Gewartet und darauf gehofft, dass sich etwas ändert, haben sie lange genug. Nun ist es mit ihrer Geduld vorbei: Gestern rief die Diakonie bundesweit unter dem Motto „5 vor 12“ zum Aktionstag Altenpflege
auf – auch in Neukölln. Vor dem Rathaus hatten sich Mitarbeiterinnen von Dia- konie-Einrichtungen ver- sammelt, um Passanten auf das Thema Altenpflege im Allgemeinen und das Rettungspaket im Speziellen aufmerksam zu ma- chen und Wünsche zu sammeln.
„Pflege ist leider immer noch etwas, womit sich die meisten erst beschäftigen, wenn der Zustand, selbst betroffen zu sein, akut ist“, sagt Beate Wollersheim. Als Spezialistin für den Diakonie-Pflege-Bereich Angehöri- genarbeit kennt sie beide Seiten der Medaille, und sie weiß auch: „So oder so Be- troffene gehören nicht zu denen, die auf die Straße gehen und demonstrieren.“ Wer gepflegt werden muss, hat dafür nicht die Kraft; wer pflegt, dem fehlt sie ebenfalls. Bei letzteren machen Verwandte inzwischen die größte Gruppe aus, gefolgt von den Pro- fis, die bei ambulanten Pflegediensten oder in stationären Einrichtungen beschäftigt sind, ergänzt Beate Wolff (r.), die den Fach- bereich Pflege der Diakoniewerk Simeon gGmbH leitet: „Wir fordern die neue Bun- desregierung auf, endlich das Thema Pfle- ge anzupacken und bessere Rahmenbe- dingungen für Pflegekräfte, Pflegebedürf- tige und pflegende Angehörige zu schaf- fen.“
Das unterstützt auch Neuköllns Sozialstadt- rat Bernd Szczepanski (l. neben Beate Wol- lersheim), doch er hat weitere Wünsche. Dass Leute, die eine Ausbildung im Bereich Pflege machen, häufig dafür bezahlen müssen, sei ein Unding, findet er. „Die Aus- bildungen müssen kostenlos sein. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die JobCenter auch Gutscheine für den dreijährigen Ausbildungsgang vergeben würden.“ Derzeit, kritisiert Szczepanski, würden sie nur die kürzere Ausbildung zum Pflegehelfer finan- zieren. Das aber gehe an den Bedürfnissen vorbei: „Die Einrichtungen brauchen dringend qualifizierte Pflegefachkräfte, die auch medizinische Kompetenzen ha- ben.“ Was der Beruf an sich brauche, seien eine faire Bezahlung, eine bessere Lobby und attraktivere Aufstiegs- chancen, appelliert Beate Wolff.
Und ebenso viele Baustellen gebe es noch hinsichtlich der pflegenden Angehörigen. „Meist sind es Frauen, die die Pflege übernehmen, und für die bedeutet das eine gewaltige Doppelbelastung“, so die Erfahrung von Beate Wollersheim, „weil sie ja neben dem pflegebedürftigen Verwandten in der Regel noch ihre eigene Familie haben.“ Als permanenten Ausnahmezustand für Körper und Seele erleben die meisten Betroffenen die Situation, in die sie häufig ohne längeren Vorlauf katapultiert werden. Folglich: Ohne sich darauf vorbereiten zu können oder dafür ausgebildet zu sein. Entsprechend uninformiert seien viele, „obwohl es inzwischen viele Beratungs- angebote für häusliche Pflege gibt.“
Heute sollen die Forderungen und Wün- sche, die gestern außer vor dem Neu- köllner Rathaus auch in allen ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtun- gen der Diakonie-Pflege Simeon gGmbH gesammelt wurden, an Bundesgesund- heitsminister Hermann Gröhe (CDU) ab- geschickt werden. Bundesweit beteiligten sich über 3.500 Altenpflege-Anbieter der Diakonie an dem Aktionstag: Viel Post für das Ministerium, Fanpost ist es nicht.
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