Jahrelang galt für Fahrzeuge auf der Emser Straße: Rechts vor links! Wer sich den Quer- straßen näherte, war also gut beraten, das Tempo zu drosseln und bremsbereit zu sein. Das aber hat sich grundlegend geän- dert. Jetzt ist die Emser Straße als Vor- fahrtstraße ausgewiesen, und wer aus den querenden Straßen kommt, wird durch die obligatorische Beschilderung dazu aufge-fordert, dem Verkehr auf der Emser Straße Vorfahrt zu gewähren. Diese Vorschrift befolgen zwar auch die meisten, aber längst nicht alle, was vor allem das Passieren der Kreuzung Emser-/Ilsestraße zum echten Vabanquespiel macht: In nur drei Tagen ereigneten sich hier zwei schwere Unfälle.
Sonntagnachmittag kollidierten erstmals zwei Autos miteinander; eines davon wurde vor den Eingang zum WerkStadt Kulturverein geschleudert. Doch bei Blech- und Kol-
lateralschäden blieb es nicht: Drei PKW-Insassen zogen sich, wie die Berliner Zei- tung berichtet, schwere Verletzungen zu. Mittwoch krachte es abermals auf der oft recht schwer einsehbaren Kreuzung. Die Weiterfahrt eines Kleintransporters, der auf
der Ilsestraße unterwegs war, wurde dabei jäh von einem auf der Emser Straße fah- renden BVG-Bus gestoppt, für dessen Fahrplan hier selbstverständlich ebenfalls Endstation war.
Zwei der vier an den Kollisionen beteiligten Fahrzeuge standen auch gestern noch am Unfallort. Als abschreckende Beispiele? Dass weitere dazu kommen, ist alles andere als ausgeschlossen. Vielleicht wird also auch für einen Großauftrag an ein Abschleppunternehmen gesammelt? „Die neue Vorfahrtregelung ist wirklich blödsinnig. Da muss eine Ampel hin!“, findet eine Anwohnerin, die vom Küchen- fenster aus direkt auf die Kreuzung sieht und schon etliche Beinahe-Unfälle beob- achtet hat. Auch Hupkonzerte gehören zum alltäglichen Szenario, das insbesondere dadurch verschärft wird, dass die Ilsestraße durch den Dauerstau auf der Hermann- straße von einer relativ ruhigen Parallel- zur stark frequentierten Umgehungs- straße mutiert ist. Zudem nimmt auch die Emser Straße viele auf, die einen
Bogen um das Stop-and-Go auf der Neuköllner Magistrale machen wollen.
Inzwischen lässt sich das Verhalten der Verkehrs- teilnehmer, die diesen neuralgischen Punkt passieren müssen, in drei Kategorien unterteilen: Wer ihn kennt und wenig Wert darauf legt, in einen Unfall verwickelt zu werden, tastet sich – aus welcher Richtung auch immer – vorsichtig in die Kreuzung hinein, um die Lage zu checken. Alternativ gibt es jene, die die freie Fahrt auf der Emser Straße praktizieren, und solche, die – aus der Ilsestraße kommend – immer noch davon ausgehen, dass hier rechts vor links gilt oder das rot- gerandete Dreieck auf dem Bürgersteig nicht wahrnehmen, entsprechendes Ver- halten inklusive.
Von wem aber stammt die Idee, die Em- ser Straße zur Vorfahrtsstraße zu ma- chen? Zwar komme es durchaus vor, dass – meist auf Anregung von Bürgern – lokalpolitisch in den Straßenverkehr ein- gegriffen wird, berichtet Klaus-Peter Mah- lo (CDU). „Sache der BVV ist die neue Verkehrsregelung in der Emser Straße aber nicht“, erklärt er als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Tiefbau und Verkehr in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung und rät zur Nachfrage bei der Straßenverkehrsbehörde Neukölln. Die dortige Mitarbeiterin lacht schon, als sie nur das Stichwort „Kreuzung Emser-/Ilsestraße“ hört. „Nein“, sagt sie, „für diese Änderung sind wir zum Glück nicht zuständig.“ Die sei eine Angelegenheit der Ver- kehrslenkung Berlin (VLB) und hänge mit den Baustellen entlang der U8-Strecke auf der Hermannstraße zusammen.
Sie sorge „für Sicherheit auf den Berliner Hauptverkehrsstraßen“ und optimiere „den Verkehr an und um Großbaustellen“, informiert die VLB auf ihrem Internet-Por- tal. An der Kreuzung Emser-/Ilsestraße kann von diesen Effekten nicht die Rede sein.
=ensa=
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An der Stelle wird schon lange nach gefühlter STVO gefahren, mir wurde da so oft die Vorfahrt genommen, dass es mich eher wundert, dass bislang so wenig passiert. Zeigt aber ganz wunderbar ein großes Problem der Verkehrsteilnehmer: Regelignoranz/Unwissen/Dummheit/Überheblichkeit. Schilder kann man sehen, muss man befolgen, Vorfahrt nehmen ist nunmal kein Kavaliersdelikt. Ein Fahrzeug zu führen nach dem Motto „letztes mal kam auch keiner“ sollte eigentlich zur MPU verpflichten, inklusive Führerscheinentzug bis auf weiteres.
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Das stimmt! Die Verkehrsteilnehmer interessieren sich in der Regel auch nicht für die rechts vor links-Regel. Freie Fahrt für freie Raser 😉
Ganz toll ist es auch, wenn man aus der Siegfriedstraße kommend nach links auf die Hertabrücke möchte. Obwohl man für die von links kommenden Wagen Vorfahrt hat, muß man erstmal bremsen, um zu prüfen, ob die anderen diese Regel kennen.
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