Sechs Jahre Planung, zwei Jahre Bauzeit und Kosten von fast 2 Millionen Mark haben ein Bauwerk entstehen lassen, das heute vor 100 Jahren eingeweiht wurde: das Stadtbad Neu- kölln in der Ganghoferstraße.
Die Stadtbauräte Heinrich Best und Reinhold Kiehl, beide beamtete Architekten, entwarfen das Bad und planten die bauliche Durch- führung. Die Gesamtanlage des Stadtbades wurde dominiert von einen viergeschossigen Mittelbau, der die Betriebsräume, Wannen-, Brause-, medizinischen und römisch-russi- schen Bäder enthielt und mit einem Was- serturm ge- krönt war.
In den beiden Seitenbauten befanden und befin- den sich die beiden dreigeschossigen Schwimm- hallen. Die größere war, dem damaligen Verständ- nis entsprechend, für die Männer, die kleinere für die Frauen bestimmt. Allein das Angebot an 40 Wannen- und 42 Brausebädern war zu jener Zeit nötig, da die meisten Wohnungen nur ungenügend mit sanitären Einrichtungen ausgestattet waren.
Im Sinne des antiken Ideals, dass Körper und Geist eine Einheit bilden, sollte der Badevorgang zum ganzheitlichen Erlebnis werden. Darauf deutet zum einen die kost- bare Ausstattung mit Mosaikwandbildern, Travertinsäulen und die reichliche Verwen- dung von Marmor hin. Zum anderen gibt die
Zuordnung der Volksbücherei mit Lesehalle, die über ein Atrium mit dem Bad verbunden war, einen weiteren Hinweis auf das übernommene antike Verständ- nis des Bades als Stätte der körperlichen und geistigen Ertüchtigung. Die Ausleihbibliothek hatte einen Bestand von circa 12.000 Büchern, der Lesesaal bot Platz für etwa 45 Personen. Im Jahr 1961 erfuhr dieser Gebäudeteil dann eine neue Nutzung: Hier befand sich 48 Jahre lang, bis zum Umzug im Jahr 2009, das Heimatmuseum Neukölln, das noch vor dem Umzug in Museum Neukölln umbenannt wurde.
Die Fotos aus der Anfangszeit zeigen die Frauenschwimmhalle (l.) und zwei Ansich-
ten der Männerschwimmhalle. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs die Bevölke- rungszahl von Berlin weiter, was zu einem großen Mangel an Wohnungen führte. Und so reichte die Anzahl der Hallenbäder bei weitem nicht für die Nachfrage von Bade- willigen aus. Da die finanzielle Situation der Stadt jedoch sehr angespannt war, mussten sogar mehrere Hallenbäder in Berlin schließen. Das Neuköllner Stadtbad blieb jedoch geöffnet mit der Folge, dass auch viele Berliner aus anderen Bezirken das Bad besuchten.
Auf dem Foto von 1922 posiert – zu- sammen mit anderen – Ruth Samtle- ben (3. v. l.), deren Vater der erste Ba- deinspektor und spätere Leiter des Bades war.
Auch im folgenden Jahrzehnt war das Neuköllner Stadtbad mehr als nur gut besucht. So wurden z. B. 1938 an 305 Tagen insgesamt 641.774 Besucher gezählt, 2/3 davon nutzten das Schwimmbad.
Im II. Weltkrieg blieb das Stadtbad Neukölln von Kriegsschäden weitestgehend verschont. Aber der Zahn der Zeit nagte, und so standen die Verantwortlichen Mitte der 1970er Jahre vor der Alternative „abreißen und neu bauen oder sanieren?“. Insbesondere dem Konservator Wilhelm Fuchs ist es zu verdanken, dass der Bau erhalten blieb. Geplant war zunächst eine Schließung des Stadtbades für zwei Jahre. Daraus wurden dann jedoch sechs, denn die Sanierungsarbeiten waren wesentlich
aufwändiger als ursprünglich gedacht. Dadurch verdoppelten sich auch die veranschlagten Ge- samtkosten, zumal nun auch noch – zum Glück – die Vorgaben des Denkmalschutzes eingehalten werden mussten.
Leider konnten, trotz Denkmalschutz, die 46 so- genannten Auskleidezellen, die es an den Längs- wänden in der ursprünglichen Männerschwimm- halle gab, nicht erhalten werden: Sie entsprachen nicht mehr den geltenden hygienischen Anfor- derungen. Genau diese Kabinen veranlassten Klaus Schaalburg, der fast 40 Jahre für das Stadtbad Neukölln tätig war, seine authentischen „Kabinengeschichten“ zu schreiben, mit denen er 46 Badegästen in den 1980er Jahren ein literarisches Denkmal setzte. Aus sicherheitstechnischen Erwägungen mussten auch die Sprungbretter demontiert werden. Dennoch ist viel von der einstigen Pracht des Stadtbads Neukölln erhalten geblieben und erfreut bis heute die Besucher.
Das 100-jährige Bestehen wird heute, wie schon angekündigt, mit einer großen Pool- party gefeiert. Einlass ist ab 17 Uhr (Eintritt: 10 Euro; Karten sind noch an der Stadtbad-Kasse erhältlich), ab 17.30 Uhr werden Führungen angeboten, um 18.30 Uhr eröffnen u. a. Berlins Innensenator Frank Henkel und Neu- köllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky das Fest, ab 20 Uhr spie- len „Ulli und die grauen Zellen“ auf. Zum Jubiläum ist auch eine Broschüre erschienen, die kostenlos im Stadtbad-Foyer ausliegt, außerdem wird es einen Sonderstempel der Deutschen Post geben.
=kiezkieker/Reinhold Steinle=
(Veröffentlichung der Archivbilder mit frdl. Genehmigung vom Museum Neukölln)
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