Es war ein Angebot der Kategorie „unwiderstehlich“, das unserer Anfrage folgte: Eigentlich hatten wir nur die Absicht gehabt, Blicke aus der immerhin auch über 60 Meter hohen oberen Etage in die Tiefe zu werfen. Wir dürften auch aufs Dach, schrieb uns Annemarie Hirschberg aus dem PR- und Marketing-Sekretariat des Estrel Hotels zurück, und kündigte an, dass von dort die Aussicht über die Stadt noch
besser sei.
Zwar zählt das 1995 er- öffnete, nach Eigentü- mer Ekkehard Streletzki benannte Hotel in Sachen Höhenmeter nicht zur Top 10 in Deutschland, was die Zimmerzahl betrifft, schlägt es andere Häuser aber um Längen: 1.125 Zimmer sind in dem 65 Meter hohen Gebäude untergebracht, das einschließlich Dachaufbauten alle anderen Bauwerke Nord-Neuköllns überragt. Mit einem der Aufzüge fahren wir ins 16. Stockwerk. Sogar eine 13. Etage gibt es – Aberglaube hin oder her. „Dafür haben wir keine Zimmer mit der Nummer 13″, erwähnt Annemarie Hirschberg, bevor sie erklärt, dass der 16. Stock der höchste öffentlich zugängliche sei, weil sich die 250 Quadratmeter große Präsidentensuite über die gesamte 17. Etage erstrecke. Durch das
Treppenhaus geht es an ihr vorbei, 38 Stufen sind es bis zum Dach: Ein Security-Mitarbeiter schließt Annemarie Hirschberg, zwei Estrel-Trainees und uns den Weg frei. Wieder einmal bedeutet unsere Serie „Neuköllner Absichten“, dass nicht nur wir in den Genuss kommen, eine neue Facette eines Gebäudes zu erleben.
Hinter der hohen Brüstung, die die Dachplattform umgibt, versteckt sich die wohl ra-
santeste und steilste Rutsche Berlins. Auch beim Blick über die südliche Dachkante offenbart sich Schnelligkeit: Neben dem Gelände des Wilhelm Reuss Lebens- mittelwerks, wo noch vor nicht allzu langer Zeit Schrebergärten waren, wird der Bau der A100-Verlängerung zügig voran getrieben. Danach geht es den bereits verlasse-
nen Parzellen weiter östlich an den Kragen. Im Estrel sehe man der Autobahn gelassen entgegen, sagt Annemarie Hirschberg. Statt auf Kleingärten werden die Gäste von Südseite-Zimmern dann auf einen begrünten Deckel gucken, unter dem die Schnellstraße verläuft. Eine der beiden Trainees erzählt, dass sie dort wohnt, wo der A100-Tunnel endet, und klingt dabei weniger entspannt.
Der blaue Himmel spiegelt sich im Neuköllner Schiffahrtskanal wider, das grelle Sonnenlicht intensiviert das Rot der Hausdächer und das Weiß des Fernheizwerks
Neukölln. Nordwestlich blinkt etwas Güldenes. Die Verortung markanter Gebäude und Fixpunkte ist im Kopf eine andere als in der Realität, die sich aus dieser Per-
spektive präsentiert. Die Topographie verschwindet fast völlig, stellen wir wieder einmal fest. Die Berliner Bezirke rücken zusammen, die Randgebiete der Hauptstadt gehen nahtlos ins brandenburgische Umland über. Der Siegfried-Aufhäuser-Platz vor dem westlichen Zugang zur S-Bahn-Station Sonnenallee wirkt von hier oben wie eine
Grünanlage, vom Dach der Bahnhofshalle ist nur die Spitze zu sehen. Nicht alle Gebäude, von denen wir bereits Ab- sichten genossen ha- ben, machen es uns so leicht wie der Rathaus- Turm oder die Philipp-Melanchthon-Kirche wiedergefunden zu werden. Vieles, was vom Standpunkt des Straßenniveaus als herausragend erscheint, verliert mit dem Perspektivwechsel an Wirkung, anderes gewinnt.
Ein Hubschrauber nähert sich dem Estrel. Per Auto, zu Fuß, mit der S-Bahn, auf dem Wasserweg – all diese Arten der An- und Abreise sind möglich, sogar einen eigenen
Bahnhof hat Deutsch- lands größtes Hotel. Das Landen auf dem Dach ist allerdings nicht machbar. Ein
noch längerer Aufent- halt für uns hier oben leider auch nicht.
Wir lassen ein letztes Mal die Blicke in die Ferne und auf das, was unter uns liegt, schweifen, nehmen die 38 Stufen durch das Treppenhaus in umgekehrter Richtung und einen Aufzug, der uns ins Parterre bringt. „Hier im Haus“, sagt Annemarie Hirschberg, „haben wir ja öfter
Filmteams und Presseleute.“ Daran, dass jemals Kollegen von uns aufs Dach des Estrel Hotels wollten, kann sie sich nicht erinnern. Wir waren sehr gerne die (viel-leicht) Ersten und stehen – nach den 16 Stufen, die zum Haupteingang führen – wieder auf der Ziegrastraße, die ihren Namen von Hugo Ziegra, einem ehemaligen Neuköllner Stadtrat und Direktor der Kindl-Brauerei, bekam.
NächsteÜbernächste Woche geht es mit unserer Serie „Neuköllner Ab- sichten“ und einem neuen spannenden Perspektivwechsel weiter.
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Annemarie Hirschfeld oder Annemarie Hirschberg, ihr müsst euch schon entscheiden!
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Sorry … und danke für den Hinweis.
Entschieden war es ja aber schon vorher, mit 5:1 für -berg.
Jetzt, nach der Korrektur, steht es 6:0 gegen -feld.
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Sehr schöne Bilder. Also auf dem Dach waren wir noch nicht aber unser Zimmer lag schon des öfteren in luftiger Höh mit super Blick.
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