Über den unbeleuchteten Teil des Gelän- des der ehemaligen Kindl-Brauerei führte der Weg zum Bierausschank von Wilko Bereits Privatbrauerei am Rollberg. Hier emp- fing dieser Tage Andreas Fiedler, der künstlerische Direktor vom KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst, seine Gäste. Es war die dritte von sechs vor der eigent-lichen Eröffnung des Zentrums im Sep- tember. Angekündigt waren zwei Vorträge: „Die Kindl-Brauerei“ und „Neukölln: Geschichte(n)“. Bald waren der Raum mit etwa 60 Menschen und die Gläser mit Rollberger Bier gefüllt. Man kennt sich, nickt sich zu, kommt ins Gespräch. Dann wurde mit Schiffsglockengeläut der offizielle Beginn signalisiert. Andreas Fiedler erklärte, dass diese Gäste-Reihe dazu gedacht sei, die verschiedenen Räumlichkeiten schon jetzt kennen zu lernen. Nachdem im Sud- haus die „Gäste 1/6“ und in der Trafostation die „Gäste 2/6“ stattgefunden haben, so der künstlerische Leiter weiter, seien sie heute selber zu Gast bei Wilko Bereit und Nils Heins, den Geschäftsführern der Pri-
vatbrauerei, in den Räumen unterhalb des ehemaligen Sudhauses. Hier würden heute Matthi- as Gerlitzki von der Rade- berger-Gruppe (2. v. l.) und der Historiker Dr. Rainer Pomp (2. v. r.) über die Ge- schichte des Areals und des Bezirks referieren, moderierte Fiedler (l.) das „Gäste 3/6“-Programm an.
Um es vorweg zu nehmen, auch „gelernte“ Neuköllner erfuhren mindestens im ersten Vortrag durchaus Neues. So erhielt Matthias Gerlitzki die volle Aufmerksamkeit des Auditoriums, zumal er in den ihm zugedachten 25 Minuten (in realiter 40) einen gut gegliederten, reich bebilderten Abriss vom Schlucken und Geschlucktwerden gab. Und damit sind nicht nur die gebrauten Produkte gemeint sondern auch das Unternehmen selbst. 1872 als „Vereins-Brauerei Berliner Gastwirthe zu Berlin“ gegründet, wurde hier an einem der ersten Orte – dem Zeitgeschmack entsprechend – unter- gäriges Bier gebraut. Die Bautätigkeit auf zwar schon
parzelliertem und mit Straßenraster versehe- nem, aber quasi frei- em Felde begann mit dem Errichten der Lagerkeller. Heute be- findet sich darüber die Berlin Kart-Indoorbahn.
Ausgelegt war die Brauerei für einen Jahresausstoß von 100.000 Hektolitern. Dabei beschränkte man die unternehmerischen Aktivitäten durchaus nicht nur aufs Kerngeschäft, dem Bierbrauen, sondern sorgte auf einem guten Viertel des Gesamtareals mit Veranstaltungen aller Art für den unmittelbaren Absatz des Produkts. 1879 erfolgte die Umbe- nennung in „Vereinsbrauerei Rixdorf“, nach dem Erfolg der Biersorte „Berliner Kindl“ – einem Bier nach Pilsener Art – wurde 1910 schließlich der Name in „Berliner Kindl Brauerei-Aktiengesell- schaft“ geändert. Ein Markenzeichen musste her,
und so entschied
man sich unter über 400 Entwürfen für den von Georg Rä- der.
Bis dahin hatte sich das Unternehmen mehr als 20 kleinere Brau- ereien einverleibt, unter anderem die Königs-brauerei Potsdam (früher Adelung & Hoffmann). Hier entstand nun die Abteilung II (1917 kriegs- bedingt stillgelegt). 1920 wurde die Brauerei Gabriel & Richter in Alt-Hohenschönhausen ge- kauft (Abt. III) und zwei Jahre später auch wieder die Abt. II in Betrieb genommen. Am hiesigen Standort wurde ebenfalls investiert: So entstand zwischen 1926 und 1930 das
„schönste Sudhaus Europas“, ein von Hans Claus und Richard Schepke entworfenes Gebäude, seitdem Wahrzeichen und
unter Denkmal- schutz stehend.
An allen drei Standorten pro- duzierte man Ende der 1930er Jahre 1,1 Mio. Hekto- liter und gehörte damit zu den vier größten Brauereien im Deutschen Reich. 1944 wurde bei einem Flieger- angriff die Kindl-Brauerei schwer getroffen, nach Kriegsende wurden die technischen Anlagenteile demontiert und als Reparations- leistung in die Sowjetunion gebracht. Obwohl bereits 1947 der erste Sud wieder eingebraut wurde, dauerte die Wiederaufbauphase noch bis 1955.
1954 wurde die Schloßbrauerei Schöneberg von der Berliner Kindl-Brauerei, die zu diesem Zeit- punkt selbst schon im Mehrheitsbesitz der Oetker-Gruppe war, übernommen und fünf Jahre später in Bärenbier-Brauerei AG umgetauft. Mit der Teilung Deutschlands verlor die Brauerei ihre beiden Braustätten in Potsdam und Weißensee. Dennoch wurde 1972 im Jahr des 100. Betriebs- jubiläums wieder die Rekordmarke von 1 Million Hektoliter erreicht. 1974 wurden die Gebäude- komplexe der Mälzerei abgebrochen. 1990 erwarb Berliner Kindl alle Geschäftsanteile der Brauerei Potsdam GmbH (die alte Abteilung II) zurück und besaß nun wieder zwei leistungss- tarke Braustätten. 2005 erfolgte die Schließung und Verlagerung nach Weißensee.
Nach einer kleinen Pause war Dr. Rainer Pomp an der Reihe. Bei seinem Vortrag wurde der Geräuschpegel durch Besuchergespräche deutlich höher. Vielleicht haben die Lernpsychologen recht, die behaupten, der Mensch könne nur 20 Minuten wirklich aufmerksam zuhören? Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Historiker den gesamten Text ablas? Viele eingescho- bene Kunstpausen und Ähs sollten wohl das Vorlesen kaschieren, die Aufmerksamkeit des Auditoriums er- höhte es allerdings nicht. Zu hören waren außerdem einige Ungereimtheiten. Als sich Pomp dann auch noch in seiner mitgebrachten Bildsammlung verhedderte, verlor er das Interesse weiterer
Gäste.
So war es geradezu erfrischend, abschließend noch einmal von Andreas Fiedler durch die jüngere Historie und in die Zukunft des Kindl-Geländes geführt zu werden. Nach der Schließung des Brau- ereibetriebs habe das Gebäudeensemble lange Zeit leer gestanden, erinnerte er. Erst 2011 wurde es an ein Ehepaar verkauft: Burkhard Varnholt kommt aus Köln, seine Frau Salome Grisard aus Basel, beide sammeln Kunst und sind an künstlerischem Schaffen interessiert. So sei es naheliegend gewe- sen, dass sie an diesem Ort eine Institution für Kunst schaffen wollen. Darauf würde hingearbeitet werden, versprach Andreas Fiedler: „Der Star ist das Gebäude an sich. Das war auch für mich der entscheidende Grund, mich dieser Aufgabe zu widmen.“
Zur Belebung des Areals seien ein Café und eine Buchhandlung geplant, auf dem jetzigen Parkplatz solle ein Biergarten angelegt werden. Das Kesselhaus werde, so Fiedler, behutsam renoviert: „Seine würfelförmigen Abmessungen von 20 Metern Kantenlänge sind atemberaubend.“ Hier sollen exklusive Arbeiten verschiedener Künstler gezeigt werden. Das Geschoss des Maschinenhauses, in dem sich die Glaskanzel des Maschinenführers befindet, wird Ausstellungs- und Veranstaltungs- raum. Das erste und zweite Geschoss ist Wechselausstellungen vorbehalten. Parallel zu der künstlerischen Arbeit für das Kesselhaus wird es immer eine thematische und eine monografische Ausstellung geben. „Mir ist bewusst, dass wir mit dem KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst in einen Kontext kommen, der schon ein spezieller ist“, räumte Andreas Fiedler ein. Das würde sehr ernst genommen werden – und dazu gehöre auch die Vergangenheit und die Geschichte dieses Ortes.
=kiezkieker=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: alte kindl-brauerei, andreas fiedler (kindl berlin), berlin kart indoor-kartbahn neukölln, dr. rainer pomp, kiezkieker, kindl-zentrum für zeitgenössische kunst, neukölln |