Schätzfrage: Wie viele Neuköllnerinnen und Neuköllner sind es wohl, die sich aktiv einmischen, wenn das Bezirksamt im bestens überhörbaren Flüsterton zur Bürgerbeteiligung am Doppelhaushalt 2014/15 „aufruft“? Schleppt die Post darauf- hin säckeweise Anregungen für die Mittelverwendung ins Rathaus? Legen Mails derer, die sich durch den 548-sei- tigen Haushaltsplan gelesen haben und diesen nun mit Ergänzungen anreichern wollen, den Server der Verwaltung lahm? Oder lassen sich die Reaktionen womöglich doch an nur wenigen Händen abzählen?
Diesmal war nur eine nötig, genau genommen sogar nur ein Finger einer Hand. Gerade mal ein Bürger Neuköllns melde- te beim bezirklichen Steuerungsdienst das Bedürfnis an, die Möglichkeit der aktiven Beteiligung an der Haushaltsplanung zu nutzen. „Eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung der Abteilung Bauen, Natur und Bürgerdienste (Bau- und Wohnungsamt) zur Durchführung des Milieuschutzes, Erfüllung des Wohnungsaufsichtsgesetzes und Überprüfung Zweck- entfremdung von Wohnraum“, lautete sein Vorschlag zur Mittelverwendung. Wenige Tage nach dem Ein- gang des Antrags wurde dieser in Anwesenheit des Antragstellers während einer Doppelsitzung der beiden relevanten Fachausschüsse im Neuköllner Rathaus diskutiert:
Im Bezirk Neukölln gebe es keine Milieuschutzverord- nung, heißt es in der abschließenden Stellungnahme, daher werde zurzeit kein Milieuschutz durchgeführt. Zur Erfüllung des Wohnungsaufsichtsgesetzes sei das vorhandene Personal ausreichend, teilten die Fach- ämter in ihrer Erklärung weiter mit und machen darauf aufmerksam, dass eine Verbesserung/Aufstockung unter Beachtung der Kosten- und Leistungsrechnung „ohnehin nicht möglich“ wäre. Und bezüglich des letzten Punktes seines Antrags erfuhr der engagierte Neuköllner schließlich per Verlautbarung, dass eine „gesetz- liche Grundlage zur Überprüfung von allgemeinem Wohnraum hinsichtlich einer Zweckentfremdung, wie sie im Zusammenhang mit der Thematik der Ferienwoh- nungen gefordert wird“, derzeit nicht gegeben sei.
Mit dem Hinweis „Der Ausschuss hat über den Antrag beraten. Auswirkungen auf den Haushaltsplanentwurf haben sich daraus nicht ergeben“ wurde die Bürger- beteiligung ad acta gelegt. Ohne Änderungsanträge passierte der Haushaltsplan den Hauptausschuss; bei der vorletzten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung wurde der Doppelhaushalt 2014/15 beschlossen. „Eine Bürgerbeteiligung, abge- lehnt. Was eine Farce!“, kommentierte Jochen Biedermann, stellvertretender Frak- tionsvorsitzender der Neuköllner Grünen, die Vorgehensweise via Twitter. Seine vor wenigen Tagen nach sieben Jahren BVV-Zugehörigkeit „aus beruflichen Gründen“ ausgeschiedene Kollegin Hanna Schumacher findet den Umgang der Bezirkspolitik mit bürgerschaftlichen Engagement ebenso empörend. „Dass immer weniger Leute sich die Mühe machen, sich bei Bürgerbeteiligungsverfahren einzubringen, ist schon verständlich“, findet sie.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: bürgerbeteiligung, bezirksamt neukölln, bezirkshaushalt 2014/2015 neukölln, bezirksverordnetenversammlung (bvv) neukölln, hanna schumacher (grüne neukölln), jochen biedermann (grüne neukölln), neukölln, rathaus neukölln |
Kleine Korrektur: es gab sehr wohl eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum Haushalt von Grünen, Linken und Piraten, darunter auch welche zum Milieuschutz. Die sind nur von der Zählgemeinschaft aus SPD und CDU alle abgelehnt worden.
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