Mit sechs bis zehn Leuten hatte Volker Banasiak ge- rechnet. Dass es dann knapp 50 waren, die sich heute Nachmittag am Rathaus Neukölln versammelten, um mit ihm den etwa 2,5 Kilometer langen Stolpersteine-Kiez- rundgang zu machen, übertraf alle Erwartungen. „Eigent- lich“, sagt er, „hätten wir uns als Termin für die Tour den 18. Oktober, den Tag der ersten Deportationen, ge- wünscht.“ Doch stattdessen wurde von den Organisato- ren des Berliner Themenjahrs Zerstörte Vielfalt ent- schieden, dass die Rundgänge in den Kiezen der Haupt- stadt zum Finale der morgen endenden Veranstaltungs-
reihe stattfinden sol- len: am 9. November, dem 75. Jahrestag der Pogromnacht gegen Juden im Deutschen Reich.
Acht Stationen, an denen bereits Stolpersteine verlegt wurden, gehören zur Route, die Banasiak als Gedenktour für die Opfer des Nazi-Terrors entworfen hat. An drei weiteren Stationen, kündigt der Koordinator der Neuköllner Stolpersteine-Initiative an, werde er über Hintergründe des von Gunter Demnig ins Leben gerufenen Projekts informieren. Zudem solle der Kiezrundgang mit einer Putzaktion verbunden werden: „Das wür- den wir in Zukunft gerne zweimal im Jahr machen.“
Als Stolpersteine-Putzpatin ist heute Neu- köllns Kulturstadträtin Franziska Giffey (r.) dabei. Bevor sie an der ersten Station an der Ecke Karl-Marx-/Flughafenstraße zu Lappen und Putzmittel greift, um vier Mes- singplatten zum Glänzen zu bringen, die hier in den Gehweg eingelassen wurden, betont sie die Wichtigkeit der kleinen Mahnmale. Insbesondere für junge Menschen böten sie einen guten Zugang, sie für das Thema zu sensiblisieren.
Die Namen von Jacob und Frieda Löwenthal sowie Julius und Elisabeth Lewin stehen auf den Stolpersteinen. „Löwenthals hatten bis 1939 ein Konfektionsgeschäft hier im Haus“, hat Volker Banasiak recherchiert, „und die Lewins lebten als Unter- mieter bei ihnen.“ Am 14. November 1941 wurden letztere nach Minsk deportiert und ermordet; das Ehepaar Löwenthal wurde 13 Tage später zusammen mit etwa 1.100
Berliner Juden nach Riga gebracht. „Von ihnen weiß man“, so der Stolpersteine-Koordinator, „dass sie wie alle anderen am so genannten Rigaer Blutsonntag gleich nach ihrer Ankunft erschossen wurden.“ Über das Leben der Löwenthals und Lewins sei hingegen nur wenig bekannt, meist müsse man sich mit empirischen Daten aus Akten begnügen.
154 Stolpersteine erinnern derzeit in den Straßen Neuköllns an Opfer des Nazi- Regimes. Am 29. November wird ihre Zahl auf 167 anwachsen.
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