„Der trinkende Wohnungslose, der auf der Straße lebt, ist nicht mehr die Norm. Ob- dachlosigkeit ist in die Mitte der Gesell- schaft gerückt“, sagt Marcel Deck, und er muss es wissen. Denn Deck leitet das Neuköllner Erstaufnahmeheim Die Teupe und hat täglich mit den Auswirkungen des Engpasses auf dem Berliner Wohnungs- markt zu tun. 150 Plätze in 75 möblierten Zweibettzimmern stehen bedürftigen Män- nern und Frauen im Haus 1 der Einrichtung zur Verfügung. Zusätzlich gibt es eine Notaufnahme mit sechs Betten. „In 2012“, be- richtet Marcel Deck, „hatten wir eine Auslastung von 84,9 Prozent.“ Vor gut zweiein- halb Jahren wurde die Teupe durch das Haus 2 erweitert, um einen separaten Fami- lienbereich anbieten zu können, der insbesondere die Kinder „vor der Konfrontation mit Problemlagen, die bei der konventionellen Mischunterbringung üblich sind“ schüt-
zen soll. Ein Modellprojekt in Berlin.
Neun Zimmer verschiedener Größen wurden in jeder der drei Etagen im Haus 2 eingerichtet. Bei Bedarf können einzelne Zimmer miteinander verbunden wer- den, um Platz für bis zu siebenköpfige Familien zu schaffen. Gekocht wird in den Gemeinschaftsküchen, die in jedem Stockwerk zur Verfügung stehen. „Wir sind ein Selbst- versorger-Haus“, skiz- ziert Marcel Deck den Alltag im Wohnheim, das durchschnittlich regelmäßig mit 24 Familien belegt ist, die sich außer der Küchen
auch die Waschmaschinen und sanitären Anlagen teilen.
Die junge Familie, die zuvor im Berliner Bezirk Mar- zahn-Hellersdorf wohnte und aus Ex-Jugoslawien stammt, tut das bereits seit einem Dreivierteljahr. Zu zweit zogen sie damals in der Teupe ein, drei Monate später waren sie zu dritt. Bereitwillig zeigt das Ehepaar den Mitgliedern des Neuköllner BVV-Sozialaus- schusses bei dessen Sitzungstermin in der Ob- dachlosenunterkunft das Zimmer: 21,78 Qua- dratmeter, zwei Betten für die Eltern, ein Kin- derbett, ein Tisch, zwei Stühle, Kleiderschrank und Kühlschrank. Nichts davon gehört der Fami- lie. Sie haben nur noch sich, ihre Kleidung, einige persönliche Dinge und einen Fernseher – aber wenigstens ein Dach überm Kopf.
Anders als diese Familie, erklärt Einrichtungsleiter Deck, hätten viele Menschen, die in der Teupe unterkommen, noch nie vorher eine Wohnung in Deutschland gehabt: „Der klassische Weg ist aber, dass sie wegen einer bevorstehenden Räumung oder nach der Zwangsräumung zu uns kommen.“ JobCenter, Ablehnungsbescheid, So- zialgerichtsbeschluss, ASOG. Für den Neuköllner Sozialstadtrat Bernd Szczepanski gehören Begriffe wie diese längst zum Arbeitsalltag wie der Schreibtisch. „Im Job- Center“, bemängelt er, „werden immer wieder Entscheidungen getroffen, die sehr kri-tisch sind und juristisch aufgehoben wer- den müssen.“ Doch das dauere selbst bei Einleitung eines Eilverfahrens etwa vier bis sechs Wochen. Um einen Anstieg der Zahl derer zu verhindern, die ob Streitigkeiten um Wohnkosten-Übernahmen mit dem JobCen- ter obdachlos zu werden drohen, hat Szcze- panski dem „JobCenter Neukölln die Wei- sung erteilt, Mieten zu übernehmen“. Und dabei geht es ihm nicht nur um menschlich-soziale Aspekte, sondern auch um rechne- rische.
Auf 16,84 Euro beläuft sich derzeit der Pro-Kopf-Tagessatz für die Unterbringung in der Teupe; die Verweildauer liegt im Mittel zwischen acht Tagen und sechs Monaten, kann aber in Einzelfällen auch weit darüber hinaus gehen.“Für fast zwei Drittel der derzeit im Haus 2 lebenden Familien liegt“, so Marcel Deck, „die finanzielle Zustän- digkeit beim Bezirksamt/JobCenter Neukölln.Würden die Familien auf der Straße landen, wäre das eine Gefahr für sie, erklärt der Sozialstadtrat. Deshalb sei hier die Gefährdungsprävention einzuleiten – und das ASOG, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, als Rechtsgrundlage anwendbar.
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