Farbig grüßt das Haus Hertzbergstraße 1 mit Neuköllner Lüftlmalerei. Bunt ist auch der Ein- gang zu Tanja Dickerts Ahoj! Souvenirmanu- faktur. Durch ihr Ladenlokal geht es ins jüngst an dieser Adresse eröffnete Mampemuse- um. Es empfängt einen ein
professionell ge- staltetes Mu- seum, und wenn man Glück hat auch dessen Leiterin, Karin Erb (l.). Ihren ersten Mampe trank sie vor elf Jahren in einer Kreuzberger Kneipe. Davon, erzählt sie, war sie so begeistert, dass sie auch in anderen Berliner gastronomischen Einrichtungen danach verlangte –
insbesondere, wenn dort Überbleibsel ehemaliger Mampe-Werbung zu erken- nen waren, wie z. B. der bekannte Elefant. „Ham wa nich!“ oder „Sie sind wohl uff‘m Revival-Trip!“ und „Der letzte Jast, der’n Mampe bestellt hat, is schon lange dot“ waren nur einige der Reaktionen. Nun wurde sie erst richtig neugierig und traf bei ihren Recherchen auf Relikte im Berliner Stadtbild. So beispielsweise auf das Ende der 1960er Jahre am Kudamm aufgenommene Foto
mit dem Schimmelgespann des Neuköllner Traditionsunternehmens Kutschen-Schöne.
Stimuliert vom ersten Halb und Halb widmet sich Karin Erb seitdem dem Thema Mampe in all seinen Spielarten, und das voll und ganz. Sie wird nicht müde, nach Geschichten, Anek- doten und aller- lei Sammlerstü- cken zu forschen, diese zu erwerben, und nun hier am Richardplatz auszustellen. So treffen Besucher des Mampemuseums neben Originalmöbeln aus Mampes
Guter Stube, einem ty- pischen Rücktresen, Gemälden, Fotos, Flaschen, Gläsern, Rezeptbüchern, Untersetzern, Plakaten, Eti- ketten und vielen anderen Werbeträgern immer wieder auf den Mampe-Elefanten, der seit 1951 als Anhän- ger so manchen Flaschenhals zierte. Der Besuch beim Ehepaar Kühne im schles- wig-holsteinischen Ratzeburg, dokumentiert die Ausstellung, förderte einen Schatz
von 1.468 solcher kleinen Elefanten zutage. Mitte der 1920er Jahre spendierte dann auch das Berliner Unternehmen dem Zoo zwei lebendige. Obwohl es sich um Elefantenkühe handelte, bekamen sie dem Stifter zu Ehren die Namen Carl und Mampe. Auch nach dem 2. Weltkrieg gab es wieder einen Dickhäuter namens Mampe; er starb erst 1985 und überlebte damit die Produktionsstätten seines Spenders an der Grenzallee um zwei Jahre.
Wie alles begann: „Valeri und valera, Schnaps ist gut gegen Cholera, valeri und valera, Schnaps ist keiner da.“ Die Verballhornung des Gassenhauer-Refrains war sicherlich nicht das Motiv für den praktischen Arzt und Königlich Preußischen Geheimen Sanitätsrat Dr. med. Carl Mampe seinen Magenschnaps „Bittere Tropfen“ zu kreieren. Allerdings brachten die gegen den polnischen Novem-ber-Aufstand zusammengezogenen russischen Truppen um 1830 die Krankheit erstmals nach Europa, wo sie sich rasend schnell ausbreitete. Und dem wollte Carl Mampe einen Wirkstoff aus über 130 verschiedenen Ingre- dienzien entgegensetzen. Der Cholera wurde damit zwar kein Einhalt geboten, aber es wurde 1831 das erste Produkt einer großen Spirituosenfamilie in seinem Stargarder Labo-
ratorium geboren. In ihrer Hochzeit umfasste sie über 70 Produkte und reichte vom klassischen Halb und Halb
über den berühmten Lufthansacock- tail – ursprünglich eigens für die Flug- gesellschaft hergestellt – bis zum Fernsehdrink DAZU – ein Getränk, das man zum abendlichen Fernsehen genießen sollte.
Der Vater der Bitteren Tropfen vermachte das Rezept seinen beiden Halbbrüdern Ferdinand Johann Mampe und Carl Mampe. Der Eine produzierte ab 1835 weiter in Stargard (heute Szczecinski), der Andere ab 1852 in Köslin (heute Koszalin). Der Ärger war vorprogrammiert. Auch als das Stargarder Un- ternehmen nach dem Krieg in Hamburg Fuß fasste – das Kösliner war bereits 1877 nach Berlin gezogen – waren
feindselige Aktionen und bis 1965 an die 120 Rechtsstreitigkeiten wahrhaft bittere Tropfen. Die Ham-
burger benutzten als Erkennungszeichen das Stargarder Mühlentor, zwei Mönche, auch kurzzeitig einen Pudel, die Berliner das Schimmelgespann und den Elefan- ten.
Eine große Fotowand im Mampemuseum gibt Einblick in die schon heute sehr historisch anmutende Arbeit in der Produktionsstätte an der Grenzallee. Wer noch mehr über sie erfahren möchte, kann am bereit- stehenden Notebook einen virtuellen Rundgang durch die Spirituosenfirma machen.
Natürlich gehören auch Sprüche und Reime, die die Beliebtheit des Produkts widerspiegeln, zu den vielen Schätzen in Karin Erbs Museum. So erinnert ein Ex- ponat nicht nur an Mampe, sondern auch an das 1896 gegründete Berliner Optikerunternehmen Ruhnke, das bis 2001 existierte: „Sind‘s die Augen geh‘ zu Mampe, brauchst nicht gleich zu Ruhnke geh’n. Giess Dir ei- nen auf die Lampe und dann kannst Du besser seh‘n“, prophezeit ein Stoffetui.
„Zwei Wünsche unter einem Hut: Er schmeckt und tut dem Magen gut“, verspricht ein anderer Reim. Und dessen Wahrheitsgehalt kann man hier auch gleich ausprobieren. Denn der Orangenbitter-Likör Halb und Halb wird seit zwei Jahren wieder hergestellt, nachdem Tom Inden-Lohmar und Frank Zächel das Label Mampe 2010 erworben hatten.
Dem von Kreuzberg nach Neukölln gezogenen Museum und Karin Erb, der Leiterin, sei „Prosit!“ gewünscht – nicht nur halb und halb, sondern voll und ganz.
Das Mampemuseum (Hertzbergstr. 1) hat von Donnerstag bis Samstag (außer an Feiertagen) zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet.
=kiezkieker=
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Super geschrieben!
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Ja wirklich prima geschrieben! Finde die Idee, der Geschichte von berühmten Neuköllner „Institutionen“ (Firmen, Gewerben, Stätten, Bauten, Persönlichkeiten etc.) bis in die heutige Zeit nachzugehen, großartig! Wäre es nicht an der Zeit, diese wundervollen Beiträge in Druck zu geben? Meine Sammlung „Neuköllner Reminiszensen“ wartet schon.
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