Draußen herrschte bereits ein Hauch von Sommer: Plätze auf den Bänken und der Treppe vor dem Neuköllner Rathaus wa- ren begehrt, erfrischende Getränke der Topseller beim Straßencafé La Grappa neben dem noch wasserlosen Brunnen. Im BVV-Saal des Rathauses aber wurde gestern Abend erstmal der Frühling emp- fangen, kommunalpolitisch. Zum zwei- ten Mal hatten die Fraktionen der Grünen, Linken und Piraten dazu eingeladen, zum ersten Mal konnten sie stolz vermelden, dass auch jeweils mindestens ein Bezirksverordneter der beiden anderen in der BVV
vertretenen Parteien – sprich: der SPD und CDU – die Einladung angenommen hatte.
Das Motto „Flüchtlinge willkommen heißen!“ stand groß über der Veranstaltung mit Redebeiträgen, Musik und Büffet, die von Mahi Christians-Roshanai (Bünd- nis 90/Die Grünen) eröffnet wurde. Rund 400 Flücht- linge aus Syrien und anderen Kriegsgebieten würden in Neukölln erwartet oder seien schon eingetroffen, um in der eigens erbauten Asylbewerberunterkunft in Britz ein temporäres Zuhause zu finden. Diese Menschen zu empfangen und willkommen zu heißen, müsse auch bedeuten, die Herzen für sie zu öffnen. „Jeder einzelne soll sich hier wohl und zu- hause fühlen“, wünschte sie sich.
Diese Hoffnung unterstrich auch die Bundestagsab- geordnete Azize Tank, die von der Neuköllner Linke-Fraktion als Rednerin eingeladen worden war. Die Flüchtlinge, so Tank, haben ein Recht auf ein men- schenwürdiges Leben. Daran, dass die deutsche Asylpolitik auch den Wohlfühlfaktor der Betroffenen verfolgt, hat sie jedoch Zweifel: „Ich habe mich schon früher, als ich Migrations-beauftragte im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf war, gewundert, dass extra Heime für Flüchtlinge gebaut werden.“ Das behindere die Integration wie auch den Kontakt und das Verständnis der Nachbarn für die Zugezogenen massiv. Rassismus bleibe nicht an den Opfern hängen, „sondern sie zerstört unsere Demokatie. Deshalb“, for- dert Azize Tank, „müssen demokratische Parteien in der Lage sein, einen gemein- samen Nenner gegen Rassismus zu finden.“
Für Jürgen Schulte von der Initiative Hufeisern gegen Rechts zeigt sich am Umgang mit Flüchtlingen noch viel mehr: „der humanistische Zustand einer Gesellschaft“. Die Strategie, es den Flüchtlingen schwer zu machen und sie zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren, verletze das Sozialstaatsgebot. „Es gibt aus unserer Sicht keine berechtigten Ängste gegenüber Flüchtlingen, denn alle Vorurteile lassen sich nicht ohne weiteres beweisen“, sagte er und gab seinen Grund- satz, nach dem „das persönliche Gespräch die höchste Form politischen Handelns“ ist, zu bedenken. „Mit den Flüchtlingen ist ein bisschen große Weltpolitik in die Siedlung gekommen“, stellte Schulte abschließend im Hinblick auf die Britzer Unterkunft fest.
Um die Unterstützung von Flüchtlingen geht es auch dem Verein für demokratische Kultur. Mit einer Mobilisierungs- plattform gegen Rechtsextremismus, die seit März 2014 mit Förderung des Senats eingerichtet wird, spannt er den Bogen jedoch etwas weiter. „Nazi-Aufmärsche wollen am 26. April und 1. Mai auch durch Neukölln ziehen“, kün- digte Carolin Brenner an. Entsprechend wichtig sei es, ihnen mit einer effektiven Protestkultur zu begegnen. und Menschen Beteiligungs- möglichkeiten aufzuzeigen.
Etwas aus dem thematischen Rahmen fiel indes Ker- stin Meyer, die Sprecherin der Initiative 100 % Tempel- hofer Feld, die als letzte Rednerin hinter das Pult trat. Auf das Erleben von Solidarität und gemeinsamem Bestimmen ziele nicht nur der Volksentscheid, son- dern ebenfalls das, was er bei erfolgreichem Ausgang in Zukunft verfolge: „Das Tempelhofer Feld soll sich bürgernah entwickeln, und wir haben das große Pri- vileg, dass wir die Kämpfe darum ohne Ge- fahr für Leib und Leben ausführen können.“
Er sei nun in der priviligierten Situation, das Büffet eröffnen zu dür- fen, übernahm Thomas Licher, Vorsitzender der Linke-Fraktion, flankiert von Jochen Biedermann (l.) und Steffen Burger (r.), den Fraktionschefs der Neuköllner Grünen bzw. Piraten. Doch die Freude darüber währte nur kurz. Vorher gebe es noch einmal Musik, korrigierte Mahi Christians-Roshanai, und dann brachte
Erdal Kaya die rund 100 Gäste im BVV-Saal nicht nur zum rhythmischen Klatschen, sondern auch zum Mitsingen. Dass der kommunalpolitische Frühlingsempfang „eine tolle Idee der Fraktionen“ ist, hatte Azize Tank schon vorher festgestellt. Die Stim- mung gab ihr recht.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: azize tank (die linke/mdb), bvv-saal, carolin brenner (verein demokratische kultur in berlin), erdal kaya, flüchtlingsunterkunft haarlemer straße (neukölln-britz), fremdenfeindlichkeit, jürgen schulte (hufeisern gegen rechts), jochen biedermann (grüne neukölln), kirsten meyer (100 % tempelhofer feld), kommunalpolitischer frühlingsempfang neukölln, la grappa neukölln, mahi christians-roshanai (grüne neukölln), neukölln, rassismus, rathaus neukölln, rechtsextremismus, steffen burger (piraten neukölln), thomas licher (die linke neukölln) |