„Ich komm mit, ich war auch noch nie da oben!“, hat Bärbel Ruben beschlossen, als sie uns – begleitet vom Hausmeister – im Foyer des Hauses der Volks-bildung empfängt. Die Pressereferentin der Neuköll- ner Bezirksamts-Abteilung Bildung, Schule, Kultur und Sport arbeitet zwar in dem Gebäude in der Boddinstraße, aber was man von dessen Turm aus sieht, hatte sie sich vorher nie gefragt.
Per Aufzug geht es bis zur 3. Etage, und dann in das Büro der Frau- enbeauftragten. Deren Schreibtisch steht direkt neben der Tür, die nur mit einem Generalschlüssel zu öffnen ist und sehr selten geöffnet wird. Vielleicht wäre das
Bedürfnis größer, es zu tun, wenn auf der Tür „Aufgang zum Turm“ statt „zum Boden“ stünde.
Eine steile Treppe führt – vorbei an meterhohen Regalen voller Aktenordner – der Spitze des einst von Reinhold Kiehl entworfenen Gebäudes entgegen. „1912/13 wurde es als Realschule für Jungen eröffnet, 1918 zum Reform-Real- gymnasium für Jungen, nach 1924 zur Walter-Rathenau-Schule, 1933 zur Richard-Wagner-Schule und 1938 zur Lettow-Vorbeck-Schule umbenannt“, so die Recherchen von Julia Dilger, der Sammlungsleiterin des Museums Neukölln. Nach dem 2. Weltkrieg habe das Haus, das 1944 zerstört wurde, eine Berufsschule für Mechaniker und Dreher beherbergt, bevor es 1985/86 komplett umgebaut wurde. Seitdem sind hier die Volkshochschule Neukölln, die Musikschule Paul Hindemith und das – früher „Abteilung Volksbildung“ genannte – Ressort Bildung, Schule, Kultur und Sport des Bezirksamts Neukölln untergebracht. „Praktisch wäre es natürlich, wenn auch noch das Kulturamt, das im Saalbau seinen Sitz hat, hier einziehen
könnte und Stadträtin Franziska Giffey all ihre Abteilungen unter ei- nem Dach hätte“, sagt Bärbel Ruben, „aber für das ist
einfach kein Platz.“
Das Ende der Wendeltrep- pe ist erreicht, der Haus- meister hat die Tür aufge- schlossen, die nach drau- ßen führt. Eine der ersten Absichten fällt auf den Vorplatz des Hauses, der noch in diesem Jahr mit Soziale Stadt-Mitteln des Quartiersmanagements Flug- hafenstraße umgestaltet werden soll. Der Boddinplatz liegt tief unter uns, noch weiter östlich ragt der Turm des Neuköllner Rat- hauses aus dem Häusermeer empor. In Richtung Westen reicht der Blick weit über den Radarturm des ehemaligen Flugha- fens
Tempel- hof hinaus, ebenso deut- lich ist aber – neben dem Nordneuköllner West-Ost-Gefälle – auch, dass wir uns nur wenig über Traufhöhe befinden. Was
vom Geneza- reth-Kirchturm (r.) übrig ist, hebt sich kaum von den umliegenden Dächern hervor. „Das ist ja absolut groß- artig hier“, findet Bärbel Ruben. „Eigentlich sollte ich öfter mal meine Kaffeepause hier verbringen.“ Ihre Chefin Franziska Giffey, merkt sie an, kenne das Türmchen üb- rigens bisher auch nur aus der Per- spektive von unten: „Gut möglich, dass sie mitgekommen wäre, wenn sie nicht gerade im Urlaub wäre.“ Oft bräuchte es ja doch Anlässe von außen, um den Blick
für die Besonderheiten dessen zu schärfen, was einen täglich umgibt. Unsere Bli- cke treffen auf eine Leiter, die zu einer Luke in der Decke der zylinderförmigen Kuppel führt. „Da kletter ich aber nicht mit hoch“, hält der Hausmeister fest und antwortet mit „Müsste gehen“
auf die Frage, ob sich die Klappe problem- los öffnen ließe. Es ging!
Der Aufstieg um weitere fünf Meter ist eine Erhöhung um gefühlte Welten und belohnt mit einer völlig neu- en Perspektive auf das Panorama. Die Spitzdächer der benachbarten Mietwohn- Anlage „Neukölln“ sind überwunden, die Türme der Sehitlik-Moschee sind plötzlich zu sehen und in weiter Ferne sogar der Große Müggel- und der Teufelsberg. Nur in südlicher Richtung bleibt die Aussicht bis zum Horizont durch den Kindl-Boule-
vard-Komplex verwehrt. Aber das kann dem Gesamteindruck, den wir vom Turm des Hauses der Volksbildung mitneh-
men, nichts anhaben.
„Falls Sie auch mal gucken wol- len, was man von da oben alles sieht, sagen Sie mir Bescheid“, bietet Bärbel Ruben der Frauenbeauftragten an, als wir auf dem Rückweg wieder deren Büro passieren. Die Pressereferentin hat einen Generalschlüssel für das Gebäude und weiß nun, dass der Aufgang hinter der Tür ein schönes Stück höher als bis zum Boden führt.
Unsere Serie “Neuköllner Absichten” lädt nächste Woche zu einem weiteren Perspektivwechsel ein. Dann ist wieder ein Gebäude an der Reihe, das von Publikum erklommen werden darf.
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