Weshalb ist die Gurke nicht krumm, die Finanzkrise durchaus vorteilhaft und Schäuble nicht da gewesen?

eu-flagge_bvv-saal neuköllnDie Europaflagge hing schlaff in einer Ecke des BVV-Saals im Neuköllner Rathaus ab. Hoch motiviert waren dagegen diejenigen, die in den Sesseln Platz genommen hatten, in denen sonst die Bezirksverordneten sitzen. Auf den Ti- schen vor ihnen, die gemeinhin mit Papier übersät sind, europa-quiz für senioren_rathaus neuköllnstanden Kaffeetassen und Kuchenteller.

Der Neuköllner Sozialstadt- rat Bernd Szczepanski und Cordula Simon, Europabe-auftragte des Bezirks, hat- ten in Kooperation mit dem Bürger Europas e. V. vorges- tern Senioren aus Neukölln zum Europa-Filmquiz einge- laden – und an die 50 waren gekommen. Eine „unterhaltsame Veranstaltung“, bei der sich „viel Interessantes über Europa“ erfahren lässt und man „live oder virtuell“ Fi- nanzminister Wolfgang Schäuble, dem Lindenstraße-Schauspieler Bill Mockridge sowie dem Eishockey-Profi Mads Christensen von den Eisbären Berlin begegnen kann, war ihnen angekündigt worden. Nebst der Möglichkeit, „kleine Sachpreise“ und als Tagessieger sogar einen „besonderen Hauptpreis“ zu gewinnen. „Sie werden an diesem europa-quiz_rathaus neuköllnNachmittag Informationen über Themen bekommen, die Sie vielleicht sonst nicht so intensiv verfolgen“, versprach Heiko Fröhlich vom Bürger Eu- ropas e. V., der die Veranstaltung unterhaltsam und EU-kompetent moderierte.

Zuvor hatte Bernd Szczepanski die Senioren begrüßt und an die Zeit erinnert, als jedes europäische Land seine eigene Währung hatte und innerhalb Europas noch Grenzen waren, die „vor allem in Richtung Osten mit einem komischen Gefühl“ passiert wurden. „Ich kann Kritik an Europa und der EU nicht verstehen“, bernd szczepanski_senioren-europa-quiz_bvv-saal neuköllngab der Sozialstadtrat (r.) zu. Das geeinte Europa sei ein Garant für den Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten und das wiederum ein unschätzbarer Vorteil. Zudem profi- tiere auch Neukölln, das 1987 den Europapreis für sein besonderes städtepartnerschaftliches Engagement er- hielt, stark von Europa. Rund 8 Millionen Euro seien bislang aus den Kassen der EU in den Bezirk geflos- cordula simon_europa-quiz_bvv-saal neuköllnsen, um infrastrukturelle Maß- nahmen zu finanzieren, erklär- te Cordula Simon (l.): „Damit wurde Neukölln mit der höchsten prozentuale Förderung unter den Berliner Bezirken ausgestattet.“

Um Geld ging es auch bei der ersten Quizfrage. Dass sie im eingespielten Film von einem Griechen gestellt wurde, lockte viele auf die falsche Fährte. Denn das Land, das au- ßerordentlich große Finanzspritzen von der EU bekam und noch bekommt, ist nicht Griechenland, sondern Deutsch- land: Wegen des Aufbaus der neuen Bundesländer richtete Brüssel in Folge der Wiedervereinigung ein Sonderförderprogramm ein. Als nicht minder herausfordernd erwies sich die zweite Frage: Mit welchem Instrument wird die EU-Zufriedenheit gemessen? Davon, dass es bereits seit 1978 ein Eurobarometer gibt, dass alle fünf Jahre mit Umfragen ermittelt, welche sozialen und politischen Einstellungen Bürger deutschland-karte_bürger europas evEuropas hegen, hatte niemand zuvor ge- hört. Bei anderen Fragen wurden die Antworten gewusst und mussten nicht mit Unterstützung des Moderators erraten werden. Wann fand die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament statt? 1979! Wie viele Nachbarn hat Deutschland? Neun! Welche Produktgruppe wird durch eine EU-Verordnung seit 2013 noch bes- ser geschützt? Kosmetik! „Die Gesetze, die in Brüssel verabschiedet werden, gelten für alle Mitgliedsstaaten. Wer sie nicht einhält, wird verklagt“, informierte Heiko Fröhlich und schob eine Frage nach, für deren Beantwortung es keine Punkte zu gewinnen gab: Was es mit Norm-Gurken oder -Bananen auf sich habe? Auch das EU-Parlament sei nicht frei von Einflüssen verschiedenster Lobbyisten, räumte er ein, und „krumme Gurken und Bananen sind eben für die Verpackungs- und Transport-seniorenquiz_bvv-saal neuköllnwirtschaft schlecht.“

Aus Politikern wie vieler Länder besteht über- haupt das Europa-Parlament? Ganz klar: 28! Jeder der aktuell 735 Abgeordneten, zu denen auch der Grünen-Politiker Michael Cramer ge- hört, der lange in Neukölln als Lehrer gearbeitet habe, müsse zwar Englisch oder Spanisch können, ergänzte der Moderator. Im Parlament und in Ausschussitzungen spreche aber jeder in seiner Muttersprache. „Dafür, dass sie einander verstehen“, wusste Heiko Fröhlich zu berichten, „sorgen etwa 5.000 Dolmetscher.“ Auch an welchem Datum der Euro- patag gefeiert wird, war vielen der Senioren bekannt, die sich eifrig und mit zum Teil beeindruckendem Hintergrundwissen am Quiz beteiligten. „In Neukölln machen wir sozialstadtrat szczepanski_europa-quiz senioren_bvv-saal neuköllnes aber nicht am 9. Mai, sondern un- ser Europa-Fest ist erst am 23. Mai“, avisierte Cordula Simon.

Zwei Tage später findet in allen EU- Ländern die Europawahl statt. Er wür- de sich wünschen, dass „Europa stär- ker von den Bürgern gelebt wird“, appellierte Sozialstadtrat Bernd Szcze- panski. Doch um die Zufriedenheit mit dem demokratischen Instrument EU steht es hierzulande nicht zum Besten. Aktuell finde es nur bei jedem zweiten Deutschen Zustimmung, berichtete Heiko Fröhlich. „Das Problem ist die rasante Entwicklung der EU, und dass viele Menschen deshalb nicht mehr verstehen, wie Europa funktioniert und Angst haben.“ Insofern habe sogar die Finanzkrise etwas Gutes gehabt: „Durch sie haben die meisten Menschen wieder begonnen, sich für Europa und die EU zu interessieren.“

Am Ende des so kurzweiligen wie lehrreichen Nachmittags blieb für viele der Neu- köllner Senioren, gemessen am Gesprächsstoff im Rathaus-Foyer, nur eine ent- scheidende Frage offen: Weshalb ist Schäuble nicht da gewesen? Der Einspieler mit ihm konnte aus Zeitgründen nicht mehr aufgerufen werden.

=ensa=