Die einen wollen nur vorsorgen: Vor der Radtour über das Tempelhofer Feld, könnte ein wenig mehr Luft im Hinterreifen nicht schaden. Die anderen bringen Fahrräder, mit denen keine Radtour mehr möglich wäre, zu dem kleinen grün-weiß-blauen Wohnwagen. „Habt ihr ’ne Pumpe für Autoreifen-Ventile?“, ist eine Frage, die zu den häufigsten gehört. Die Gegenfrage, ob man alleine klarkommt oder Hilfe braucht, ist Standard – nicht nur beim Luftpumpen. Denn die Fahrradwerkstatt, die seit 2012 als Projekt des Taschengeldfirma e. V. auf Berlins größter Wiese
betrieben wird, lässt sich weder mit den Servicean- geboten x-beliebiger Fachgeschäfte vergleichen, noch will sie denen Konkurrenz machen.
„Wir sind sogar sehr gut mit ihnen vernetzt“, berichtet Projektleiter Talu Tüntaș, und am besten mit dem, das gerade einmal 10 Minuten ent- fernt liegt: Fietswinkel, die Fahrradwerkstatt von Wolfgang Mrosek, ist wichtigster Kooperationspartner. Er hilft mit fachlichem Know-how, wenn ein Drahtesel die Zweiradmechaniker der Taschengeldfirma vor schier unlösbare Probleme stellt oder ihr Equipment nicht ausreicht, schickt bei Auftragsstaus aber auch gerne ver- hinderte Radfahrer mit ihren Patienten zum Tempelhofer Feld. Vor allem an Wochen- enden mit schönem Wetter herrscht Hochbetrieb rund um den Wohnwagen, der vor zwei Jahren zu den Spielstätten des HAU-Theaterprojekts „The World is Not Fair – Die große Weltausstellung“ gehörte, und nun als Materiallager und Aufenthaltsraum dient.
Eine Frau schiebt ein Fahrrad, das jahre- lang im Keller ein unbewegtes Dasein führ- te, über den Rasen: „Könnt ihr das durch- checken?“ Ein junger Mann hat schon alle Ersatzteile angeschafft, die nötig sind, um sein Fahrrad wieder flott zu machen, nur fehlen ihm die Werkzeuge, um sie zu mon- tieren. „Haben wir alles hier. Bedien‘ Dich!“, bietet der Mechaniker an, der als eine von zwei Honorarkräften für die Taschengeldfirma arbeitet. Bei einem Kinderfahrrad funktioniert die Bremse plötzlich nicht mehr so zuverlässig, wie die Eltern der Be- sitzerin es gerne sähen. Nun gebe es zwei Möglichkeiten, wird dem Vater erklärt: Entweder er mache sich selber mit Unterstützung des Experten an die Arbeit oder aber er könne dem bei der Reparatur zugucken. Der Mann entscheidet sich für ersteres; Frau und Tochter bemalen derweil den Taxiway zwischen den beiden Lan- debahnen mit Straßenkreide.
Dafür, dass alle, die die Dienstleistungen der Taschengeldfirma-Fahrradwerkstatt in Anspruch nehmen, hinterher nicht nur wie- der verkehrssicher unterwegs sind, sondern auch mehr über das Projekt wissen, sorgt Talu Tüntaș: Fünf Jugendliche seien es, die regelmäßig an diesem Training for the Job-Angebot im Rahmen der Jugendbil- dungsarbeit teilnehmen, weitere 10 stoßen mehr oder weniger sporadisch dazu. „Alle sind muslimische Roma aus Bulgarien, die türkisch sprechen.“ Auf diese Zielgruppe habe sich die Taschengeldfirma spezialisiert, um einerseits erste An- laufstelle für sie zu sein und sich andererseits von undifferenzierter agierenden Trä- gervereinen abzugrenzen. „Wir haben das Anliegen“, so Tüntaș, „Jugendlichen dieser Kulturgruppe eine Perspektive zu geben und Kenntnisse zu vermitteln, die ihnen Türen zu Praktika oder Ausbildungen als Zweirad- mechaniker öffnen.“ Darüber hinaus gehe es auch um die umgehende Wertschätzung ihres Engage- ments: Reparaturen werden gegen Spende ausge- führt; die Hälfte des Betrags wird für den Ankauf von Materialien in die Projektkasse geleitet, die andere Hälfte erhalten die Jugendlichen als Taschengeld.
„Super Initiative!“, findet nicht nur die Frau mit dem durchzucheckenden Kellerrad. Ob man dem Projekt auch Werkzeuge spenden könne, erkundigt sich ein Rentner, der im Neuköllner Kiez am Rande des Tempelhofer Felds wohnt. „Sehr gerne!“, antwortet Talu Tüntaș und teilt noch schnell die Öffnungszeiten mit, bevor er zum x-ten Mal an diesem Tag geduldig in den Umgang mit der Fußluft- pumpe einführt.
Die Taschengeldfirma-Fahrradwerkstatt auf dem Pionierfeld Oderstraße ist freitags und sonnabends von 14 bis 18 sowie an Sonntagen zwischen 13 und 17 Uhr geöffnet.
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