Ein Interview mit Andreas Hoffmann, dem Inhaber der Lavanderia Vecchia, ist eine wahre Herausforderung. Meine Fragen kann er nur nebenbei beantworten, weil er ansonsten an der Kasse steht, Stühle für weitere Gäste herbeischafft, sich um die Platzierung der Gäste kümmert und anderes mehr. Also stelle ich mich an den Bartresen, trinke einen leckeren Cappuccino, schaue mich im Restaurant um und warte darauf, dass Zeit für die Fortsetzung des Gesprächs ist.
Anlass meines Besuches ist das kostenlose Mit- tagessen, zu dem die Lavanderia Vecchia einmal im Monat berlinpass-Inhaber einlädt. Den berlinpass gibt es seit Januar 2009, und ihn erhalten Menschen, die Leistungen nach Hartz IV, Sozialhilfe, Grund- sicherung oder dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen.
Im April 2010 eröff- nete die Trattoria in einer früheren Wä- scherei im zweiten Hinterhof eines Hauses in der Neuköllner Flughafenstraße. Zu Anfang noch ein Geheimtipp, ist das Restaurant mittlerweile über die Grenzen des Bezirks hinaus bekannt. „Ende des Jahres 2010, nach einem erfolgreichen ersten Halbjahr“, erzählt Andreas Hoffmann, „hatte meine Frau die Idee, Menschen, denen es finanziell nicht so gut geht, etwas zurück- zugeben.“ Wer hat, solle auch geben, sagte sie damals zu ihm. Seitdem gibt es daher immer am letzten Mittwoch im Monat den Gratismittagstisch für berlinpass-Inhaber. An diesen Tagen wird ausnahms- weise auch nur ein Menü gekocht.
Andreas Hoffmann schätzt, dass immer etwa 60 bis 70 Gäste das Angebot an- nehmen, mit ihrem berlinpass statt mit Geld zu zahlen. Die meisten würden wohl aus Neukölln sein, meint er. Die Zahl der Eingeladenen sei in der letzten Zeit etwas gestiegen, doch bisher musste noch nie- mand abgewiesen oder die Zahl der Plätze beschränkt werden. Es kann jedoch sein, dass man – egal ob Selberzahler oder Aufs-Haus-Esser – während der Mittagszeit ein wenig warten muss, bis ein Tisch frei wird. Das kommt aber auch sonst beim Pranzo in der Lavanderia Vecchia vor, in der abends nichts ohne Reservierung geht.
Da ich aufgrund der eingangs geschilderten Situa- tion Zeit habe, komme ich auch mit Rosa Beutel- spacher ins Gespräch. Die sympathische, offenbar stressresistente Köchin hat früher im Edel-Res-taurant Facil am Potsdamer Platz gearbeitet, das mit einem Michelin-Stern aus- gezeichnet wurde. Seit einem Jahr kocht sie nun in der alten Wäscherei: für das September-berlinpass-Menü Casareccie mit Kalbsbäck-chenragout als Hauptgericht. Bei der Vorspei- se können die Gäste zwischen gemischtem Salat und Kürbissuppe wählen, als Dessert wird Mascarponecreme mit Quitte serviert. Die Getränke werden normal abgerechnet, Leitungswasser
spen- diert der Brunnen.
Das Restaurant selbst ist wie ein Stück Italien in Neukölln. Schaut man sich aufmerksam um, fallen einem immer mehr Einzelheiten auf. Der lautlos geschaltete Fernseher zeigt eine Kochsendung des italienischen Senders RAI 1, ein Bild hinter der Bar den heiligen St. Antonio, Blechschilder werben für italie- nische Produkte. Inmitten des Raumes steht ein Brunnen, in den die
Gäste ihr Trinkgeld werfen können. Das Befühlen der gewaschenen Scheine beweist mir: Bei allen Ängsten der Menschen über den Geldwert des Euro, den Nässetest kann er bestehen.
Angesprochen auf seine Italien-Affinität, meint Andre- as Hoffmann, dass er die schon als Jugendlicher gehabt habe. Inzwischen besitzen er und seine Frau Renate mit der Lavanderia Vecchia und deren kleiner Schwester namens Lava, die vor neun Monaten im Vorderhaus eröffnet wurde, nicht nur zwei Restaurants mit italienischem Flair, sondern auch nördlich von Rom ein kleines Häuschen. Er selbst spricht gern von „unserer Datscha“. Auf mein Bekenntnis, dass ich im nächsten Leben gern ein Italiener sein würde, entgegnet Signore Hoffmann, dass er vorhat, das schon in diesem Leben zu schaffen. Wenn ich mir seine wuselige Art, seine südländisch anmutende Gastfreundschaft und die dolce vita verströmende Trattoria beschaue, ist er auf dem besten Wege dazu.
Das nächste Gratismenü für berlinpass-In- haber wird am 30. Oktober in der Lavanderia Vecchia serviert.
Vom 29. September bis 7. Oktober macht das Restaurant Urlaub. Die Lava, die Kulinarisches aus Italien mit einer Cross- over-Küche kreuzt und eine ständig wechselnde Mittagskarte bietet, bleibt während der Zeit geöffnet.
Die nächste Steinle-Kiezführung beginnt am 5. Oktober um 15 Uhr und steht unter dem Motto „Damals und Heute am Richardplatz“.
=Reinhold Steinle=
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