Oder: Medienleitungen, Magnetventile, Manometer – Verfahrens- technik vom Feinsten
„Deine Augen sind ja ganz rot.“ – „Na, die haben hier wieder ordentlich gechlort, riecht man doch auch.“ Wolfram Kaube, der die Abteilung Bau/Technik der Berliner Bäder-Betriebe leitet, kennt solche Aus-
sprüche. Schmunzelnd verrät er: „Chlorgas, das zur Beckenwas- serdesinfektion nötig ist, ist mit der Nase nicht wahrnehmbar.“ Der auch für das Stadt- bad Neukölln typische Geruch wird durch die Bade- gäste hervorgerufen. Von denen eingebrachte or- ganische Stoffe wie Bakterien, Schweiß, Hautab- sonderungen, Urin, Textilabrieb oder Hautpflegemittel, erklärt Kaube, würden mit dem Chlor sogenannte Chloramine bilden, die wiederum an der Wasseroberfläche aus- gasen. Zweifellos, sie riechen nicht gerade angenehm und reizen auch schon mal die Bindehaut. „Ansonsten aber“, versichert der Technik-Chef der Berliner Schwimm- bäder, „stellen sie keine gesundheitlichen Risiken dar.“ Das Chloren sei auch nur eine der vielen Maßnahmen, um den Badenden hygienisch einwandfreies wohltem- periertes Wasser anbieten zu können.
Wolfram Kaube gibt einen kleinen Abriss der Geschichte der Wasseraufbereitung: Am Anfang des Hallenbadbetriebes in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Eintrag von Keimen und Bakterien durch Frischwasser kompensiert. Erst im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kam in England die Chlorung auf, die dann auch bei uns angewandt wurde, um Wasser und Energie zu sparen. Gröbere Verunreini- gungen wurden durch Filter im Wasserkreislauf festgehalten. Kleinere Teilchen oder Tröpfchen, sogenannte Kolloide, erreichte man damit aber nicht. So werden seit den 1950er Jahren Flockungshilfsmittel (in der Regel Aluminiumsalze) eingesetzt, um diese dadurch vergrößerten Bestandteile herausfil- tern zu können. Verbindliche Vorschriften, die die Wasserqualität betreffen, gibt es erstaunlicherweise erst seit 1984 mit der DIN 19643. Ein sehr umfassendes Regel- werk, das neben den rein technischen auch medizinische und sicherheitstechnische Be- lange berücksichtigt, wobei die menschliche Gesundheit dabei im Mittelpunkt steht. So wird auch hier im Hallenband in der Ganghoferstraße ein erstaunlich hoher phy- sikalischer und chemischer Aufwand betrieben, um diese
Regeln zum Wohle des Badegastes einzuhalten.
Das bestätigt auch Albert Pietrow. Er ist einer der drei Mitarbeiter, die im Zwei- schichtendienst die nötigen Prozesse überwachen. Sein Arbeitsplatz befindet sich nicht nur an Schreibtisch und Rech- ner, sondern an allen technischen Appa- raten und Messeinrichtungen, die im laby- rinthartigen Gänge- und Raumsystem untergebracht sind. Unter dem Becken der großen Schwimmhalle befand sich nämlich ehemals ein 500 Kubikmeter fassendes Reservebassin aus Stahlbeton, das zur Aufnahme des warmen Wassers aus dem 1,5 Kilometer entfernten Städtischen Elektrizitätswerk am Weigandufer diente. Heute zeugen die blähtonartigen Kalk- warzen (links im Bild) an den Wänden von der früheren
Nutzung.
Auch die Niederdruck- dampfkessel, die ehe- mals von der Kessel- decke aus durch mühe- voll zu handhabende Kokswagen beschickt werden mussten, und die mit elek- trisch betriebenen Wäschereimaschinen ausgestattete Dampfwäscherei gibt es heute nicht mehr. So erinnern denn nur wenige Relikte an alte Zeiten, wie z. B. diese beiden CO2-Behälter, die früher den Kohlensäurebädern in der medizinischen Ab- teilung dienten.
Heute laufen alle Prozesse, wie Umwälzung, Erwär- mung, Dosierung von Flockungshilfsmittel, Chlor und Ozon vollautomatisch ab. Dennoch, so Albert Pietrow, ist es wichtig, genau zu wissen, was da geschieht, um im Notfall von Hand eingreifen zu können. Auch die nötigen Überwachungs- und Wartungsarbeiten müssen gewis- senhaft durchgeführt wer- den. Immer steht die Ge- sundheit des Badegastes an erster Stelle, und das Gefah- renpotenzial dieses „Che- miebetriebs“ ist nicht ohne.
Von Pietrow sind noch weitere interessante Details zu erfahren: „560 Kubikmeter fasst das große, 320 das kleine Schwimmbecken“, erzählt er. „Für das große werden 150 Kubikmeter Wasser pro Stunde umgewälzt, für das kleine 100.“ Erledigen tun das stufenlos steuerbare Kreiselpumpen; erwärmt wird das Wasser in Wärme- übertragungssystemen, die mit Fernwärme versorgt werden.
Vom Gesamtwärmeverbrauch entfallen 40 Prozent auf die Lufterwärmung und 20 auf die Erwärmung des Beckenwassers: Letzteres hat im Regelbetrieb eine Tempe- ratur von 28, zu Warmbade-zeiten von 32 °C. Der Rest des Verbrauchs speist andere Wärmeprozesse wie z. B. die Warmwasserbereitung für die Duschen; um Legionellen abzutöten, wird das Wasser einmal wöchentlich auf 80°C erhitzt.
Die Lufttemperatur liegt aus Behaglichkeitsgründen je- weils 2 Grad über der Beckenwassertemperatur. Diese strömt unter den Marmor- bänken ein und wird zentral im jeweils oberen Deckenbereich der Hallen abgeführt. Die mit der Luft abgeführte Feuchte beträgt gut 14 g/kg und wird in der Klimaanlage auf 9 g/kg gesenkt. Allerdings wird Wasser nur zum geringen Teil durch Verdunstung ausgetragen, das meiste nehmen die Badegäste mit – in der Schwimmkleidung, den Haaren oder schluckweise. „Im Durchschnitt 3 Liter pro Besuch, deshalb müssen pro Tag 30 Kubikmeter Wasser nachgespeist werden.“ Weitere 18 Kubikmeter, berichtet Pietrow, würden für die Spülung der Filter verbraucht. Zur Filterung gehört neben den mechanischen Schmutzfängern auch ein Aktivkohlefilter, um das gebun- dene Chlor abzubauen: Das Messinstrument zeigt einen aktuellen Wert von 0,09 mg/l an – bis zu 0,2 mg/l wären erlaubt.
Neben Chlor wird aus hygienischen Gründen zur Keim- abtötung auch Ozon eingesetzt. Ozon zerfällt sehr schnell und kann deshalb nicht wie das Chlorgas in Behältern transportiert werden. Daher wird es direkt im Stadtbad Neukölln im Elektrophorese-Ozonerzeuger her- gestellt.
Schwimmbeckenwasser müsse so beschaffen sein, dass eine Schä- digung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger ausgeschlossen werden kann, zitiert Wolf- ram Kaube den § 37 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes und unterstreicht damit die Brisanz. Anders als in der öffent- lichen Wasserversorgung, die einen vergleichsweise gerin- gen Aufwand für das Lebensmittel Wasser hat, sei „der im offenen Kreislaufsystem ungleich größer und komplizierter“. Daher erfordere er nicht nur das nötige technische Equipment, sondern auch gut geschultes, verantwor- tungsvoll handelndes Fachpersonal, betont Kaube.
Wer seine Bahnen im Stadtbad Neukölln, das gestern vor 100 Jahren eröffnet wurde, zieht, kann nun nicht nur darüber nachdenken.
=kiezkieker=
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