Gestern, 12 Uhr, strahlender Sonnenschein zur Einweihung des Alfred-Scholz-Platzes an der Karl-Marx-Straße. „Früher hätte man dazu Kai- serwetter gesagt“, bemerkt Neuköllns Baustadt- rat Thomas Blesing (SPD) in seiner Anmodera- tion gutgelaunt. Er lenkt damit – absichtlich oder nicht – schon auf den erste Programmpunkt des Tages hin: Die Ehrung des ersten sozial-demokratischen Bezirksbürgermeisters durch die Umbenennung des bisherigen Platzes der Stadt Hof.
Zum Geburtstag Kaiser Wilhelm II. am 27. Janu- ar 1898 lernten sich nämlich die späteren Ehe- leute Alfred und Gertrud Scholz kennen: Gertrud, die bis zum Beginn der Weimarer Republik Alfreds politische Weggefährtin war, vermerkte die heute vielleicht befremdlich erscheinende Erinnerung an den denk- würdigen Tag in ihrer kleinen Autobiographie „Leben und Wirken“. Nun sind wichtige Stationen im Leben des sozialdemokratischen Kommunalpolitikers Alfred Scholz auf einer im Boden eingelassene Gedenktafel in Höhe der Werbellinstraße nach- zulesen. „In seiner Amtszeit setzt er sich besonders für eine bessere Gesund- heitsfürsorge, ein gerechteres Bildungssystem, den Ausbau des U-Bahnnetzes und den sozialen Wohnungsbau ein. Als SA-Männer am 5. März 1933 die Hakenkreuz- fahne auf dem Rathaus Neukölln hissen wollen, protestiert Alfred Scholz erfolglos dagegen. Zehn Tage später wird er unrechtmäßig von den Nationalsozialisten ab- gesetzt und noch im selben Jahr aus dem Staatsdienst entlassen“, heißt es u. a. auf der Tafel.
Ein Urenkel von Scholz berichtet in seiner kurzen Rede dem Eröffnungspublikum, zu dem neben Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup (l.) auch Bezirksbürger- meister Buschkowsky, Stadträtin Giffey gehören, über die Familiengeschichte: Während der Ehe von Alfred und Gertrud Scholz werden die Kinder Hertha und Arno geboren, die als Hertha Beese und Arno Scholz die Geschichte der Berliner SPD prägten.
Vor dem Karstadt-Schnäppchenmarkt weist eine zweite Tafel und ein im Boden verlegtes Plattenband die Passanten auf den künstlerischen Clou des neugestal- teten Platzes hin: Durch das Projekt Meinstein entstand ein rund 600 Quadratme- ter großes „demographisches Mosaik“, bei dem Steine aus Basalt, Granit, Quarzit, Gneis, Grauwacke und Glas, die entsprechend den Wünschen und Vorstellungen von 101 Neuköllnerinnen und Neuköllnern in mühevoller Kleinarbeit im Berliner Passe-Verband verlegt wurden. „Die verwendeten Steine stammen aus den sieben Welt- regionen, in denen auch die Wurzeln der Neuköllner Bevölkerung liegen. Ihr Mengen- verhältnis entspricht der realen Bevölkerungsstatistik des Entstehungsjahres“, wird auf der Tafel erklärt. Auch, dass 2011 etwa 60 Prozent der Menschen in Neukölln deutscher Herkunft waren, ist hier zu er- fahren. 60 Prozent des Moaiks sind daher mit der deutschen Grauwacke gepflastert.
Niemand unternimmt an diesem Mittag den Versuch, einen Zusammenhang zwischen Alfred Scholz und den neuen Herausforde- rungen unserer multikulturellen Gegenwart in Neukölln herzustellen. Ich stelle deshalb Andreas Altenhof, Mitarbeiter der Neuköllner Oper und Mitglied der Lenkungsgruppe der [Aktion! Karl-Marx-Straße], einige Fragen. Altenhof hat sich für die Umbenennung des Platzes der Stadt Hof eingesetzt und mit seiner Initiative fünf Namensvorschläge bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingereicht, die diese allerdings kommentarlos überging. „Nichts muss ewig bleiben“, so Altenhof, „und ich wollte deshalb mit dem Namenswettbewerb eine Bewegung auslösen, mit der die Menschen im Bezirk den Platz als ihren Platz ver- stehen. Als ihren Platz, den sie selbst gestalten können.“ Auf die Frage, ob er nicht gewusst habe, dass es in Berlin ein Straßengesetz und eine dazugehörende Aus- führungsvorschrift gibt, die genau festlegt, unter welchen Bedingungen Straßen und Plätze umbenannt werden dürfen, antwortet Andreas Altenhof: „Man hat mir gesagt, dass die BVV zuständig ist.“ Überhaupt habe er die Umbenennung nicht als recht- lichen Vorgang oder als Bürgerbeteiligung wie ein Volksbegehren verstanden. „Wir wollten mit unserer Umfrage ein Meinungsbild ohne Anspruch auf Vollständigkeit erstellen. Der Name Platz der Stadt Hof hätte von mir aus auch bleiben können, aber ich bin jetzt mit dem neuen Namen Alfred-Scholz- Platz ebenso einverstanden.“
Ärgerlich und wirklich unschön ist allerdings der Umgang mit der oberfränkischen Stadt Hof, der bis- herigen Namensgeberin des Platzes. Hier gibt es seit etwa 30 Jahren einen Berliner Platz mit der kleinen Skulptur eines Berliner Bären. Bis heute hat sich wohl niemand aus dem Rathaus Neukölln um eine gütliche Einigung mit Hof bemüht. „Der Platz der Stadt Hof ist auf Wunsch der Stadt Hof so benannt worden, der Name sollte auch nur auf Wunsch der Stadt Hof geändert werden“, hatte Dieter Herrmann, Vorsitzender des Freunde Neuköllns e. V., deshalb in einem offenen Brief an alle Neuköllner Bezirksverordneten schon im vergangenen Jahr gefordert. Aus Sicht des Bezirks unterliegt der Platz der Stadt Hof dagegen als „kartographische Adresse“ nicht dem § 5 des Berliner Straßen- gesetzes. Er könne deshalb ohne weiteres umbenannt werden. Rein verwaltungsrecht- lich mag das stimmen. Vernünftig zu erklä- ren ist es aber trotzdem nicht, denn mit ähnlich großem Aufwand wie aktuell wurde am 6. Juli 1985 der Platz der Stadt Hof ein- geweiht, der heute nur noch eine karto- graphische Adresse sein soll. Ob die Stadt Hof jetzt mit der Umbenennung des Berliner Platzes und der Demontage des Berliner Bären antwortet? Gebaut wird am Platz jedenfalls schon …
=Christian Kölling=
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