern erstmal vor Augen halten, dass „jeder noch so professionelle Eingriff mit einem
Originalitätsverlust ver- bunden“ und es mitun- ter einfach angebrachter ist, die Schäden der Zeit sichtbar zu lassen. „Theoretisch ist zwar alles möglich, aber nicht bei mir“, fasst Gobel sein Berufsverständnis zusammen, das von der Maxime geprägt ist, sich immer wieder der Herausforderung zu stellen, die Reparatur möglichst originalgetreu hinzukriegen.
Ein Faible für antiquarische Bücher, erzählt er, habe er schon immer gehabt, und bereits als Kind sei das Basteln und Modellbauen eine seiner Lieblings- beschäftigungen gewesen. Darauf, dass beides im Beruf des Buchbinders vereint ist, kam Martin Gobel jedoch nur über Umwege: „Erstmal hab ich eine Gärtner-Ausbildung gemacht und danach ein Studium der Stadt- und Regionalplanung abgeschlossen, aber das führte alles zu gar nichts.“ Erst 2004, „also mit über 30, somit als totaler Spätstarter und dann auch noch mit dem Akademiker-Makel“, sei er schließlich Buchbinder-Azubi geworden. „Weil ich sofort wusste, dass das genau das Richtige für mich ist, hab ich dann auch noch während der
Ausbildung angefan- gen, mir den notwen- digen Maschinenpark bei Online-Auktionen zu besorgen.“ Den Ladenraum hatte er schon vorher als Hobbyraum genutzt; 2007 wurde er, nachdem Gobel seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen
hatte, zur Buchbinder-Werkstatt. „Einschließ-
lich der Industrie- und Sortimentsbindereien gibt es etwa 50 in Berlin, Buchbinder, die wie ich handwerklich arbeiten, sind die wenigsten“, weiß er durch gelegentliche Aushilfstätigkeiten im Werkstattbereich der Berufsschule für Buchbinder. Inzwischen seien dort auch Azubis mit Abitur keine
Seltenheit mehr: Das werde häufig von Mädchen mitgebracht, die sich für die handwerkliche Berufs- sparte entscheiden, die wiederum für Jungen eher unattraktiv sei.
Trotz guter Auftragslage. Er könne sich nicht beklagen und lehne durchaus auch Aufträge ab, sagt Martin Gobel, wenn das Volumen nur mit einem enormen Kraftakt zu bewältigen wäre. Oder auch, wenn sein Equipment bestehend aus Schneidemaschine, Pappschere, Schlag-, Präge- und etlichen anderen Pressen nicht ausreichen würde. Er träume nicht vom Reichwerden, sondern nehme sich lieber die Freiheit, sich die Aufträge auszusuchen: „Die Familie geht bei mir immer vor.“ Deshalb habe die Buchwerkstatt Martin Gobel lediglich eine Visitenkarte statt einer aufwändigen Web- präsenz, „und die Öffnungszeiten des Ladens sind noch aus der Grundschul- zeit der Kinder.“
Dass mehr und mehr auf das Angebot „und nach Vereinbarung“ eingegangen werde, sei vor allem, so Gobels Er- fahrung, dem Zuzug vieler junger Leute nach Neukölln geschuldet. Da er nicht nur alte Bücher mit originalnahen Materialien hochwertig repariert, sondern auch Kleinstauflagen wie Hochzeits- bücher oder Diplom- und Doktorarbeiten mit Prägungen auf dem Buchdeckel bindet, sei insbesondere vor ein- schlägigen Terminen bei ihm Hochsaison. „Es hat sich in letzter Zeit schon viel verändert“, stellt Martin Gobel fest, der den Neuköllner Kiez noch mit Kohlenhändlern, einem Schuster und vielen kleinen Tante-Emma-Läden kennt. „Aber ich glaube nicht, dass es hier wie in Prenzlberg wird.“
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: buchbinderei gobel neukölln, buchwerkstatt martin gobel, martin gobel, museum im böhmischen dorf, neukölln, neuköllner handwerksbetriebe, sommerkeramik berlin-neukölln |