Der Vater einer schwäbischen Freundin hat mir einmal vor Jahren erzählt, dass er Josephine Baker live in Stuttgart auf einer Bühne gesehen hat. Für viele ist Josephine Baker auch heute noch ein Begriff und auf die Frage „Was fällt Ihnen zu ihr ein?“, würden viele wohl die Stichworte „Tanz“ und „Bananenrock“ nennen. Eine andere Frau, sieben Jahre vor Josephine Baker im Jahr 1899 geboren, kannte ich fast nur vom Namen her: Anita Berber. Und wenn mich jemand Näheres zu ihr gefragt hätte, dann wären mir wohl nur die Begriffe „Tanz“ und „Skandal“ eingefallen. Umso überraschter war ich, als ich vor kurzem feststellte, dass Anita Berber auf dem alten Friedhof der St. Tho- mas-Gemeinde in der Neuköllner Hermannstraße begraben wurde.
Anita Berber wurde nur 29 Jahre alt. Am 10. November 1928 starb sie im Krankenhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg. Doch welch exzessives Leben hat sie in diese 29 Jahre gepackt!
Als Tochter eines Künstlerehepaares geboren, das sich schon nach einigen Jahren trennte, lebte Anita Berber zusammen mit ihrer Mutter und weiblichen Anverwandten in einer Wohngemeinschaft in der Zähringer- straße 13 im Berliner Bezirk Wilmersdorf. In Berlin nahm sie Schauspiel- und Tanzunter- richt bei bekannten Lehrerinnen und wurde schon in jungen Jahren eine gefeierte Solotänzerin, die in Varietes wie dem Win- tergarten auftrat und bald Auslandstourneen machte.
Nach einer dreijährigen Ehe mit einem Offizier zog sie zu ihrer Freundin, mit der sie eine lesbische Beziehung hatte. Mit ihrem späteren zweiten Ehemann, Sebastian Droste, gestal- tete sie ein Tanzprogramm mit dem Titel „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“, das in Wien uraufgeführt wurde. Dieses Tanzprogramm löste einen großen Skandal aus. Die Zeitungen berichteten ausführlich darüber und natürlich wollte jeder diese Aufführung sehen. Staatliche Stellen zwangen beide, 1923 Österreich zu verlassen. Droste ging für einige Jahre nach New York und starb 1927, nach der Rückkehr aus den USA, in Hamburg. Anita Berber heiratete 1924 zum dritten Mal: den amerikanischen Tänzer Henri Châtin Hofmann, mit dem sie zusammen auftrat. Und immer wieder kam es nach Tanzdarbietungen der beiden zu Skandalen. Zusammen mit ihrem Mann brach sie 1927 zu einer langen Tournee in den Nahen Osten auf, bei der sie 1928 in Damaskus auf der Bühne zusammenbrach.
Seit Jahren schon war Anita Berber kokainabhängig gewesen, nun er- krankte sie schwer an Tuberkulose. Nur mit Spenden von Berliner Künst- lerfreunden gelangte sie, zusammen mit ihrem Mann, nach Berlin zurück. Dort wurde sie in das Krankenhaus Bethanien eingeliefert, wo sie nicht mal 30-jährig verstarb.
Die direkt neben dem Kreuzberger Krankenhaus gelegene Kirchengemeinde St. Thomas hatte schon im Jahr 1865 ihren Friedhof vor die Tore Berlins, an die Neuköllner Hermannstraße, gelegt. Andere Gemeinden machten es ebenso; Grund hierfür war, dass innerstädtische Flächen für den Wohnungsbau benötigt wurden. Am 14. November 1928 wurde Anita Berber auf dem St. Thomas-Friedhof in einer Erd- bestattung beigesetzt. Ob es jemals einen Grabstein für sie gab, ist nach wie vor unklar. In einem alten Fried- hofsführer fand sich der Eintrag „Ani- ta Berber, eingeritzt auf einer Bank.“ Auch von dieser Bank gibt es keine Spuren mehr. Denn 2007 wurde der Friedhof, auf dem 1978 die letzte Be- erdigung stattfand, geschlossen und geräumt. 55 Jahre vor der Schließung wurde hier noch Anita Berbers Mutter bestattet.
Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat die Tänzerin und Schauspielerin einmal als „gewagteste Frau ihrer Zeit“ bezeichnet, und Rosa von Praunheim drehte 1987 den Film „Anita – Tänze des Lasters“, in dem Lotti Huber mitspielte, sich als Bewohnerin eines Altersheims für Anita Berber hielt und aus deren Leben erzählte. Die künst- lerische Beratung für diesen Film kam von Lothar Fischer, der das Anita Berber Archiv betreut, und dem ich für seine Informationen, die er dort zusammengetragen hat, herzlich danken möchte. Sein Buch „Anita Berber – Göttin der Nacht“ kann wenigstens noch antiquarisch erworben werden.
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