Jetzt als Buch: die typische bunte Neuköllner Mischung

stadtgespräche aus neukölln_gmeiner-verlagWas hat Neukölln mit München, Itzehoe, Rosen- heim, Hamburg, Balingen, Kempten und Wien gemeinsam? Auf den ersten Blick sicher nicht viel, auf den zweiten aber liefert das Programm des Gmeiner-Verlags aus der oberschwäbi- schen Kleinstadt Meßkirch eine Antwort: In dessen Stadtgespräche-Reihe steht Neukölln nun zwischen München und Rosenheim – oder, bei aufsteigender chronologischer Sortierung, ganz vorne.

„Die Idee entstand schon vor etlichen Jahren, kurz nachdem ich nach Neukölln gezogen war“, erzählt Michaela Behrens, die Autorin der Neu- köllner Stadtgespräche. „Seitdem wollte ich im- mer gern ein Buch machen, in dem Bewohner des Bezirks von ihrem alltäglichen Leben erzählen: was sie umtreibt, was sie freut oder traurig macht.“ Als sie 2013 von der neuen Gmeiner-Reihe erfuhr, sah sie ihr Konzept dort verwirklicht und bot dem Verlag einen Neukölln-Band an. Im letzten Mo- nat erschien das 187-seitige Werk, das kein Stadtführer ist, aber doch beim Leser die brüder posin_stadtgespräche aus neuköllnNeugier auf das Erkunden bislang unbeachte- ter Gegenden wecken will.

Geschehen soll das durch 35 Portraits, die eben nicht die Orte fokussieren, sondern Menschen in den Mittelpunkt stellen, die hier häufig oder gar täglich anzutreffen sind und sich mit ihnen verbunden fühlen. „Ich habe versucht, ansatz- weise die typische bunte Neuköllner Mischung einzufangen“, erklärt Michaela Behrens die Kri- terien, nach denen sie ihre Auswahl traf. Viele Menschen, „die sonst eher nicht in den Medien auftauchen“, hätten auf der anfangs sehr langen Liste gestanden. Die endgültigen Entscheidungen seien dann mit der Lektorin abgestimmt worden: Das Ergebnis ist werner seelenbinder-gedenkstein_sportpark neuköllnein stadtgesprächetypischer „Mix aus bekannten und eher unbekannten Personen“.

Zu ersteren gehören zweifelsohne die Brüder Posin (o.), die in ihrem Kunstsalon in der Wipper- straße nahe dem Richardplatz seit Jahrzehnten als Kunstmaler geniale Fälschungen alter Meister- werke anfertigen. Oder auch der gebürtige Neu- köllner Frank Zander, der alljährlich für Obdach- lose eine Weihnachtsfeier im Estrel Hotel orga- nisiert, die Schriftstellerin Monika Maron, die in der Schillerpromenade aufwuchs, sowie Arno Funke, der als Erpresser Dagobert von 1988 bis 1994 die Berliner Polizei in Atem hielt, und niels hartanto_stadtgespräche aus neuköllnbereits Ver- storbene wie der Ringer  Werner Seelenbinder und der Päda- goge  Konrad Agahd.

Andere Portraitierte wiederum gelten innerhalb ihrer mehr oder weniger großen Kreise durchaus als bekannte Persönlichkeiten, sind aber nicht das, was landläufig als prominent bezeichnet werden würde: Einer von ihnen ist  Niels Hartanto (l.), Mitbegründer des Dr. Pogo Veganladen-Kol- lektivs am Karl-Marx-Platz. Andere sind Katrin Maiworm, die Betreiberin des Hasenschänke-Kiosks im Volkspark Hasenheide, der Neukölln-Stadtführer Reinhold Steinle, die Nachfahrin böh- mischer Exulanten, Beate Motel, die das Museum im Böhmischen Dorf mit aufbaute, Viktor Sucksdorf, der Chef des Britzer WeingutsChristian Hoffmann, der 2007 zu den Initiatoren des Gemeinschaftsprojekts Pyramidengarten Neukölln gehörte, oder auch Karen Goetzke und Kirsi Hinze, die vor roksana temiz_stadtgespräche aus neuköllnzwei Jahren den Magie- und Scherzartikelladen Zauberkönig übernahmen, und so eine Neuköllner Institution vor dem Aus bewahrten.

Und dann sind da noch Menschen wie Roksana Temiz (r.), Ruth Weber, Jean-Claude Périsset oder matthias vernaldi_stadtgespräche aus neuköllnMatthias Vernaldi (l.): die Protago- nisten der Spezies der eher Unbekannten. Die Sechslinge-Mutter, die häufig für die Leiterin einer Kita-Gruppe gehal- ten wird, wenn sie mit ihren insgesamt acht Kindern deren Lieblingsort, den Indianerspielplatz an der Rungiusstraße, besucht. Die ehemalige Rektorin der Peter-Petersen-Grundschule, die sich auch jetzt – als Pensionärin – noch für ihren Ex-Arbeitsplatz engagiert. Der im Herbst letzten Jahres abgelöste Nuntius in Deutschland, der sechs Jahre lang Hausherr der Apostolischen Nuntiatur in der der Lilienthalstraße war. Ebenso der per Fernstudium zum Laienprediger ausgebildete Thüringer mit der Diagnose „Muskelschwund“, der ein von acht Helfern unterstütztes, cafe dritter raum_neuköllnbarrierefreies Leben in seiner Wohnung in der Stuttgarter Straße führt, sich aber auch nicht von den Hindernissen auf dem Weg zu seinem Lieblingscafé abschrecken lässt.

Mehrere Monate arbeitete Michaela Behrens an ihrem „Stadtgespräche aus Neukölln“-Buchprojekt, forschte im Internet, in Bibliotheken, Museen und Archiven. „Außerdem habe ich natürlich vor Ort recherchiert und mit vielen Menschen gesprochen“, sagt die Autorin, die heute als Literaturagentin tätig ist. „Fast alle, die angesprochen wur- den, wollten auch gern dabei sein.“ Dass Männer die Auswahl deutlich dominieren, einziges Manko des sehr lesenswerten Buches, habe sich „zufällig so ergeben“. Genauso zufällig ergab es sich, dass Michaela Behrens kurz vor der Jahrtausendwende nach Neukölln zog. Dass sie auch blieb, war hingegen eine bewusste Entscheidung: „Ich mag es, dass hier in jeder Hinsicht comeniusgarten, neukölln, johann amos comenius, henning vierck(noch) nicht alle Fassaden geglättet sind, und dass auch nach Ladenschluss die Bürgersteige nie hochgeklappt wer- den. Trotzdem kann man den Großstadt- trubel innerhalb kürzester Zeit hinter sich lassen, weil es im gesamten Bezirk wunderbare grüne Oasen gibt.“

Auf die Frage, wo denn ein Stadtge- spräch mit ihr stattfinden würde, gesteht Michaela Behrens, dass das schwer zu sagen sei, weil es so viele schöne und inte- ressante Plätze in Neukölln gebe. „Vielleicht im Comenius-Garten“, meint sie dann.

Der Gmeiner-Verlag hat uns für eine Verlosung ein Exemplar der „Stadt- gespräche aus Neukölln“ zur Verfügung gestellt. Wer es gewinnen möchte, facettensende  bis zum 20. Juli 2014 / 12 Uhr eine E-Mail an und beantworte in dieser die Frage: Wann wurde der Comenius-Garten eröffnet?

=ensa=

2 Antworten

  1. Monika Maron ist in der DDR aufgewachsen – zumindest war sie schon ein ganzes Stück über 40, als sie ein Visum für die BRD bekam – und kurz danach fiel die Mauer…

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    • Entsprechende Passage aus dem Buch: „In Pawels Briefe schreibt Maron von der Armut und engen Wohnverhältnissen, von Arbeitslosigkeit, Hunger und Plünderungen. Und von ihrer eigenen Kindheit in der Schillerpromenade im Haus Nummer 41, zwischen Herrfurthplatz und Selchower Straße.“

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