Wer hätte zu der Zeit, als Alfred Scholz erster SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln war, daran gedacht, dass nur einige Jahrzehnte später Menschen aus dem Orient einen nennenswerten Teil der Neuköllner Einwohnerschaft ausmachen würden? Gewiss: Die Einwanderungen der Böhmen und Hugenotten waren in den 1920er und 1930er Jahren schon Geschichte – auch die Migration polni- scher Arbeitskräfte war Usus. Aber Moslems aus dem Morgenland in Neukölln …?! Inzwischen ist das einst Unvorstellbare fast schon eine Selbstverständlichkeit ge-
worden: Gestern und vorgestern richteten die Türkische Gemeinde Berlin, das Deutsch-Arabi- sche Zentrum und die [Aktion! Karl- Marx Straße] gemeinsam unter Schirmherrschaft der Berliner Integrationsbeauftragten Dr. Monika Lüke zum Ende des Fastenmonats Ramadan das 5. inter- kulturelle Zuckerfest aus. Es fand diesmal auf dem Alfred-Scholz-Platz in Sichtweite des Rat- hauses statt.
„Ob Muslime, Christen oder Juden: Das Wich- tigste ist es, das Grundgesetz zu achten und sich danach zu richten. Gerade als Grundlage für das Zusammenleben aller unserer Kinder in Berlin ist es unverzichtbar“, hob Bekir Yılmaz, Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin, in seiner Eröffnungsansprache hervor. Dieter Aßhauer, Vorsitzender der Arbeits- gemeinschaft Karl-Marx-Straße, freute sich am Rande der Veranstaltung: „Der rbb ist einen ganzen Tag lang mit einem Kamera-Team dabei. Das Magazin ‚zibb – Zuhause in Berlin und Brandenburg‘ berichtet ausführlich über uns.“ Nader Khalil vom Deutsch-Arabischen Zentrum dachte bereits an das nächste Jahr: „Ich möchte, dass 2015 noch mehr Menschen aus ganz Berlin zu unserem interkulturellen Rama- dan-Fest nach Neukölln kommen.“
Das Ende des Ramadan ist eines der höchsten Feste im Islam. Die Fastenzeit soll neben ihrer religiösen Bedeutung vor allem der Versöhnung zwischen allen Menschen und der Begegnung mit Freunden und Familienangehörigen die- nen. Das Fest bot deshalb für jede Altersgruppe etwas: Hüpfburgen, Hau-den-Lukas, Dosenwerfen und Kinderschminken für Mädchen und Jungen. Zu essen gab es für Vegetarier Halloumi mit gebratenem Käse und für Fleischesser Shawarma mit Rind. Auch der irgendwie überhaupt nicht orientalisch aussehende Stand mit Zuckerwatte, gebrannten Man-
deln, Lebkuchenherzen und kandierten Äpfeln war dicht an der Bühne wieder dabei.
„As-salamu ‘alaikum, sei gegrüßt …“ – „Merhaba, wie geht es Dir, Bruder?“: Es wurde viel Türkisch und Arabisch ge- sprochen. Die Bühnenmoderation war wie selbstverständ- lich dreisprachig und das Programm abwechslungsreich gestaltet. Mevlüt Yasat und seine Gruppe spielten Sufi Musik mit Keyboard, Kanun (Zither) und Nay (Flöte). Zwei Derwische tanzten abwechselnd dazu und drehten sich dabei minutenlang um die eigene Achse, so dass einem schon beim Zusehen schwindelig
werden konnte. Mitt- wochabend trat die senegalesische Rapperin Sister Fa (r.) auf, die mit ihren sozialkritischen Texten gegen Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung so-
wie für Frauenrechte sang. Nachmittags hat- te schon die Junge Palästinensische Folklore Gruppe die Besucher mitgerissen. An beiden Veranstaltungs-
tagen traten die Gruppe Alwe- sal mit islamischem Gesang sowie der Asik-Sänger und Saz-Spieler Ozan Kemtevi mit
seinen sozialkritischen Lie- dern auf.
Selbstverständlich warf der anhaltende Krieg in Gaza einen spürbaren Schatten auf das sonst fröhliche Fest. Gestern Abend, wäh- rend des Auftritts der türkischen Pop-Gruppe Karma Sound, hatten deshalb Muslime, Juden und Verbündete zu einem Flashmob auf dem Alfred-Scholz-Platz aufgerufen. Sie wollten mit einer Menschenkette unter dem Motto „Wir sind keine Feinde – Stoppt die Hetze!“ ein Zeichen gegen antimuslimische und antisemitische Hetze setzen. Mit Kippa und Kopftuch gaben die Initiatoren Auskunft
über ihre Salaam-Scha- lom-Initiative. Auch der Neuköllner So- zialstadtrat Bernd Szczepanski und Bertil Wewer von der Grünen-Fraktion in der Bezirks-verordnetenversammlung beteiligten sich an der Menschenkette, in die sich gut 60 Personen einreihten.
=Christian Kölling=
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