Während draußen schon auf das Kirchenfest am kommenden Sonntag hingewiesen wurde, fei- erte man in der Genezareth-Kirche vorgestern Nachmittag erstmal einen runden Geburtstag:
das 30-jährige Be- stehen der Tee- und Wärmestube Neu- kölln.
Es war die Pfarrerin Annemarie Werner, die das Hilfs- projekt samt Kleiderkammer für Obdachlose 1983 ins Leben rief und – gegen einigen Widerstand – im damaligen Gemeindehaus an der Schillerpromenade einrichtete. Befürchtungen um die Räumlichkeiten habe es im Vorfeld gegeben, beschreibt sie die Anfänge von Berlins zweiter Wohnungslosen-Tagesstätte. Andere wiederum seien besorgt gewesen, dass das Klientel die „ordentlichen Menschen“ abschrecken könne: „Es waren die Ältesten der Gemein- de, weise und lebenserfahrene Menschen, die sahen, dass da nicht das große Chaos ausbrach.“ Die Erkenntnis, dass ein solches Projekt dem Ansehen der Kirche nur nützt statt schadet, trug ebenfalls zur Akzeptanz bei.
Zehn Jahre später gründete sich ein Förderverein zur Unterstützung der Tee- und Wärmestube, die zu die- sem Zeitpunkt bereits auf das kontinuierliche, tatkräf- tige Zutun zahlreicher Spender und Ehrenamtlicher bauen konn- te. Ohne sie wäre die Arbeit der beiden hauptamtlichen TuW-Angestellten Christine Flohr (l.) und Dieter Ziolkowski (2. v. l., ne- ben Pfarrerin Elisabeth Kruse) erheblich schwieriger wenn nicht gar unmöglich“, hob Siegfried Lemming, Geschäftsführer des Diakoniewerks Simeon, hervor, das 2011 die Trägerschaft für die Einrichtung übernahm, die 2004 vom Gemeindehaus in eigene Räume in der Weisestraße 34 umgezogen war.
„Indes“, so Lemming, „ist die Förderung durch das Bezirksamt Neukölln ein ständiges Ringen.“ Gerade mal 3 Millionen Euro seien in den 30 Jahren des Be- stehens in das Projekt geflossen.
Das bedauerte auch Sozialstadtrat Bernd Szczepanski in seinem Grußwort. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die soziale Kälte zunehme und man sich in der Tee- und Wärmestube Neukölln dieser Entwicklung mit aller Kraft entgegenzu- stemmen versuche, werde er sich dafür einsetzen, der Einrichtung, die „einfach menschlich, mit warmen Getränken, warmen Herzen und ohne großes Brimborium hilft“, auch weiterhin die größtmögliche Unterstützung zukommen zu lassen, ver- sicherte der Neuköllner Stadtrat.
Hilfe, betonte er, komme aber auch aus dem Privathaushalt der Szczepanskis: „Wir haben schon häufig Kleidung in der Tee- und Wärme- stube abgegeben.“ Und dann sei da ja noch die Sache mit dem großen, weißen Teddy gewesen, den seine Frau loswerden wollte. Mit emotional angeschlagener Stimme erzählte Bernd Szczepanski, dass er kaum mit dem Plüschtier durch die Tür gewesen ist, als sich schon eine Besucherin der Einrichtung des Bären angenommen hatte und den gar nicht mehr loslassen wollte. „Inzwischen ist er sehr bräunlich“, ließ Genezareth-Gemeinde-Pfarrerin Elisabeth Kruse Szczepanski wissen, bevor sie ihm ein aktu- elles, gerahmtes Foto des sichtlich abgeliebten Teddys überreicht. „So was nimmt mich immer sehr mit“, gestand der Stadtrat.
Was ihn dagegen bewegt und ärgert, ist, „dass ich dem Wunsch nach einer Er- höhung der Förderung für die Einrichtung leider nicht entsprechen konnte.“ Dass die Zahl der TuW-Gäste im letzten Jahr auf fast 8.000 angestiegen ist, die Teilnahme an freizeitpädagogischen Aktivitäten stetig zunimmt, wesentlich häufiger in der Weise- straße 34 die Dusche und Waschmaschine in Anspruch genommen werde – all das fließe zwar in die Richtlinien der Förderung ein. „Aber“, so Szczepanski, „letztlich wer- den die wahren Kosten durch die Kosten-Leistungs-Rechnung komplett verzerrt.“ Denn die würde nach einem berlinweiten Schlüssel aufgestellt, bei dem Neukölln z. B. schon durch die Anzahl der Mitarbeiter im Sozialamt benachteiligt sei.
Mit welchen Problemen die Wohnungslosen und Bedürftigen tagtäglich konfrontiert sind, das brachte auf sehr humorvolle Weise die Improvisationstheater-Gruppe des Kultur von der Straße e. V. zum Ausdruck. „Ganz genau so ist das“, bestätigte einer, der häufig in der Tee- und Wärmestube zu Gast ist. Wann er zuletzt in einer Kirche
war, daran könne er sich nicht erinnern. Mit Gott habe er es nicht so. Wenn häufiger ein Programm wie heute – mit dem Jugendchor Genezareth (l.) und seinem Linie 1- Musical, einer Quizrunde (r.) mit Gewinnen sowie einem Geburtstagskuchen und -büffet – geboten würde, meint er, dann würde er vielleicht trotzdem öfter kommen: „Das war ein richtig schöner Nachmittag.“
Die Chronik „30 Jahre Tee- und Wärmestube Neukölln“ kann hier im pdf- Format heruntergeladen werden.
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