Macht’s jut, Nachbarn!

Was 1999 als Fête des Voisins im 17. Bezirk von Paris begann, wurde schon im Folgejahr in ganz Frankreich zelebriert. Seit 2004 gibt es das Fest der Nachbarn, das seitdem  European  Neighbours‘ Day  heißt, europaweit – und  heute  wird  es  wieder

moonkeys club berlin_neukölln

gefeiert. In ganz Berlin und folglich auch in Neukölln soll so das Ziel verfolgt werden, dass sich Nachbarn besser kennenlernen und ihr Zusammenleben freundlicher und solidarischer abläuft. Wie wichtig Kommunikation dabei ist, hat man beim Moonkeys Club schon vor dem Fest der Nachbarn begriffen: Seit Tagen gibt es dort zusätzlich zum Coffee to go auch einen kleinen Spanisch-Kurs zum Mitnehmen.

Viel Genuss und wenig Zeit

next organic berlin_flughafen tempelhofKaum war sie da, war sie auch schon wieder weg. Nur acht Stunden währte am vergangenen Sonntag die Next Organic Berlin (NOB) – und mit ihr die Ver- wandlung der Haupthalle des ehemaligen Flug- hafens Tempelhof in eine  kulinarische Erlebniswelt, bei der auch Neukölln beachtliche Akzente setzte. 

„Bereits um 12 Uhr, also zwei Stunden nach der Öffnung, konnten wir den 500. Besucher zählen“, verkündet Pressesprecherin Kati Drescher beim Rundgang für Medienvertreter, der zu 10 Ausstellern führt und das breite Spektrum der insgesamt 165 Unternehmen umreißen soll, die sich hier präsentieren. Ihr gemeinsamer Nenner 4_next organic berlinsind ökosozial innovative Bio-Produkte. Die stellen sie her, verarbeiten oder vermarkten sie – als Start Up- Betriebe oder als Firmen, die sich längst am Markt etabliert haben. „Wir möchten den Begriff Bio aufbrechen und die Schnitt- stelle zwischen kleinen Manufakturen, Unter- nehmen oder Innovatoren und Handel, Hotel- lerie oder Gastronomie neu managen“, fasst Michael Frühbis vom Le Schicken Verlag, NOB-Ko-Veranstalter und Kurator der Gas- tro-Lounge „Foodopisten“, das Konzept der Fachmesse zusammen. Fachmesse, erklärt er noch, wolle man aber eigentlich auch nicht genannt werden, denn die Next Organic Berlin verstehe sich eher als eine „Kombination aus interdisziplinärer Vernetzungs-Plattform, Marktplatz und Trendshow“.

Einer, der den Sprung von der Idee zum Produkt mit Erfolgskurs-Potenzial bereits geschafft hat, ist Nils Beierlein (l.). „Mein Gedanke war, den besten Eistee der Welt auf den Markt bringen zu wollen“, erzählt er. AiLaike heißt das Ergebnis, das auf einem über 100 Jahre alten  Rezept, richtigem  Tee, rein pflanzlicher  Süße und  hoch-

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wertigen Früchten basiert. „Saft kommt mir nicht in die Flasche“, versichert der Jung-Unternehmer aus Mainz, „denn der würde den Teegeschmack total verfälschen.“ Um ein besonderes Geschmackserlebnis geht es auch Domantas Uzpalis, der vor drei Jahren in seiner Heimat Litauen Chocolate Naive (l.) gründete. Ebenso wichtig ist dem Chocolatier jedoch, dass Schokolade wieder als Genussmittel in den Fokus des Verbrauchers rückt. Seine Produkte, so die Philosophie, sollen dabei helfen, eine Brücke zwischen den Bohnenbauern und den Kunden zu schlagen. Boris Grö- nemeyer (r.) hat sich dagegen ganz dem Herzhaften verschrieben. Mit King of Salt nutzt  er das Urmeersalz  der zuvor  lange brach  liegenden Quelle in Bad  Essen, ver-

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edelt es und kreiert in einem Spezialverfahren Salze zum Sprühen, um eine perfekt portionierbare Würzbasis zu schaffen.

Originell, innovativ und qualitativ hochwertig, das sind Begriffe, die auf der Next Organic Berlin allgegenwärtig sind und mit Leben erfüllt werden: Von den Foo- dopisten (l.), die bei ihren Live-Koch-Shows „unjerollten Rollmops“, „Fünf Elemente“, einen  „Keine-Eier-Salat“  oder  „Vertikales Schwein“  zum  Verkosten anbieten, in  den

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verschiedenen Themenbereichen wie auch an jedem einzelnen Stand. Speise- und Edelpilze, die nun dank chido’s auf Kaffeesatz gezogen werden können, veganes und laktosefreies Eis von Helador, das vor sechs Jahren in Berlin gegründete Ge- tränkekollektiv Gekko, Limonaden zum Selbermixen, Käse, Honig, Weine und hoch- prozentige Spirituosen. Wer der Verlockung nicht widerstehen kann und überall next organic berlin_kiez gourmet neuköllnprobieren möchte, braucht einen kernge- sunden Magen.

Wer die kulinarischen Facetten Neuköllns von hinten nach vorne aufrollen möchte, fängt in dem Bereich an, der früher Passa-gieren vorbehalten war. Hier hat das von dem Koch Johannes Kamprad gegründete Unternehmen Kiez Gourmet Neukoelln sei- ne NOB-Dependance, um Feinschmecker mit Wasserbüffel Filetpickfein neukölln_next organic berlinsandwiches, Ciabatta, Grün- kernbratlingen und schottischem Apple Pie auf eine lukullische Expedition zu schicken.

Um Entdeckungen geht es auch bei Pickfein: Die in der Richardstraße ansässige Start Up-Firma von De- nise Roosenboom und Max Kahls verbindet Ge- schmackserlebnisse mit räumlicher Orientierung, in- dem sie ihren kostbaren Stadtplan mit Leckereien Berliner Manufakturen im Probierformat kombiniert.

next organic berlin_rice up neuköllnLängst vom Ge- heimtipp zur be- gehrten Döner- oder Currywurst-Alternative haben sich die Oni- giris von Rice Up gemausert. Tausende der japanischen Reissnacks werden täglich herge- stellt und in der zwischen Neukölln und Kreuz- berg gelegenen U8-Station Schönleinstraße so- next organic berlin_feinschlicht neuköllnwie in allen Bio Company-Filialen verkauft.

Auch feinschlicht, Falko Schumanns Manu- faktur für gutes Fruchten, hat gleich meh- rere Standbeine für den Verkauf ihrer Obst- und Gemüseaufstriche, Senfe und Chut- neys. Seit fast einem Jahr gibt es einen Laden in der Sonnenallee, zusätzlich wer- den per Lastenfahrrad Wochenmärkte und next organic berlin_märkisches landbrot neuköllnFeste in ganz Berlin angesteuert, um Fein- schlichtes an den Gourmet zu bringen.

Besonders groß war die Neukölln-Präsenz bei der ersten Next Organic Berlin jedoch im Brot- Bereich. Mit Katharina Rottmanns Endorphina Backkunst und der Traditionsfirma Märkisches Landbrot frühlingsbrot_märkisches landbrot neuköllnwaren gleich zwei Bäckereibetriebe aus dem Bezirk vertreten, die mit hochwertigen Zutaten und einer gesunden Mischung zwischen Traditionsbewusstsein und Experimentierfreudigkeit immer neue Grund- lagen für variantenreiche Stullen schaffen.

Bezeichnenderweise war es auch eine Neuköllnerin, die die „Täglich Brot“-Area kuratiert hatte. Cathrin Brandes, die sich nicht nur in ihrem Foodblog Tidbits, sondern cathrin brandes+speisenclub neukölln_next organic berlinauch mit dem Speisenclub Neukölln dem Genuss des Essens widmet, rückte mit ihrem Marktplatz das Thema Brot in den Mittelpunkt des Interesses. „Berlin“, findet sie, „hat besseres Brot als man denkt.“ Bei verschiedenen Verkostungs-Aktionen konnte das gleich getestet werden.

„Einer Fortführung des Konzepts steht nichts im Wege“, resümierten die Veranstalter nach dem Ende der NOB-Premiere: Die Idee einer interdisziplinären Plattform mit Erlebnischarakter als Verbindung zwischen der Next Food Generation, etablierten Großhändlern und Einkäufern, wurde von etwa 2.500 Besuchern goutiert. Ob man im nächsten Jahr von der Fachbesucherregelung abrückt und vielleicht sogar länger als acht Stunden öffnet, sei aber noch nicht absehbar.

So innovativ wie die Next Organic Berlin sind auch die Nachwirkungen: Heute ab 18 Uhr laden die Veranstalter in Kooperation mit dem Projekt Umdenken und Slow Food Youth zum Reste-Essen in der Markthalle IX (Eisenbahnstraße 42/43, Berlin-Kreuzberg) ein.

=ensa=

Alles andere als paradiesisch

Zuerst dachte ich, dass der Bambus auf dem Böhmischen Platz zum Krawatten-paradies geworden ist. Aber es ist das Kunstwerk  „777 Galgenstricke“, das hier  vor

artus unival_777 galgenstricke_neukölln 777 galgenstricke_artus unival_neukölln

vor einigen Tagen eingeweiht wurde. Seine Installation, teilt der Künstler Artus Unival mit, soll ein „symbolischer Ausdruck der  Kritik an Schlips- und Nadelstreifenanzug-Trägern“ in Wirtschaft und Politik, zugleich aber auch ein „ökologisches Expe- riment“ sein: Da die Schlipse aus unterschiedlichsten Materialien von Seide bis Polyacryl bestehen, würden sie unterschiedlich abgebaut werden. So, hofft Artus Unival, entsteht auf dem Platz im Neuköllner Richardkiez ein „lebendiges Denkmal“.

=Reinhold Steinle=

Schnitzeljagd durch den Neuköllner Körnerkiez

owen_körnerschnitzel neuköllnEin bisschen peinlich ist es ihr schon: „Ich weiß zwar, was das ist, aber ich war noch nie da“, sagt die junge Frau, als sie die Fotos von Yigithan entdeckt hat, die für die Ausstellung „Neuköllner Augenblicke“ ent- standen, nun beim Owen e. V. hängen und zu den vergleichsweise leichten Rätseln gehören, die bei der Körnerschnitzel-Jagd zu lösen sind. Seit fast zwei Monaten ist die Studentin Neuköllnerin und stolze Mieterin eines WG-Zimmers, das nur wenige Minuten vom Fotomotiv entfernt liegt. Die beiden alteingesessenen Anwohner, die es sich bei Kaffee und Gebäck am Versammlungstisch in den Vereinsräumen gemütlich gemacht haben, schütteln ungläubig die Köpfe, während die Schnitzeljägerin das Wort Körnerpark in ihr Navigationsbuch schreibt. Wie man seit Wochen in der Gegend leben kann, ohne jemals das Schönste des Kiezes besucht zu haben, ist ihnen ein Rätsel der unlösbaren Art. „Ich mach es gleich morgen“, verspricht die Frau, bevor sie polsterei karsten deutschmann_neuköllnzum nächsten Ziel entlang der Route durch die Westsee aufbricht.

Für das sechste Körnerschnitzel hatten die Veran-stalter den Kiez zwischen Hermann-, Siegfried-, Tho- mas- und Karl-Marx-Straße in vier Meere eingeteilt. In jedem galt es, beim Landgang in Galerien, Läden oder sozialen Einrichtungen Rätsel zu lösen, das Navigationsbuch mit richtigen Antworten zu füllen und so einen der Schätze zu gewinnen, die am Ende des Abends bei einer Party unter den See- reisenden verlost wurden.

Auch die Polsterei Deutschmann Design ist am letz- ten Freitag wieder als Station dabei gewesen. Ortskenntnisse sind hier nicht erfor- 1_polsterei deutschmann_neuköllnderlich, um die Quizfrage zu beantworten. „Im letzten Jahr war’s leichter“, gesteht Kar- sten Deutschmann ein. Damals musste die Epoche erraten werden, für die ein Gründerzeit-Sofa Pate stand. Der Sessel, um den es diesmal geht, verlangt den Kör- nerschnitzel-Jägern mehr ab: „Klare Struk- turen, kurzer Zeitraum, klassische Moder- ne, der Name der Epoche besteht aus zwei 2_polsterei deutschmann_neuköllnWörtern.“ Deutsch- mann, dessen La- bel KarstenmitK traditionelle Stilmöbel mit frischen Impulsen aufpeppt, will ja kein Unmensch sein und hilft mit Fachkenntnissen auf die 3_polsterei deutschmann_neuköllnSprünge. Oder besser gesagt: er versucht es. Erst der Hinweis, dass es auch eine Kosmetikmarke gebe, die wie die gesuchte Epoche heißt, führt zu  Art déco  und damit zur Lösung.

Zu den Neulingen beim alljährlichen Körnerschnitzel gehörte die Thatchers Fashion Manufactory. Erst im Oktober ver- gangenen Jahres hat das seit 1995 bestehende Modelabel produktion_thatchers fashion design_neuköllnseinen Sitz in die Nogatstraße verlegt, um hinter der un- scheinbaren Fassade neue Kollektionen zu entwickeln und erste Serien zu nähen. „Ab Juni werden wir hier auch an jedem ersten Freitagnachmittag im Monat für den Ver- kauf öffnen“, kündigt Labelchef Thomas thatchers-shop_neuköllnMrozek an. Zwei weite- re Shops, wo die schnörkellos-klassischen und zugleich extra-vagant-experimentellen Thatchers-Kreationen aus fei- nen Stoffen zu haben sind, gibt es bereits in Berlin. Mit dem Atelier im Körnerkiez hat sich Thomas Mrozek den Wunsch erfüllt, seinen Arbeitsplatz näher amthatchers_neukölln Wohnort zu haben. Er wohne schon seit Jahren am May- bachufer, erzählt er. Direkt um die Ecke in den hippen Reu- terkiez wollte er jedoch nicht.

Dass hier einer am Werk war, der sich in Neukölln aus- kennt, ist den Fragen, die zur Hebung eines Körnerschnitzel-Schatzes beitragen können, deutlich anzumerken. Der Name eines „Neuköllner Milljöhjetränks“ muss einem u. a. ebenso einfallen wie der Nachname eines „Neuköllner Milljöh-Dich- ters und -Politikers“ und der der in Neukölln geborenen „Mut- ter der Nation“, um zum Lösungswort zu gelangen. Um als siebten Buchstaben ein Z thatchers fashion design_neuköllnzu erhalten, hätte Mrozek auch fragen kön- nen: Was war früher untergebracht, wo jetzt ein Modelabel ist, dessen Name  eine kürzlich verstorbene, britische Premier- ministerin ironisiert? „1919 wurde das Haus erbaut, und dann war hier erstmal lange eine Polizeiwache drin“, erzählt er und führt in die Räume hinter dem Atelier: „Geblieben sind bis heute die Ausnüch- terungszellen.“ Nicht ausgeschlossen, dass Thatchers nach denen beim nächs- ten Körnerschnitzel fragt.

=ensa=

Demo für Respekt und Stagnation

Dass sich der Berliner Senat vor sechs Wochen gegen das beantragte Volksbe-gehren zum Erhalt des Tempelhofer Felds ausgesprochen hat, ist eine Sache. Nichts anderes hatte die Demokratische Initiative 100% Tempelhofer Feld e. V. erwartet. Nun wird ihr Antrag vom Berliner Abgeordnetenhaus behandelt, und von dem wiederum erwartet der Verein, dass es den in der ersten Stufe zum Volksbegehren ausge- drückten Bürgerwillen respektiert. Gestern wurde diese Forderung mit einer Demon- stration auf dem Tempelhofer Feld  unterstrichen, an  der nach  Veranstalterangaben

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„einige hundert Menschen“ teilnahmen. Ferner sollte durch die Kundgebung, die im Neuköllner Bereich des Feldes endete, das Anliegen betont werden,alle Baumaß- nahmen und konkreten Planungen bis zum möglichen Volksentscheid im Mai 2014 auszusetzen.“ Das beträfe insbesondere die Aushebung eines 3 Hektar großen Wasserbeckens, die – wie Staatssekretär Christian Gaebler vier Tage vor der Ableh- nung des Volksbegehrens bekannt gab – im Herbst beginnen soll.

Trödelnd durch den Richardkiez

rixdorfer kitsch&kunstmarkt_aufhäuser-platz neuköllnDie Wetterprognosen sind denkbar ungünstig für eine Open Air-Veranstaltung. Wer also heute Nach- mittag auf der Jagd nach Kitsch und Kunst durch den Neuköllner Richardkiez stromert, trägt mit großer Sicherheit eines nach Hause: einen nassen Regen- schirm oder -mantel.

Der zweite Rixdorfer Kitsch&KunstMarkt wird folglich kaum mit dem ersten zu vergleichen sein: 600 bis 800 Leute, schätzt man beim Veranstalter, flanierten oder rixdorfer kitsch&kunstmarkt_richardplatz neuköllnradelten am letzten April-Sonntag durch die Straßen, um unter strah- lend blauem Himmel an den Marktständen, die auf die vier Plätze des Kiezes verteilt waren, oder in den teil- nehmenden Galerien entlang der Wege auf Sachen- suche zu gehen.

Darauf, dass bei der Premiere mit dem Freundschafts- und dem Siegfried-Aufhäuser-Platz zwei Plätze in puncto Markttreiben deutlich abfielen, reagierte der Veranstalter prompt. „Diesmal wird es  keine Stände mehr auf dem Siegfried-Aufhäuser-Platz geben“, kündigt Norbert Kleemann vom Traumpfad e. V. an, „dafür wird der  Freundschaftsplatz voll sein.“  Zusammen mit dem  Richardplatz und buttons_souvenirmanufaktur neuköllndem Böhmischen Platz soll so von 12 bis 18 Uhr ein dezentralisiertes Trödel-Triumvirat entstehen.

Selbstgenähtes von Handytäschchen bis zu Ruck- säcken, handgearbeiteter Schmuck und Accessoires, Selbstgemaltes im Klein- bis Großformat, Utensilien für Kinder und Gebrauchskeramik, gestickte Namens-schilder und Bedrucktes. Dazu rixdorfer kitsch&kunstmarkt_richardplatz_neuköllnFlohmarkt-Artikel von Vintage-Klei- dung über Retro-Schilder bis hin zu Bahnhofsuhren. Die Angebotspalette an den Marktständen, die laut Kleemann zu etwa 70 Prozent von Anwohnern und Künstlern aus dem Ri- chardkiez bestückt werden, lässt bei pas- sionierten Stöberern kaum Wünsche offen.

Besonders attraktiv dürfte für die Besucher des heutigen Rixdorfer Kitsch&KunstMarkts aber das sein, was bei der  Kreativen Ge- sellschaft Berlin oder in der Galerie Gönül’s Art, bei CBS-Rixdorf oder in der Schmiede in Rixdorf rixdorfer schmiede_neuköllnzu bestaunen ist. Denn dort kann man sich im Warmen und Trockenen umsehen.

Ob die zweite auch zugleich die letzte Veranstaltung dieser Art sein wird, steht noch nicht fest. Zunächst müss- ten die beiden diesjährigen Märkte ausgewertet werden. „Geplant ist aber schon, 2014 von April bis Oktober an jedem letzten Sonntag einen Rixdorfer Kitsch&KunstMarkt durchzuführen“, sagt Norbert Kleemann.  Daraus, was er sich für die Neuauflage wünschen würde, macht er kein Geheimnis: Mehr Unterstützung durch die lokale Gastronomie und weniger Müll und Dreck im Kiez. „Vor dem Markt im April“, kritisiert der Traumpfad e. V.-Vorsitzende, „mussten wir erstmal zu dritt eine Stunde lang den Freundschaftsplatz sauber machen.“

=ensa=

Anfang und Ende im Neuköllner Leuchtturm

neuköllner leuchtturmNormalerweise ist eine Vernissage ein Grund zum Feiern: Die Einladungen sind verschickt. Was ge- zeigt werden soll, hat seinen Platz gefunden. Ge- holzobjekt_klaus freudenberg_neuköllntränke und Snacks stehen bereit. Die Gäste strömen zum Ort des Geschehens, erwartungsvoll von den Künstlern begrüßt. Das war vorgestern Abend bei der  Eröffnung der  „Wald – Holz – Märchen“-Aus-stellung im Neuköllner Leuchtturm nicht anders, und doch unterschied sich diese von allen, zu denen Karen-Kristina Bloch-Thieß und Bernhard Thieß bisher eingeladen hatten. Denn für sie läutet diese Vernissage nach fast sieben Jahren das Ende ihrer Zeit karen-kristina bloch-thieß+bernhard thieß_neuköllner leuchtturmals Leuchtturmwärter ein.

Begonnen hatte alles im Jahr 2006, als Neukölln und der Körnerkiez noch eher verrufen und abgerockt als angesagt wa- ren. Im Haus in der Emser Straße, das dem Ehepaar gehört, war neben der Geschäftsstelle der Bürgerstiftung Neu- kölln eine große Ladenwohnung frei ge- worden, für die heute die Interessenten Schlange stehen würden. „Natürlich“, sagt Karen-Kristina Bloch-Thieß, „hätten wir einfach die Jalousien runter lassen und auf bessere Zeiten hoffen können. Aber geschlossene Rollläden sind wie ein Krebs- geschwür.“ Stattdessen beschlossen die kreativen Neuköllner, den Laden selber zu nutzen, um aus ihm ein Creativ-Centrum zu machen: „Wie man karen-kristina bloch-thieß_neuköllner leuchtturmso etwas organisiert und führt, davon hatten wir keine Ahnung, doch wir entschieden, dass wir es mal drei Jahre lang ver- suchen wollen.“

Im Oktober 2006 luden sie in den frisch renovierten Räumen hinter der neuen maritimen Fassade zur ers- ten Vernissage ein: „Seestücke“ hieß die Ausstellung, die Aufnahmen zeigte, die der begeisterte Segler und Fotograf Bernhard Thieß während der Törns mit ihrem Katamaran gemacht hatte. Bereits im Vorjahr, beim NachtundNebel-Festival, hatte seine Frau begonnen, bloch-thieß märchenbilder_neuköllner leuchtturmöffentlich Ergebnisse ihres kreativen Schaf- märchen-bilder bloch-thieß_neuköllner leuchtturmfens zu präsentieren: phantasievolle Colla- gen,  Öl-auf-Leinwand-Impressionen und Por- traits sowie handge- märchenbilder bloch-thieß_neuköllner leuchtturmnähte Puppen.

Es hätte also eine Weile gedauert, bis dem Paar das Material für eigene Ausstellungen ausgegangen wäre.  Doch es ging ihm um mehr als das Zeigen der eigenen Produktivität: um das Nebeneinander von Amateur-Künstlern und renommierten Protagonisten der Kunst- und Kulturszene, um die Etablierung eines Ortes für die ganze Bandbreite des Kreativen. „Das Interesse von Künstlern, die bei uns ausstellen wollten, war von Anfang an ein Selbstläufer“, blickt Bernhard Thieß zurück. Malerei unterschiedlichster Stilrichtungen thieß+freudenberg_neuköllner leuchtturmund Techniken, Skulpturen aus ver- schiedensten Werkstoffen, Fotogra- fien, dazu eine regelmäßig stattfin- dende Kreativwerkstatt für Erwachse- ne, Ikebana-Kurse, philosophische Zirkel, Lesungen, Konzerte, und Lite- ratur-Gesprächskreise: Ohne jegliche öffentliche Förderung aber mit umso mehr Engagement verwirklichten sie ihre Idee in einem Kiez, der anfangs nur langsam aus dem künstlerisch- kulturellen Dornröschen-Schlaf erwachte, dann aber immer mehr an Fahrt aufnahm. „Und ein kleenet Körnchen haben wir zu dieser Veränderung beigetragen“, sagt Karen-Kristina Bloch-Thieß, woraufhin ihr Mann zustimmend nickt.

bertil wewer_neuköllner leuchtturmBertil Wewer (l.) tat das bei der Vernissage nicht. Von einem kleinen Körnchen könne kaum die Rede sein, widersprach das Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung Neukölln: „Es war ein riesengroßer Fels, den ihr ins ulli lautenschläger_neuköllner leuchtturmRollen gebracht habt.“ Dem schloss sich auch Ulli Lautenschläger (r.) vom QM Körnerpark an. „Mit dem Leuchtturm, den Sie zu einer echten Institution entwickelt haben“, bescheinigte der Quartiersmanager, „haben Sie ein großes Zeichen für den Kiez gesetzt. Die Entwicklung des Kiezes ist damit auch Ihnen zu verdanken.“ Im holzobjekt klaus freudenberg_neuköllner leuchtturmSeptember wird die Bürgerstiftung den Leuchtturm als Hausherrin übernehmen – zu „sehr günstigen Konditionen“, wie Wewer betonte, und mit der Vision, ihn weiter zu einem Begegnungszentrum auszu- bauen. Der künstlerisch-kreative Schwerpunkt, kün- digte er an, werde auf Foto-Ausstellungen liegen, die offizielle Eröffnungsfeier sei für den 9. November geplant.

Dann werden auch Karen-Kristina Bloch-Thieß und Bernhard Thieß wieder dabei sein – als Gründungs-vernissage_neuköllner leuchtturmstifter, Vermieter und Gäste. Bevor es soweit ist und sie viel Zeit haben, sich ganz ihren Hobbys, der Familie und der Pflege von Freundschaften hingeben zu können, erfüllen sie sich aber noch einen Wunsch: Den, sich mit der gemeinsamen „Holz – Wald – Märchen“-Ausstellung als Leuchtturmwärter zu verabschieden. Der ehemals selbstständige Tischlermeister Bernhard Thieß hatte „schon seit Jahren Holz, Holz und immer wieder Holz fotografiert“, erzählt seine freudenberg+thieß_neuköllner leuchtturmFrau. Die wiederum hatte durch die vier Enkelkinder begonnen, sich mit den Märchen der Gebrüder Grimm zu beschäftigen. Zunächst als Vorleserin, dann auch als Malerin. Als einen mit einer ebenfalls stark ausgeprägten Affinität zum Werkstoff, den Bäume liefern, wollten sie den Holzbildhauer Klaus Freudenberg dazugewinnen – und auch das gelang.

Sieben märchenhafte Ölbilder von Karen-Kristina Bloch- Thieß zum Ansehen, dazu von der Malerin gelesene Grimm’sche Geschichten zum Anhören. Fünf Skulpturen von Klaus Freudenberg zum Bestaunen oder Berühren. Und ungezählte Aufnahmen von Bernhard Thieß, die Holz in allen Variationen, Formaten, fotokünstlerischen Perspektiven und Spielarten zeigen. Dazu im vorderen Galerieraum statt konventioneller Bilderrahmen die ausgemusterten Fenster einer ehemaligen  Neuköllner Tischlerei. All das lädt  zu einer  multiperspektivischen  Spu-

mirkaledo-quartett_neuköllner leuchtturm märchenerzählerin cornelia kurth_neuköllner leuchtturm

rensuche auf dem Holzweg ein, und auf die begaben sich bei der Vernissage nicht nur reichlich Gäste, sondern auch das Mirkaledo-Quartett und die Märchenerzählerin Cornelia Kurth.

Es fällt schwer, sich den Neuköllner Leuchtturm ohne die Thießens vorzustellen. „Wir bleiben ihm ja auch in gewisser Weise erhalten“, sagen die. Der Unterschied sei eben der, dass sie künftig dort sein können, aber nicht mehr regelmäßig – wie in den letzten Jahren – vor Ort sein müssen. „Jetzt soll das Kind alleine laufen“, finden sie.

Die Ausstellung „Holz – Wald – Märchen“ ist noch bis zum 28. Juni im Neuköllner Leuchtturm zu sehen; Öffnungszeiten: mittwochs bis freitags zwischen 14 und 19 Uhr sowie heute von 14 bis 17 Uhr.

=ensa=

Feiertag für eine Schrift

Wer sich durch Neukölln bewegt, trifft im Straßenbild auf sehr unterschiedliche Schriftzeichen, mit denen zumeist an Ladenlokalen auf das entsprechende Gewerbe blömkensamt einschlägiger Informationen aufmerk- sam gemacht werden soll. Das erfolgt überwiegend durch lateinische Schriftzei- chen mit serifenloser aufrechter Schrift, oft meltin pot_neuköllnklar und deutlich, manchmal allerdings auch verspielt oder gewollt undeutlich, wie im Beispiel rechts.

Ab und an gibt es – wie in nachstehendem Fall – den missglückten Versuch, eine Frakturschrift zu zum stammtisch_neuköllnverwenden. Denn man muss nicht Schriftsetzer sein, um zu wissen, dass hier in allen drei Fällen das Lang-s anstelle des Rund-s hingehört. Schließlich wird letzteres nicht von ungefähr im Volksmund als Schluss-s bezeichnet. Außerdem müsste so- puppenklinikwohl das „st“ als auch das „ch“ als Ligatur dargestellt werden. Wie es richtig geht, ist in der Richard-straße an der Fassade der Puppenklinik Neu- kölln zu bewundern.

Aber es gibt ja noch viel Interessanteres zu entdecken. Um auf kleinem Raum viele Infor-mationen unterzubringen, bedient sich z. B. die szenekneipe filou_neuköllnSzene- und Kiez- Kneipe Filou an der Schillerpromenade des Quick Response Codes: Allerdings benötigt man zum Lesen des QR-Codes ein Smartphone oder entsprechenden Scanner mit geeigneter Software.

zahnarztAuch bei folgendem Schild erschließt sich nicht jedem sofort der dargestellte Begriff. Doch dann erinnert man sich an insbe-sondere zu Schulzeiten verwendete Fremd-sprachen-Wörterbücher, ihrer phonetischen Umschrift und dem IPA. Und schließlich wird klar: Hier macht in Lautschrift eine Zahnarztpraxis auf sich aufmerksam.

Natürlich spiegelt sich die ethnische Vielfalt unseres Bezirks auch in den ver- wendeten Schriften güloglu_neuköllnwieder. Allgegenwärtig ist Türkisch. Obwohl die klassische Latein-schrift verwendet wird, gibt es hier einige besondere diakritische Zeichen, das heißt an einzelnen Buchstaben angebrachte Punkte, Striche oder Häkchen, aber auch den Wegfall eines Punktes, wie beim „ı“, wenn der „ungerundete geschlossene Hinterzungenvokal“ gemeint ist. Für Unkundige immer wieder erstaunlich, dass mit den kalligraphischen Kunstwerken des Arabischen, Chinesischen oder Japanischen coiffeur bagdadlongjapanisch_2– um nur drei zu nennen – auch ganz profane Botschaften vermittelt werden können.

Neben anderen Schriften, die schon nicht mehr ganz so häufig in unseren Straßen anzutreffen sind, muss am heutigen Tage die kyrillische erwähnt werden. Ist sie doch bulgarische orthodoxe kirche_neuköllnwohl die einzige, der ein Gedenktag gewidmet ist: Der 24. Mai ist der Tag der kyrillischen Schrift – und der steht in Bulgarien und Mazedonien sogar als Nationalfeiertag im Kalen- der. Benannt ist sie nach Kyrill von Saloniki, der aber gar nicht Kyrillisch, sondern die ihr vorausgehende gla- golitische Schrift entworfen hat.

Na, das wär’s doch, wenn die 1941 von den Nazis verbotene deutsche Kurrentschrift (rauf, runter rauf, Pünktchen drauf) bei uns wieder eingeführt würde – selbst- verständlich mit der Maßgabe, dass der Einführungstag gesetzlicher Feiertag wird. Oder vielleicht besser doch nicht?

=kiezkieker=

Kein Spielkram: Neuköllner Theatertreffen der Grundschulen mit Gruppen aus acht Berliner Bezirken

michael assies+orchester wetzlar-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln„Ich freue mich, dass die Hütte voll ist.“ Michael Assies, Lehrer an der Lisa- Tetzner-Schule und Organisator des Neuköllner Theatertreffens der Grund-schulen, konnte bei der Eröffnungsver- anstaltung des Festivals in restlos besetzte Stuhlreihen blicken. Sogar die Empore des Heimathafens musste geöffnet werden, damit alle Zuschauer die für den franziska giffey_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neuköllnAuftakt zubereitete Neuköllner Mischung aus Theater, Tanz und Musik sitzend genießen können.

34 Gruppen aus acht Berliner Bezirken nehmen an der 18. Auflage des Neuköllner Theatertreffen der Grundschu- len teil, berichtete Schulstadträtin Dr. Franziska Giffey, fast die Hälfte – nämlich 15 – der Theater-AGs und -Klassen sind  aus Neukölln. Für alle der Schüler bedeute das Mitmachen samt der Vorbereitung ein sehr besonderes Lernen: das  durch Gefühl, Musik und Spiel.

„Theater“, bestätigte auch Sabine Hubrich, „liegt den Kleinsten im Blut“, Außerdem fördere es die Sprache und das Miteinander, schon deshalb dürfe man es „nicht als Spielkram  abtun“, führte die Lehrerin der  theaterbetonten Lisa-Tetzner-Schule in die

theater-klasse lisa-tetzner-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln theaterklasse lisa-tetzner-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

Rotkäppchen-Adaption „Käppchen im Zauberwald“ ein, die sie gemeinsam mit ihren Erstklässlern auf großer Bühne aufführte. „Nutzt den ganzen Raum aus! Nehmt die Musik mit euren Körpern auf!“ Was für die zwischen Hibbeligkeit und äußerster Konzentration hin- und hergerissenen Kleinsten noch mancher Aufmunterung be- durfte, schafften die älteren Mädchen und Jungen mit Bravour. Von der Tanzgruppe der

tanzgruppe rose-oehmichen-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln orchester wetzlar-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

Rose-Oehmichen-Schule (l.) über das Schülerorchester der Wetzlar-Grundschule (r.) bis zur Theater-AG der Hugo-Heimann-Schule, die mit phantastischen Kostümen, flotter Choreographie und ergreifendem Gesang  Auszüge aus ihrer Produktion  „Die

theatergruppe hugo-heimann-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln theater-ag hugo-heimann-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

kleine Meerjungfrau“ präsentierte. Von der Tanzgruppe der Wetzlar-Grundschule, die rund um ihr Stück „Follow Rivers“ eine mitreißende Bühnenshow ablieferte, über die

tanzgruppe wetzlar-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln tanz-gruppe wetzlar-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

Theater-AG der Peter-Petersen-Schule, die mit Passagen aus Kästners „Emil und die Detektive“ begeisterte, bis hin zu den Musical-Szenen  aus „Siegfried – Der Nibelun-

theater-ag peter-petersen-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln theatergruppe peter-petersen-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

chor lisa-tetzner-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln theater-ag lisa-tetzner-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neukölln

tanz-gruppe rose-oehmichen-schule_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neuköllngen erster Teil“, mit denen Schülerinnen und Schülern der Theater-AG und des Chors der Lisa-Tetzner-Schule brillierten, bevor Rose-Oehmichen-Absolventinnen mit der Tanzshow „Black And Gold“ den Schlusspunkt hinter eine fulminante Neu- köllner Mischung setzten.

Wer dabei war, erlebte ein knapp zwei- stündiges, facettenreiches und voller Lei- denschaft vorgetragenes Programm, das Lust auf mehr Schülertheater machte. Inzwischen ist Halbzeit des 18. Neuköllner Theatertreffens für Grundschulen: Fünf Aufführungen finale_neuköllner mischung_18. ntt_heimathafen neuköllngingen bereits im Heimathafen Neukölln über die Bühne. Ab 29. Mai wird im Gemeinschaftshaus Gropius- stadt, im Süden des Bezirks, bei sechs öffentlichen Vormittagsauf- führungen (Eintritt: 1,50 €) ein wei- teres Dutzend Stücke gezeigt: Dann gibt es auch die Gelegenheit zum Wiedersehen mit der kleinen Meer- jungfrau Miriam und ihren singenden Fischen und tanzenden Quallen.

=ensa=

Kommt Zeit, kommt Gras

Millionenbeträge für das Ausbessern von Straßenschäden ausgeben, das muss nicht sein – so denkt  man offenbar in Neuköllns Ortsteil  Britz. Völlig kostenlos repariert sich dort die  rumpelige Straße  Alt-Britz selber, indem sie unermüdlich neue

alt-britz_neukölln

Grashalme durch die Ritzen zwischen den Großkopfpflastersteinen schiebt. Nicht mehr lange, dann wird sich parallel zum asphaltierten Britzer Damm ein grüner Teppich ausgebreitet haben und beweisen, dass es sehr hübsch sein kann, einfach Gras über eine Sache wachsen zu lassen.

Neuköllner Unternehmen für Neuköllner Jugendliche

Noch vier Wochen, dann beginnen in Berlin die Sommerferien. Für viele Neuköllner Schüler bedeuten sie lediglich die Versetzung in die nächsthöhere auftakt-va_tag des offenen unternehmens_neuköllnKlasse, für andere einen Schulwechsel. Für wiederum andere steht aber mit ihnen der Schritt in eine neue Lebensphase an: in die der Berufstätigkeit. Doch wel- cher der  rund 350 Ausbildungsberu- fe ist der passende? Was für Unter- nehmen gibt es überhaupt im Bezirk, was machen sie und welche davon bilden aus? Das fragen sich aktuell etliche Neunt- und Zehntklässler sowie Abiturienten, die noch unschlüssig sind, ob es mit einem Studium oder lieber mit etwas Praktischem wie einer Ausbildung weitergehen soll.

Eine Entscheidungshilfe konnte ihnen in der letzten Woche der vom Unternehmens- netzwerk Neukölln-Südring e. V. initiierte Tag des offenen Unternehmens liefern, an dem 21 Firmen Gruppen von sieben Schulen bei Betriebsbesichtigungen hinter die Kulissen blicken ließen. „Eine Ausbildungsplatzbörse soll er aber nicht sein“, hielt Dr. Armin Seitz, Vereinsvorsitzender und Geschäftsführer der Moll Marzipan GmbH, bei der Auftaktveranstaltung im Berufsinformationszentrum (BIZ) der Agentur für Arbeit Berlin Süd fest. In erster Linie gehe es darum, Schülern durch die Kontakte zu Firmen und Mitarbeitern eine grobe Orientierung zu verschaffen.

v. l.: Lissy Czarnetzki (Moderation), Jürgen Bielert (Agentur für Arbeit Berlin Süd), Dr. Armin Seitz (Unternehmensnetzwerk Neukölln Südring e. V.), Reinald Fischer (Liebig-Schule)

v. l.: Lissy Czarnetzki (Moderation), Jürgen Bielert (Agentur für Arbeit Berlin Süd), Dr. Armin Seitz (Unternehmensnetzwerk Neukölln Südring e. V.), Reinald Fischer (Liebig-Schule)

Schließlich, so Seitz, sei heutzu- tage für Jugendliche alles wesent- lich komplizierter als früher, als oft mit den Tätigkeiten der Eltern die Weichen für die berufliche Lauf- bahn der Töchter und Söhne ge- stellt wurden. Für die Unternehmen hingegen werde die Nachwuchs-sicherung einerseits durch die Vielfalt der Möglichkeiten, die sich Schulabgängern bietet, und durch den demographischen Wandel an- dererseits erschwert. „Wenn wir heute in einem Jahr zehn Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz bei Moll Marzipan bekommen, ist das viel“, berichtet der Ge- schäftsführer. „Dabei suchen wir für unsere Lehrstellen gar nicht die 1er-Abitu- rienten, sondern ganz normale Neuköllner Schüler.“ Solche, die einen ordentlichen Mittleren Schulabschluss (MSA) vorlegen und außerdem mit einem guten Auftreten, Pünktlichkeit, Zuverlässig- und Teamfähigkeit sowie Verantwortungsgefühl von sich überzeugen können. Insbesondere die sozialen Kompetenzen ließen Bewerber jedoch häufig vermissen: „Deshalb fordern wir Unternehmer im Bereich der Soft biz sonnenallee_neuköllnSkills eine bessere Vorbereitung durch die Schulen.“

Die Liebig-Schule gehört zu denen, die sich des Problems bewusst sind und darauf reagieren. „Schon ab der 7. Klasse beginnen wir, unsere Schüler auf die Berufsfindung vorzubereiten. Nicht nur durch Praktika, son- dern auch durch die Vermittlung sozialer Basics“, erklärte Schulleiter Reinald Fischer. Die Schule sei ja doch eine Art künstliche Welt, umso größerer Wert müsse auf Kon- takte zum realen Arbeitsalltag gelegt werden. Was die betrifft, ist Fischer allerdings nur bedingt glücklich. „Wir wünschen uns für die Schüler mehr qualifizierte Praktikumsplätze“, wandte er sich an die Unternehmer des Netzwerks, die die Ausbildungsinitiative „Neukölln braucht Dich!“ unterstützen.

Erste Anlaufstelle sind für die meisten Jugendlichen jedoch nicht die Betriebe, sondern die Berufsinformationszentren, die reichlich Wissenswertes für die beruf- liche Orientierung bereithalten. „Günstig wäre es“, so Jürgen Bielert, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Berlin Süd, „wenn Schüler schon ab der 9. Klasse oder noch früher beginnen würden, sich auf die Zeit nach der Schule vorzubereiten und in verschiedene Berufe reinzuschnuppern.“ Wobei zukunftsträchtige Berufe nur die sein könnten, die ihren Mann oder ihre Frau auch ernähren, kritsierte er Lohndumping und die Vielzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Mit einer erfolgreich absolvierten Ausbildung, meinte er, sei bereits einiges dafür getan, diesen Fallen des Arbeits- marktes zu entkommen. Davor stehe aber ein passabler Schulabschluss.

=ensa=

Mit Protestbaum an der Spitze durch Neukölln und Kreuzberg

dach hermannplatz_kdk2013_neuköllnWenn Neuköllner und Kreuzber- ger auf ihre Hausdächer steigen und Balkone in Richtung Hasen- heide zu Party-Locations werden, ist wieder Karneval der Kulturen.

Gestern ging die bunte, interna-tionale, tanzende, singende und musizierende Karawane zum 18. Mal auf die Route zwischen Hermannplatz und Yorckstraße. Angeführt – und das war eine Premiere – von einem Handwagen, auf dem ein  Protestbaum  stand. Denn der  Straßenumzug, der seit  1997 in  Berlin zum

protestbaum_kdk2013_berlin-neukölln protest_kdk2013_neukölln

Pfingstsonntag gehört und seit Jahren regelmäßig so viele Menschen, wie die Ban- kenmetropole Frankfurt/Main Einwohner hat, an die Strecke holt, ist im Schrumpfen begriffen. Gestern waren es  nur noch 74 Gruppen (2012: 90), die bereit sowie in der dancing dragon_kdk2013_hermannplatz neuköllnLage waren, den enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand für ihre Performan- ces, Kostüme und Wagendekorationen zu stemmen. Dass das Land Berlin kräftig an diesem Event verdient, das u. a. unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit steht, die Gruppen und Künstler aber nicht daran beteiligt, kritisiert auch die Neuköllner Grünen-Politikerin Susanna Kahlefeld, die 2011 als Direktkandidatin ins Berliner Ab- geordnetenhaus gewählt wurde. Bereits vor einem halben Jahr hatte ihre Fraktion einen Antrag auf Einrichtung eines ent- sprechenden Fonds gestellt.

Darauf, dass der eingerichtet wird, hofft auch Vassiliki Gortsas, die Organisatorin des Karnevals der Kulturen. „Viele Gruppen können den sehr hohen Aufwand nicht mehr bewältigen“, weiß sie. Dass die Zurückhaltung des Berliner Senats langfristig die Vielfalt gefährdet, befürchtet sie.

=ensa=

Tür an Tür: Einprägsame Einsichten in das Leben in der Großsiedlung Britz vor und nach 1933

„Das Ende der Idylle?“ heißt die neue Ausstellung im Museum Neukölln, und wenig idyllisch war auch deren Eröffnung am Freitagabend. das ende der idylle_großsiedlung britz-ausstellung_museum neukölln„Für so viele Leute ist die Aus- stellungsarchitektur wirklich nicht ge- macht“, entschuldigte sich Museums- leiter Dr. Udo Gößwald bei allen, die keinen Sitzplatz mehr fanden oder das Geschehen innerhalb der auf Stoff ge- druckten Nachbildung der Hufeisen- siedlung nur akustisch verfolgen konn- 3_großsiedlung britz-ausstellung_museum neuköllnten. Künftig wird es im ehemali- gen Ochsenstall, in dem das Mu- seum Neukölln seit dem Umzug nach Britz seine Sonder-ausstellungen zeigt, weniger Gedränge und viel Zeit geben, sich mit den beeindruckenden Exponaten zu beschäftigen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung, die Neuköllns Beitrag zum Berliner Themenjahr „Zer- störte Vielfalt“ ist, stehen die Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung, die als Pionierprojekt des sozialen Wohnungsbaus für Arbeiter und Angestellte geplant und zwischen 1925 und 1933 als Großsiedlung  Britz errichtet  wurden. Dass die ursprüngliche  Intention,

zeitstrahl ab 1918_großsiedlung britz_neukölln zeitstrahl ab 1933_großsiedlung britz_neukölln

komfortablen Wohnraum für kleinere Haushaltskassen anbieten zu können, schon an der Weltwirtschaftskrise über weite Strecken scheiterte, ist eine Sache. Weitaus größere Auswirkungen auf das Leben in der Siedlung hatte jedoch die Machtüber- peter lösche_museum neuköllnnahme der Nazis, und speziell dieser Aspekt wird durch „Das Ende der Idylle?“ in den Fokus gerückt.

Einer, der in der Großsiedlung Britz geboren wurde, ist Prof. Dr. Peter Lösche, der als Parteien- und Wahlforscher bundesweit be- kannt wurde. 1935 waren seine Eltern, die SPD-Politiker Dora und Bruno Lösche, in die Fritz-Reuter-Allee 83 gezogen, 1945 zogen sie in eine Wohnung am Rande der Siedlung um. „Eine Idylle“, so Lösche, „herrschte in der Hufeisensiedlung aber auch vor 1933 nicht.“ Realistisch betrachtet könne man die Atmosphäre innerhalb der Solidargemeinschaft von Künstlern, SPD- und KPD-Anhängern bestensfalls als brüchige Idylle bezeichnen: „Die Anarchos hatten für die sozialdemokratischen Spießer nur Hohn und Spott übrig und umgekehrt war es nicht anders.“ Dennoch habe er beim „Rückspüren in der eigenen Biographie“ sehr positive Erinnerungen an die Siedlung, franziska giffey_museum neuköllnmit seinem Buddelkastenfreund Wolfgang Hempel sei er sogar nach wie vor befreundet. „Ich bin ein Brit- zer!“, konstatierte Lösche, und als solcher freue er sich über den Fortschritt in der regionalhistorischen Forschung, den die Ausstellung bedeutet und doku- mentiert.

Den Wert der neuen Erkenntnisse hob auch Dr. Franziska Giffey in ihrer Begrüßungsansprache her- vor: „Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit hat eine lange Tradition in unserem Bezirk, mit der Forschung im Vorfeld der Ausstellung konnte die Geschichtsaufarbeitung entscheidend fortgeführt werden.“ Aufgrund der guten Quellenlage sei es inzwischen möglich, die Alltagswirklichkeit und Handlungs- optionen der Menschen während des Nazi-Regimes viel differenzierter 1_großsiedlung britz-ausstellung_museum neuköllnals noch vor ein paar Jahren darstellen zu können.

Rund 80 Familien jüdischer Herkunft und 130 Künstler lebten vor 1933 in der Groß- siedlung Britz. 18 Bewohner, so die Neu- köllner Kulturstadträtin, wurden Opfer des Regimes, andere zogen weg, bevor Schlim- meres passieren konnte. Parallel dazu nahm der Zuzug von Nazis verheerende Ausmaße an: Waren es 1928 noch 128 NSDAP-Mitglieder, die in der Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung wohnten, hatte sich ihre Zahl 12 Jahre später fast verzehnfacht. Auch Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, gehörte drei Jahre lang zu den Mietern: 1945 zog einer der wenigen Auschwitz-Überlebenden in statue die deutsche familie_museum neuköllnsein ehemaliges Haus in der Onkel-Herse-Straße 34.

„Das Bezirksamt Neukölln“, hielt Giffey fest, „sieht es als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, Erkenntnisse der Geschichtsforschung für die Gegenwart und Zukunft zu nutzen.“ Niemand solle die Gewalt unterschätzen, die von den Feinden der Demokratie ausgeht, mahnte sie mit Hinweis auf „das fatale Versagen rechtsstaatlicher Struktur“ in Sachen NSU.

Dass es in Neukölln mit der Pflege eines aufmerksamen Umgangs mit der deutschen Vergangenheit nicht immer furchtbar genau genommen wurde, beweist das Standbild „Die deutsche Familie“, 2_großsiedlung britz-ausstellung_museum neuköllndas ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Im Mai 1935 wurde die Statue des Bildhauers Bernhard Butzke im Akazien- wäldchen an der Fritz-Reuter-Allee einge- weiht, erst 2001 wurde sie dort abgebaut und eingelagert. Der Kopf des Vaters sei irgendwann abhanden gekommen.

Dafür, dass die Erinnerung an Menschen, die in der Krugpfuhl- und Hufeisensiedlung wohnten, nicht abhanden kommt, sorgt die Ausstellung „Das Ende der Idylle?“. Der udo gößwald_museum neuköllnWorpsweder Maler Heinrich Vogeler lebte hier, ebenso der Künstler Stanislaw Kubicki, der Anarchist und Dichter Erich Mühsam, der Leichtathlet Rudolf Lewy sowie zahlreiche SPD- und KPD-Parteigrößen. „Mit Beginn der Nazi-Herrschaft unterlagen sie als nichtkonforme Bewohner einer sehr ausgeprägten soziale Kontrolle und nahmen große Risiken in Kauf“, unterstrich Museumsleiter Dr. Udo Gößwald.

Es sind bedrückende Details und schier unvor-stellbare Lebensgeschichten, die von nun an durch die 2 1/2-jährige Arbeit seines Teams ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. „Dieses mikrohisto- rische Projekt macht deutlich, wie wichtig heute die Forschung regionaler Museen ist“, sagte Gößwald, und er sei sehr stolz auf das Ergebnis.

Seit der Vernissage ist die Sammlung des Museums um einige Schätze reicher. „Ich habe Ihnen etwas aus dem Konvolut meines Vaters als Geschenk franziska giffey+udo gößwald+peter lösche_museum neuköllnmitgebracht“, kündigte Prof. Dr. Peter Lösche an und überreichte Gößwald eine Map- pe. Die Ebert-Stiftung habe viel zu viele von diesen Akten, meinte der Britzer: „Sie sollten gefördert werden.“ Dass Lösche – zu Gößwalds sicht- licher Irritation – ständig vom Heimat- museum gesprochen hatte, obwohl das Museum Neukölln bereits seit neun Jahren auf den zweisilbigen Zusatz verzichtet, war in diesem Moment verziehen.

Die Sonderausstellung „Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhl- siedlung vor und nach 1933“ wird noch bis zum 29. Dezember im Museum Neukölln gezeigt.

Zur Ausstellung ist ein 400-seitiger Katalog (18 Euro), der die Forschungs- ergebnisse detailliert dokumentiert, sowie die Begleitbroschüre „50 Türen in die NS-Zeit“ (5 Euro) erschienen.

=ensa=

Anbaden am Columbiadamm

Heute Morgen war der Winterschlaf des Neuköllner Columbiabads vorbei. Bis zum ersten September-Sonntag ist es nun täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet. Alle, die beim

wasserrutsche_columbiabad neukölln

Schwimmen gerne ein Dach überm Kopf haben und das weitaus wärmere Wasser im Stadtbad Neukölln bevorzugen, können auch das noch bis zum 14. Juni haben. Danach zieht sich die Schwimmhalle an der Ganghoferstraße für knapp zwei Monate in den Sommerschlaf zurück.

Abschied von einem Kind, das nicht willkommen war

alter st. michael friedhof_neukölln„Lasst uns tun, was getan werden muss.“ Mit diesen Worten begann der evangelische Polizeiseelsorger Rein- hard Voigt gestern Nachmittag seine Trauerrede. Es war ein sehr kleiner, weißer Sarg, der vor ihm zwischen den Bankreihen portal alter st. michael friedhof neuköllnin der Kapelle des katholischen Alter St. Michael Friedhofs stand.

Welchen Namen die Eltern dem kleinen Mädchen ge- geben hatten, wie alt es werden durfte, wo und unter welchen Umständen es zur Welt kam, wer die Mutter ist. „Das Leben des Kindes“, sagte Voigt weiter, „gibt Fragen auf, sein Tod macht ratlos.“ Am 5. April war die stark verweste Leiche des Säuglings in einem Altkleider-Container in Neukölln entdeckt worden, als Mitarbeiter einer Recyclingfirma diesen leeren wollten. Irgendwann zwischen dem Fundtag und dem 27. März muss das Mädchen in den Container geworfen worden sein, nachdem es zuvor eines gewaltsamen Todes gestorben war: Mehr wollen die Beamten der Mordkommission, die dem Kind sara_alter st. michael friedhof_neuköllnden Namen Sara gaben und immer noch nach der Mutter suchen, aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben.

Welche Gefühle mögen die Eltern bei der Geburt gehabt haben, leiden sie jetzt und sind traurig, haben sie womöglich Schuldgefühle? „Wir sind er- schrocken, erbost, traurig, wütend, hilflos und ohn- mächtig.“ Reinhard Voigt sprach aus, was wohl alle Anwesenden dachten: Menschen, die das Kind nie lebendig erlebt hatten und entweder durch die beisetzung sara_alter st. michael friedhof_neuköllnMe- dien von sei- nem Schicksal erfahren hatten oder nahe dem Fundort wohnen. Oder war vielleicht doch jemand unter ihnen, der manche Frage beantworten könnte, bisher geschwiegen hat und nun durch die berühren- den Abschiedsworte des Polizeiseelsorgers zum Reden gebracht wird?

Um 14.20 Uhr wurde der Sarg mit dem kleinen Mädchen, das nicht willkommen war und sterben musste, bevor es das Krabbeln, Laufen, Sprechen und Lachen lernen konnte, begleitet vom beisetzung sara_polizeiseelsorger reinhard voigt_alter st. michael friedhof_neuköllnGesang des United Gospel Choir und großer öffentlicher An- teilnahme in die Erde gelassen.

„Was wohl die Mutter jetzt macht, wäh- rend wir hier um ihr Baby weinen?“, fragt eine Frau flüsternd, nachdem sie Blumen und Sand ins Grab geworfen hat. Weshalb sie das Kind, mit dem sie sich offenbar überfordert fühlte, wie Müll behandelt hat statt es in einer der Berliner Babyklappen abzulegen, will der Rentnerin nicht in den Kopf. Und so geht es vielen, wenn nicht allen, die gekommen waren, um Sara einen würdigen Abschied zu bereiten.

=ensa=

Geschichte(n) im Körnerkiez: Premiere einer neuen Steinle-Tour durch Neukölln

Den Richardkiez kennt er aus dem Effeff, den Reuterkiez ebenfalls, und auch die Quartiere um die Schillerpromenade und die Rollbergsiedlung sind längst keine nogatstraße_steinle-tour körnerkiez_neuköllnunbekannten mehr. Nun hat Reinhold Steinle ein weiteres Viertel beackert, um es in sein Repertoire als Stadtführer aufgzunehmen: den  Körnerkiez.

„Wie groß das Gebiet ist und wie weit die Laufwege dort sind, ist mir auch erst bewusst geworden, seit ich die Tour vorbereite“, gibt er zu. Rund 800 Meter sind es in Ost-West-Richtung zwischen Hermann- und Karl-Marx-Straße, über 400 Meter auf der Nord- Süd-Achse zwischen Thomas- und Siegfriedstraße. Das hat die ursprünglich ins Auge gefasste Route massiv schrumpfen lassen. Schließlich will Reinhold Steinle seine Kiezspaziergänge nicht in stundenlange Wanderungen ausarten lassen. „Am herr steinle_körnerkiez-tour_neuköllnAnfang waren es 16 Punkte, die in die Führung aufgenommen werden sollten“, denkt der gebürtige Schwabe und gefühlte Berliner zurück. Aber was auf dem Stadt- plan machbar erschien, erwies sich schon beim ersten Realitäts-Check als völlig unpraktikabel: „So ist das bisher bei jeder Tour gewesen.“

Im letzten Winter hat Reinhold Steinle be- gonnen, sich in die neue Materie einzu- lesen. Davor hatte die Erkenntnis gestanden, dass es sonst niemanden gibt, der Führungen durch den Körnerkiez anbietet. Unzählige Stunden verbrachte er im Museum Neukölln und mit  der Recherche in anderen stadthistorischen Archiven, um

neuköllner leuchtturm_steinle-tour körnerkiez_neuköllnilsenhof_steinle-tour körnerkiez_neuköllnhinterhof_neukölln

nach Informationen über Gebäude, Menschen und Einrichtungen zu suchen, an de- nen sich die Entwicklung des Kiezes skizzieren ließe. Dem folgte die Kontakt- aufnahme zu Institutionen vor Ort. „Die war zum Beispiel beim Nachbarschaftsheim Neukölln sehr kooperativ und ergiebig, bei anderen dagegen ziemlich mau oder mit schwulen-club trommel_thomasstraße neuköllndem Hinweis erledigt, dass ich doch auf die Homepage gucken soll“, sagt Steinle.

Dass Leute, die an geführten Kiezspazier-gängen teilnehmen, nicht nur an Geschicht- lichem sondern auch an Geschichten und Anekdoten interessiert sind und er diese Mischung in Barkeeper-Manier zusammen- rühren muss, weiß Reinhold Steinle dank langjähriger Stadtführer-Erfahrung nur zu gut. Genauso wichtig sei die Auswahl des richtigen Startpunktes: „Geeignet ist der, wenn man dort  noch etwas essen oder trinken und aufs Klo gehen  kann.“ Wer will schon hungrig, durstig oder mit drückender Blase einen Kiez erkunden?

Durch die Altenbraker Straße geht es zur Emser Straße. Der Wissensdurst ist mit Zahlen zur baulichen Erschließung und Besiedelung des Kiezes, zur Veränderung der Bevölkerungsstruktur und mit Einzelheiten über die Geschichte der abseits der weiteren Route gelegenen Albrecht-Dürer-Oberschule mehr als gestillt. „Etwa 80 Prozent der Zahlen, die ich bei dieser ersten Testtour geliefert hab, sind für künftige walldorf-kindergarten lindenbaum_steinle-tour körnerkiez_neuköllnFührungen gestrichen, ebenso die Details zur ADO“, sagt Reinhold Steinle heute. Der  Grat zwischen Fordern und Überforderung ist schmal und wird oft erst durch ent- sprechende Reaktionen deutlich.

Mit einem Exkurs in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte gelingt es, die ächzenden grauen Zellen wieder in einen aufnahmebereiten Modus zu bringen: Die Mieter zweier Wohnungen in der Emser Straße 10 und 62, hat Steinle recherchiert, beherbergten in der NS-Zeit verfolgte Juden und verhalfen ihnen so zum Überleben. Um einen, der vom Nazi-Regime peter-petersen-schule_steinle-tour körnerkiez_neuköllnausgelöscht wurde, um Martin Weise, geht es in der Jonasstraße an einer der nächsten Stationen.

Nicht minder spannend, wenn auch ungleich leichter sind die Geschichten, die sich um andere Adressen wie die der ehemaligen Tanzschule im Hof des tanzschule will meisel_steinle-tour körnerkiez_neuköllnHauses mit der Num- mer 22, den Ilsenhof oder die Trommel, Ber- lins älteste Schwulen- Bar, ranken. Kurz vor dem Körnerpark, an der Peter-Petersen-Schule, hat dann auch noch Reinhold Steinle sein persön- liches Aha-Erlebnis. „Klar, das ist ein Wal! Jonas- straße … Jonas … biblische Geschichte. Weshalb bin ich nicht selber darauf gekommen?“, fragt er sich und notiert die neuen Erkenntnisse zum Emblem, das die neuköllner reitergrab_steinle-tour körnerkiez_neuköllnFassade der Schule ziert.

Bei der nächsten, nur einige Schritte entfernten Station gibt es nur wenig zu erzählen und noch weniger zu sehen: Im heute asphaltierten Knick zwischen Jonas- und Selkestraße wurde vor über 100 Jahren das Neuköllner Reitergrab entdeckt. Sehr offensichtlich ist dagegen, was der Unter-körnerpark_steinle-tour körnerkiez_neuköllnnehmer Franz Kör- ner in Neukölln hinterließ: Aus einer seiner Kiesgruben wurde zwischen 1912 und 1916 der mittlerweile denk- malgeschützte Körnerpark. „Den zu zeigen und mehr über den Namensgeber bekannt zu machen, war für mich eigentlich auch ein wesentlicher Anreiz zur Ge- staltung dieser Tour“, erklärt Reinhold Steinle. Welche Bedeutung andere Orte für die Entwicklung des Kiezes hatten, erfuhr auch er erst durch seine Recherchen. „Natürlich“, sagt er, „hätte ich außerdem gern das Albrecht- Dürer-Gymnasium und die  Feuerwache an der Kirchhofstraße  in die Route aufge- franz körner_steinle-tour körnerkiez_neuköllnnommen, aber das hätte den Rahmen deutlich gesprengt.“

Zudem wollte Reinhold Steinle, dass die Tour, in die kurz vor der Premiere mit zahlenden Mitläufern noch der Besuch bei einem Gitarrenbauer aufgenommen wur- de, im Körnerpark endet. Denn wo sonst im Kiez lässt sich adäquater der „Humoris- tischen Kultur-Anweisung für Körners Riesen-Sonnenblumen“ lauschen? Sie ist einer der Schätze, die der Stadtführer im Museum Neukölln fand und nun in einen dicken Aktenordner sortiert wurde. „Einen zweiten Ordner mit Körnerkiez-Material hab ich noch zuhause“, verrät er. Es ist also unwahrscheinlich, dass bei dieser neuen Expedition durch ein Stück Neukölln auch nur eine einzige Frage unbeantwortet bleiben muss.

Die erste „Geschichte(n) im Körnerkiez“-Führung (10 Euro / erm. 7 Euro) mit Reinhold Steinle ist am 18. Mai. Sie startet um 15 Uhr an der Leucht- stoff-Kaffeebar in der Siegfriedstraße 19: Anmeldung unter 030 – 53217401 erwünscht.

=ensa=

Wie nach einem Wirbelsturm

hinweistafel kleingartenkolonien sonnenallee_neuköllnDie Hinweistafel steht noch an Neuköllns Sonnenallee, nur von dem, worauf sie hinweist ist nicht mehr viel übrig. Das Gebiet, auf dem früher Laubenpieper ihre Freizeit genossen, erweckt den Anschein, als wäre ein Hurrikan darüber hinweg gefegt. Die Trümmer von Holzhütten und Zäunen liegen verstreut oder zu meter- hohen Stapeln aufgetürmt in den ehe- maligen Kleingartenkolonien, die Blu- men-, Kräuter- und Gemüsebeete sind zerstört. Doch es war keine Naturgewalt, die hier eine Schneise der Verwüstung geschlagen hat, sondern die Politik. Parallel zur

a100-weiterbau_zerstörte kleingartenkolonie sonnenallee_neukölln a100-weiterbau_zerstörte kleingärten sonnenalllee_neukölln

Sonnenallee, nördlich der Dieselstraße, sieht es nicht anders aus: Auch hier sind die einstigen  Parzellen von Brettern, Baumaterial  und  Schutt übersät. Nur die aus  Stein

a 100-weiterbau_zerstörte kleingartenkolonie mergenthaler ring_neukölln a100-weiterbau_zerstörte kleingärten mergenthaler ring_neukölln

gemauerten Datschen stehen noch und warten auf die Bagger, die fortsetzen sollen, was heute vor einer Woche mit dem offiziellen Spatenstich begann: der Ausbau der Stadtautobahn A100. Auch das Werksgelände einer früheren Aluminiumfabrik an der

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Sonnenallee wird der umstrittenen 3,2 Kilometer langen, sechsspurigen Trasse wei- chen müssen, die Neukölln ab 2022 teils unter- und teils oberirdisch mit dem Nachbarbezirk Treptow verbinden soll.

=ensa=

Viel Rummel um Neuköllns Sozialstadtrat Szczepanski

„Nur ’ne halbe Stunde, mehr Zeit hab ich nicht“, sagt Bernd Szczepanski, als er an einem der Biertische vor der Bühne der Neuköllner Maientage Platz nimmt. Kaffee ja, Kuchen nein, zu gemütlich soll es nicht werden. Er müsse noch seinen Unter- senioren-nachmittag_neuköllner maientagesuchungsbericht über den Einsatz von Bezirksamtsmitarbeitern bei der Erstellung des Buschkowsky-Buches „Neukölln ist überall“ abgeben. Die rund 200 Senioren, die sich auf Ein- ladung von Maientage-Organisator Thilo-Harry Wollenschlaeger und dem Neuköllner Bezirksamt zu Kaffee, Kuchen und einer anschließenden Rummelrunde eingefunden haben, können es wesentlich entspannter angehen. „Die Ersten waren schon um 1 hier, also zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung“, erzählt Wol- lenschlaeger (l.). „Da hatten wir noch gar nicht geöffnet, aber wir Schausteller sind ja thilo-harry wollenschlaeger+bernd szczepanski_neuköllner maientageflexibel.“

Das ist der Grünen-Politiker Szczepanski auch, muss er sein, denn vorherseh- und planbar ist nur ein Teil seines Alltags. Die Begrüßungsansprache ist kurz und der Situation angemessen, dass wohl kaum jemand gekommen ist, um sich lange Politikerreden anzuhören. Ein bisschen Rückschau in eine Zeit, als auch Bernd Szczepanski zu den begeisterten Rummel- gängern gehörte, und ein bisschen Vorschau: „Seien Sie vorsichtig, dass sie nicht so viel Kuchen essen, dass Sie hinterher in den Karussells eine Tüte brauchen, und sozialstadtrat bernd szczepanski_neuköllner maientageamüsieren Sie sich schön!“ Wer den Sozialstadtrat beim anschließenden Shakehands beobachtet, käme nicht auf die Idee, dass er es eilig hat. Das ist eine seiner Stärken, neben den fachlichen Kompetenzen.

Auf den Rummel, der heute für Szcze-panski ansteht, hätte er ebenso wie seine Fraktion am liebsten verzichtet. Den zettelten drei Mitglieder der Neu- köllner SPD-Fraktion an, die bei der letzten Bezirksverordnetenversammlung – entgegen vorheriger Absprachen – mit Nein statt mit Enthaltung abstimmten, als es um den Antrag auf Verlängerung der Amtszeit des Sozialstadtrats ging, der rein formell an seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand geschickt werden würde. Nun soll heute ab 17 Uhr in einer Sonder- sitzung im BVV-Saal erneut über den Antrag abgestimmt werden. Es deute alles darauf hin, dass das Ergebnis diesmal in seinem Sinne ausfallen werde, sagt Bernd

luftballons_neuköllner maientage melody star_neuköllner maientage kirmes-leckereien_neuköllner maientage

Szczepanski. Doch leise Zweifel sind nicht zu überhören. Schließlich hatte sich die Situation im Vorfeld der letzten Abstimmung nicht anders dargestellt.

Beim Bühnenprogramm für die Neuköllner Senioren ist Entertainer Pauly nun von alten Berliner Liedern zu einem Quiz übergegangen. Wie heißt der Bezirksbür- germeister, wie die Neuköllner Ortsteile und welche ist die längste Straße im Bezirk? Wer zuerst die richtige Antwort ruft, bekommt Preise, die sonst nur mit etwas pauly+senioren-nachmittag_neuköllner maientageGlück an der Losbude zu gewinnen sind.

Morgen wird keine Einladung und kein blau- es Bändchen brauchen, wer Bernd Szcze- panski reden hören und sprechen will: Von 14 bis 15 Uhr bittet der Sozialstadtrat zur Bürgersprechstunde ins Haus des Älteren Bürgers. „Mal gucken, wer kommt“, sagt er. Sonderlich bekannt sei das Angebot noch nicht, groß jedoch der Bedarf, ein offenes Ohr für Sorgen im sozialen Bereich zu finden: „Häufig geht es um Mietprobleme.“ Aber auch bei unterschiedlichsten anderen Anliegen versucht er weiter zu helfen, das reiche von Gesundheitsthemen bis hin zu Anwohnerärgernissen um vermüllte Straßen und Wege. Er ist ja flexibel.

=ensa=

Eine Sache der Betonung

Das auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei neu erbaute und kürzlich eröffnete KfH-Nierenzentrum Neukölln bekommt nun noch eine frische Fassade: Ein künstlerisch gestalteter Streifzug durch Neukölln mit vielen originellen Details legt sich jetzt  über den reinweißen  Voranstrich, bricht  die klotzige  Architektur  und macht

kfh-nierenzentrum neukölln

das Gebäude zum Blickfang der Straße. Etwas polarisieren könnte jedoch der Schrift- zug „Eine Stadt Niere für alle!!“, dem man – ähnlich wie beim Satzzeichen retten Leben-Beispiel „Wir essen jetzt Opa“ – nur bei richtiger Betonung zustimmen mag.

Neuköllner Erinnerungs(un)kultur

Heute würde Martin Weise sein 110. Lebensjahr vollendet haben, wäre er nicht – wie so viele seiner Gesinnungsgenossen – den Naziverbreche(r)n zum Opfer gefallen und mit gerade einmal 40 Jahren zu Tode gebracht worden. Ein wahrhaft mutiger Mann, der auch nach dem Verbot des Parteiorgans „Die Rote Fahne“, für das er als Redakteur tätig war, dieses illegal weiter mit herausgegeben hat. Deshalb verhaftet, martin weise-wohnhaus_jonasstr 42_neuköllnarbeitete er nach fünf Jahren barba-rischer Haft- und Lagerbedingungen erneut publizistisch im Untergrund, diesmal für die Zeitschrift „Die innere Front“.

In seiner Neuköllner Zeit wohnte Mar- tin Weise in der Jonasstraße 42 und war ab 1929 Bezirksverordneter für die KPD – bis die Nazis es unterbunden haben. Da der Hauseigentümer gegen das Anbringen der bereits im September 1984 von der Bezirksverordnetenversamm- lung beschlossenen Neuköllner Gedenktafel an der Fassade seines Gebäudes war, wich man auf eine Metalltafel in einem Stahlrohrrahmen vor dem Haus aus: Erst im September 1998, also ganze 14 Jahre nach dem Beschluss und fast 55 Jahre nach Weises Tod, wurde martin weise-fahrradbügel_neuköllndiese schließlich aufgestellt.

Der auf der stark verschmutzten Tafel nur schwer lesbare Text lautet: „Hier wohnte Martin Weise, ge- boren 1903, Redakteur der „Roten Fahne“ und von 1929 bis 1933 Bezirksverordneter der KPD. Nach einem langen Leidensweg durch verschiedene Kon- zentrationslager und Zuchthäuser wurde er wegen seines Widerstands gegen den nationalsozialis-tischen Terror zum Tode verurteilt und am 15. No- vember 1943 im Zuchthaus Brandenburg hinge-richtet.“

beschmierte martin-weise-gedenktafel_neuköllnDer Rahmen der Gedenktafel, die in einer verdreckten ehe- maligen Baumscheibe steht, mutet wie ein Fahrradbügel an und wird offenbar auch als solcher genutzt. Als sei diese Art der Erinnerungskultur nicht schon unwürdig genug, hat man nun zum 110. Geburtstag Martin Weises noch eins draufgesetzt, das hier nur dokumentiert, aber nicht weiter kommentiert werden soll.

=kiezkieker=