„Das ist immer da und geht nie weg“

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ singt Udo Jürgens, der inzwischen selber stramm auf die 80 zugeht, seit 1978. Für Ruth-Silvia Niendorf war es mit 66 Jahren vorbei: Am 9. Juli 1986 erhängte sich die Rentnerin – aus Verzweiflung, dass sie mit trümmerfrauen-denkmal_hasenheide neuköllnihrer schmalen Rente eine Mieterhöhung von 76 Mark nicht bezahlen konnte.

Vier Jahrzehnte vorher hatte die Berlinerin zusammen mit zehntausenden anderer Rubble Women, wie die Bauhilfs-arbeiterinnen von den Amerikanern genannt wurden, aus der vom 2. Weltkrieg zerbombten Hauptstadt 5 Millionen Tonnen Trümmer beseitigt. 26 dieser Trümmerfrauen erhielten 1952 das Bundesverdienstkreuz; im selben Jahr wurde die Bild- hauerin Katharina Szelinski-Singer vom Berliner Senat be- auftragt, ein Trümmerfrau-Denkmal zu gestalten: Am 30. April 1955 wurde es in der Neuköllner Hasenheide enthüllt.

Darüber hinaus findet eine Anerkennung der Leistungen der Trümmerfrauen seitens der Politik nicht statt: Bei der Rente werden die Jahre, in denen sie maßgeblich zum Wieder- trümmerfrauen-gedenkmarsch_berlinaufbau Deutschlands beitrugen, nicht berechnet, Entschädigungszahlungen erhielten sie ebenfalls nicht. „Das ist ein Skandal“, findet Hans Ohn- macht, der zweite Vorsitzende vom Senioren-schutzbund (SBB) Graue Panther. Um auf ihn auf- merksam zu machen, hat der Verein den 9. Juli, Ruth-Silvia Niendorfs Todestag, zum Gedenktag für die Trümmerfrauen ernannt.

Mit Transparenten, Plakaten und einem Blumen- gebinde zogen heute Vormittag etwa 20 Senio- rinnen und Senioren vom Hermannplatz zur Hasenheide. „Ich war sechs Jahre alt, als ich mit ansehen musste, wie die Frauen mit bloßen Händen in den Trümmerbergen geschuftet haben“, sagt ein Mann. Mit der trümmerfrauen-gedenkmarsch_neuköllnTeilnahme am Gedenktag würdigt er Jahr für Jahr, was er niemals ver- gessen wird: „Keinen Pfennig haben die für die Arbeit bekommen, nur trümmerfrauen-gedenktag_seniorenschutzbund graue panther_neuköllnbes- sere Lebens- mittelkarten.“

Gisela Nagel ist zum ersten Mal dabei. Auch das Denkmal im Volkspark Hasenheide hat sie nie zuvor gesehen. Es ist die Neugier, die die 86-Jährige zur Gedenkveranstaltung des Seniorenschutz- bundes getrieben hat: „Ich wollte doch mal gucken, ob ich hier ein paar von uns treffe.“ Hans Ohnmacht muss ihr diese Hoffnung nehmen. In den Reihen des Vereins gebe es nur trümmerfrauen-gedenktag_hans ohnmacht_hasenheide neuköllnnoch fünf Trümmerfrauen, von denen sei aber leider keine da.

„Seit 1987“, erinnert er am Denkmal, „tref- fen wir uns hier jedes Jahr, um Ruth-Silvia Niendorf zu gedenken und die Arbeit der Trümmerfrauen zu würdigen.“ Sie, die heu- te oft in Altersarmut leben und  mehr und mehr in Vergessenheit geraten, seien es, trümmerfrauen-gedenktag_hasenheide neuköllnso Ohnmacht, die Deutschland zu dem gemacht haben, was es heute ist. Eine Wert- schätzung durch die persönliche Anwesenheit von Poli- tikern würden die wenigen noch lebenden Trümmerfrauen dafür auch heute nicht erfahren, hatte der Vereinsvor- sitzende bereits am Hermannplatz bekanntgeben müssen: „Merkel und Wowereit haben aus Termingründen abgesagt und Gauck hat sich gar nicht gemeldet.“

Gisela Nagel steht, auf ihren Rollator gestützt, am Rande des Geschehens. Sie war 17 Jahre alt, ihre Schwester drei Jahre jünger, erzählt sie, als es mit der Beseitigung der Kriegsschäden begann. „Weil ich damals nur 35 Kilo trümmerfrauen-denkmal_volkspark hasenheide_neuköllnwog, wurde ich nicht zum Steineschlep- pen, sondern zum Steineklopfen im Koelt- zepark in Spandau eingesetzt.“ Dafür habe die vierköpfige Familie Lebensmittelkarten für 500 statt 300 Gramm Brot und 40 Gramm Zucker bekommen – für 10 Tage. „Aber auch das war natürlich viel zu wenig bei der harten körperlichen Arbeit.“ Oft, sagt Gisela Nagel, seien die Frauen vor Hunger bewusstlos zusammengebrochen: „Die Erinnerung an das, was wir in den drei Jahren erlebt haben, ist immer da und geht nie weg.“ Besonders schlimm sei der Winter 1946/47 gewesen. Damit, dass sie einmal 86 Jahre alt werden würde, hätte sie damals nicht gerechnet, als der Tod näher als das Leben war.

=ensa=

2 Antworten

  1. Ich finde eure Infos meistens interessant und oft richtig gut und wichtig.
    Warum aber berichtet ihr immer nur über Sachen, die schon vorbei sind?
    Das ist auch ganz nett, aber besser wäre doch eine Info vorher!
    Dann könnten Leute, die eine Sache unterstützen wollen, dabei sein.
    Und es wäre doch sinnvoll, z. B. über Facebook solche Infos zu verbreiten.
    Wenn cih davon gewusst hätte, wäre ich zu dieser Demo gekommen un hätte noch mehr Menschen eingeladen, weil ich es einen Skandal finde, 1. dass in unserem reichen Land Alterarmut zum Thema geworden ist,
    2. wie die unbezahlte Arbeit von Frauen missachtet wird.

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    • Danke fürs Lob.
      Bei dem Vorwurf, dass wir “immer nur” über Sachen berichten, die schon vorbei sind, fühlen wir uns allerdings nicht angesprochen, weil das schlichtweg nicht der Fall und uns der Service-Aspekt für unsere Leser sehr wichtig ist.

      Infos über Veranstaltungen und sonstige Mitteilungen, die wir per E-Mail als Presse-Info erhalten, veröffentlichen wir im Übrigen auf unserer Facebook-Seite, die über den Button oben links abonniert werden kann.

      Zum Thema Trümmerfrauen erhielten wir gestern noch folgenden interessanten Link vom SSB Graue Panther Niedersachsen:
      http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=5478
      Eine weitere Info, die eine Veranstaltung am 6.9. ankündigt, muss noch eingescannt werden und wird dann via FB gepostet.

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