Eigentlich wollten die Schüler und Lehrer der Neuköllner Clay-Schule nur endlich eine neue Schule. Schon 1989 war das asbestbelasteste Gebäude im Ortsteil Rudow geschlossen worden, das einst als Clay-Schule eingeweiht worden war. Seitdem findet der Unterrricht in einem Contai- ner-Provisorium statt. „Dessen veranschlagte Lebensdauer von 15 Jahren ist also längst über- schritten“, rechnet Lothar Semmel (r.) vor, „und das macht sich auch an allen Ecken und Enden bemerkbar.“ Bei stärkerem Regen ströme das Wasser durch Decken und Fenster, im Winter sind Heizungsausfälle eher Regel als Ausnahme, und im Sommer heizen sich die Räume so auf, dass der Unterricht zur Zumutung wird, beschreibt der kommis- sarische Schulleiter: „Deshalb kämpfen wir seit vielen Jahren für einen Neubau.“ Erst seit nunmehr einem Dreivierteljahr ist sicher, dass es den geben wird und die mit
knapp 40 Millionen Euro veranschlagte Finanzierung steht.
Doch mit der Auswahl des Geländes, wo das Bauvorhaben für die musikbetonte Oberschule realisiert werden soll, tauchten neue Probleme auf. „Sie konfrontieren uns mit einer Thematik“, so Semmel, „mit der wir überhaupt nicht gerechnet hatten.“ Die gravierende Geschichte des aus dem Liegenschaftsfonds des Landes Berlin ausgesuchten Areals zwischen Neudecker Weg und August-Froehlich-Straße sei in der Tat erst im Nachhinein bekannt geworden, bestätigt auch Neu- köllns Schulstadträtin Dr. Franziska Giffey (r.). „Als wir vom Landesdenkmalamt erfuhren, dass es auf dem Areal ein Zwangsarbeiterlager gab, sind wir wirklich aus allen Wolken gefallen“, erinnert sich Lothar Sem- mel. Erschwerend hinzu kam die Erkenntnis, dass es sich bei dem nach wie vor auf dem Gelände stehen-
den Gebäude um eine Wirtschaftsbaracke aus eben jener Zeit handelt – um eine hochgradig konta- minierte. Alle Wohnbaracken, in denen die Zwangsar- beiter untergekommen waren, seien schon bis 1953 ab-
gerissen worden, berichtet Gif- fey. Nur dieses einzelne Gebäu- de blieb stehen und wurde von der Firma Eternit in der Nachkriegszeit als Farben-Großlabor genutzt: „Aus der Zeit stammt auch hauptsächlich die Schadstoffbelastung.“
Wie aber nun umgehen mit dem historischen Erbe des Ge- ländes und dem noch vorhandenen architektonischen Zeit- zeugnis? „Dessen Erhalt als Gedenkort ist wegen der Konta- mination nicht möglich, ein konventioneller Abriss aber auch nicht“, informiert die Stadträtin. Stattdessen werde nun im September und Oktober ein „schadstoffge-
rechter Rückbau“ vorgenommen, der auch durch den Einsatz einer Drohne detailliert dokumentiert und von archäologischen Gra- bungen flankiert werden müsse. Auf den Kosten, die Franziska Giffey mit rund 400.000 Euro beziffert, bleibt der Bezirk Neukölln sitzen. Zudem habe der sich verpflichtet, den Ort zu würdigen, auf dem einst Zwangsarbeiter untergebracht waren und in fünf Jahren, so die Planung, die neue Clay-Schule eröffnen soll.
Derzeit laufen die Vorbereitungen für einen Architektenwett- bewerb für den Neubau. „Anfang 2015 soll die Entscheidung fallen, welcher Entwurf realisiert wird“, plant die Stadträtin. Bereits jetzt wurde mit Schülerinnen und Schülern der Bildungseinrichtung ein Projekt umgesetzt, das an der Schnittstelle des Inte- ressenkonflikts zwischen Schulneubau, Denkmalschutz und historischer For- schung ansetzt: Sie beteiligten sich an der Entstehung des Materialkoffers Zwangsarbeit, der vom Denk mal an Berlin e. V. initiiert wurde, um das Thema in Schulen und Jugendgruppen der Hauptstadt, wo es etwa 3.000 Zwangsarbeiter- lager gab, tragen zu können.
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