Es waren nur etwa 20 der insgesamt über 4.000 Vereinsmitglieder und wenige Gäste, die letzten Sonntag der Einladung der Turn- gemeinde in Berlin (TiB) zu einem Spazier- gang auf dem Tempelhofer Feld und zum Denkmal des Turnvaters Jahn in der Hasen- heide folgen wollten. Vielleicht schreckte der frühe Beginn (um 9.30 Uhr) einige Interes- sierte ab. Das wäre schade, denn – um das Resümee gleich an den Anfang zu stellen – die von Vereinsmitglied Frank-Dieter Zielke organisierte Führung hat sich in vielerlei Hinsicht gelohnt. Der Spaziergang
begann gegenüber dem TiB am Eingang zum Tempelhofer Feld.
Hier führte der Architekt und Bauhistoriker Steffen Adam aus, dass das südlich des islamischen Friedhofs gelegene Gebiet ursprünglich einmal dem Bezirk Neukölln gehörte, der es dann dem Berliner Senat für den Flugbetrieb auf dem Tempelhofer Feld abtrat. Nachdem der Flughafen nun nicht mehr in Betrieb ist, forderte Neukölln das Gebiet wieder vom Senat zurück, um den muslimischen Friedhof erweitern zu können. „Auf muslimischen Friedhöfen“, erklärte Adam, „gibt es keine Begrenzung der Liegedauer der Bestatteten, die Toren ruhen also ewig in den Gräbern.“ Die Rückgabe der Fläche wurde jedoch vom Berliner Se- nat verweigert.
Weiter ging es entlang des Flughafengebäudes. „Im Jahr 1947 landeten die Flug- zeuge noch mehr oder weniger auf einem Acker“, informierte Steffen Adam. „Die Start- und Landebahn wurde erst provisorisch zur Zeit der Berliner Blockade gebaut.“ Später, in den Spitzenjahren, wurden hier bis zu 4 Millionen Passagiere abgefertigt. Interessant war auch seine Information, dass der Halbbogen des Flughafenge- bäudes in seiner Form „an romanische Radleuchter, deren Tore und Türme die Stadtmauer des himmlischen Jerusalem bil- den, erinnert.“
Nahe der südlichen Landebahn lenkte Steffen Adam die Aufmerksamkeit auf ein Recycling- projekt namens Plattenvereinigung. Vorbei an der Skaterbahn, die hier aus Granitsteinen des abgerissenen Palastes der Republik ent- standen ist, und dem Resultat eines Experi- ments, aus Plattenbau-Fragmenten Häuser zu bau- en, spazierten wir in Richtung Neukölln.
Bis in die 1950er Jahre habe es sogar einen Ro- sengarten auf dem Tempelhofer Feld gegeben, führte der Bauhistoriker aus. Nach der Erweiterung des Flughafengebäudes habe dieser jedoch weichen müssen. Ein Gerücht scheint sich weiter hartnäckig zu halten. Die Frage eines Teilnehmers des Rund- gangs griff sie auf: Ob es stimmen würde, dass das Tempelhofer Feld in seiner Gänze unterkellert wäre, wollte er wissen. Dies wurde eindeutig von Steffen Adam verneint: „Unterkellert ist nur das Flughafen- gebäude selbst, bis maximal drei Untergeschosse.“ Nicht einmal das Gelände unter dem Flughafenvordach sei unterkellert.
Angelangt am Eingang Oderstraße ging Adam schließlich auch auf die Zukunft des Tempelhofer Feldes bzw. den vom Berliner Senat vorgelegten Masterplan ein. Eine Randbebauung mit über fünfgeschossigen Häusern, hielt er fest, würde er als nicht sinnvoll erachten. „Das Wohnen würde mit jedem Geschoss darüber hinaus ano- nymer werden und die Verantwortung für ein sauberes Wohngebäude sinken“, be- gründete der Architekt fachkundig.
Am Denkmal für den Turnvater Jahn in der Hasenheide übernahm der Sporthistoriker Gerd Steins die Führung mit zum Teil äußerst detaillierten Angaben zum Stand- bild und zum damaligen Turnplatz. Interessant und weit- gehend unbekannt: Der erste Turnplatz in der Hasen- heide entstand bereits 1810/1811 auf einem Teil des Geländes der heutigen Apostolischen Nuntiatur. „Doch da dieses Gelände nicht weit entfernt von einem Rot- lichtmilieu gelegen war, suchten sich die Turner bald einen neuen Platz“, erzählte Steins. In den Anfangsjah- ren der Nutzung des neuen Geländes, das größer als ein Fußballfeld war, gab es zunächst keine Turngeräte. „Es wurde auch nicht geturnt“, so der Sporthistoriker, „sondern Spiele wie ‚Räuber und Gendarm‘ gespielt. Jedoch nicht allein um der körperlichen Ertüchtigung oder gar des Spaßes wegen, sondern im Hinblick auf die Fitness für einen zukünftigen Befreiungskrieg.“ Erst 1817/1818 war das Gelände komplett mit Klettergerüsten und anderen Gerätschaften ausgebaut. Diese hatte Friedrich Jahn aus der Mitgift seiner Frau bezahlt. Laut Informationen von Gerd Steins konnte Jahn zeitlebens nicht mit Geld umgehen und musste sich häufig Geld von Freunden oder anderer Seite leihen.
Einen Umzug musste auch das Jahn-Denkmal mit- machen. Der ursprüngliche Standort sei etwa 30 Meter näher an der Hasenheide gewesen, wusste Steins zu berichten. Erst 2011 wurde von der Senats- verwaltung für Inneres und Sport eine Zeittafel zum Denkmal und zum Turnplatz aufgestellt. Ein Wunsch von Gerd Steins ist noch unerfüllt. „An der Umwidmung des Bauwerks für den Turnvater gilt es noch zu arbei- ten“, sagte er. „Offiziell ist es nämlich nicht als Denkmal anerkannt, sondern wird nur umgangs- sprachlich so genannt.“
Ein kleiner Chor des TiB 1848 sang abschlie- ßend am Denkmal zum Gründungsjahr passen- de Revolutionslieder (z. B. „Die Gedanken sind frei“). Dann ging es über die Rixdorfer Höhe in die Vereinsgaststätte, wo sich jeder Teilnehmer des lehrreichen Spaziergangs mit einer kostenlosen Bratwurst stärken konnte.
Wer Spaß an einer Radwanderung mit dem Bauhistoriker Steffen Adam hat, kann ihn am 7. September begleiten: Die 17 Kilometer-Tour beginnt in der Tuschkastensiedlung im Bezirk Treptow-Köpenick und führt über die Hufeisensiedlung in Britz bis zum TiB-Gelände am Columbiadamm. Weitere Infos bei der Abtlg. Freizeitsport der TiB e. V.: Tel. 030 / 61 10 100
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