Dit kommt allet uffn Müll! Es war dieser Satz, der Brigitta Polinna alarmierte. Jahre- lang war sie Kundin des Puppendoktors in Kreuzberg gewesen, und der war nun ver- storben, was wiederum seine Witwe vor die Aufgabe stellte, die Werkstatt auflösen zu müssen. „Als sie mir sagte, dass sie alles wegschmeißen will, hab ich beschlossen, ihr das komplette Inventar abzukaufen und eine eigene Puppenklinik in Neukölln zu eröff- nen“, erzählt Brigitta Polinna. Ein günstiger Laden nahe dem Richardplatz und der Karl- Marx-Straße war schnell gefunden, gegen eine zeitlich sehr begrenzte Nebentätigkeit hatte der Arbeitgeber der Sozialpädagogin nichts einzuwenden: „Öfter als an einem Nachmittag pro Woche zu öffnen, hatte ich nie vor.“ Schließlich sollte die Puppenklinik
nur ein Hobby sein.
Das war 1981. „Der Umzug war fürchterlich“, erinnert sich Polinna. Tonnenweise Puppen- köpfe, -gliedmaßen verschiedenster Längen, -augen und -körper mussten von der Böckh- in die Richardstraße transportiert werden, schier unzählige Pappkartons mit Ersatzteilen wie Mama- und Brummstimmen, Repa- raturmaterialien und Stoffen, Nähgarnen und Borten. Dazu etliche meterhohe, eiserne Industrieregale und Puppen, die – bereits operiert – auf ihre Abholung oder noch auf die Behandlung warteten. „Kommen Sie mal mit!“, sagt Brigitta Polinna und öffnet die Tür zum Hinterzimmer des kleinen, skurrilen Ladens: Orga- nisiertes Chaos, so weit das Auge reicht. Die Hölle für Ordnungslieben- de, das Paradies für die Puppendok- torin: „Ich weiß ganz genau, was in welcher Kiste ist.“
Dass trotz des üppig bestückten Er- satzteillagers nicht jede Patientin sofort operiert werden kann, ist kaum vorstellbar, aber die Realität. Denn Brigitta Polinna hat höhere Ansprüche als die, dass eine Puppe wieder alle Extremitäten oder zwei Schlafaugen hat. Sie legt auch Wert darauf, dass hinterher alles so stilecht wie möglich aussieht. „Das Problem dabei ist aber, dass es für Puppen, die vor einigen Jahrzehnten gekauft wurden, längst keine fabrik-
neuen Ersatzteile mehr gibt.“ Da müsse sie dann, wenn der eigene Vorrat erschöpft ist, passende Organspender auftreiben, was mit Glück Wochen oder Monate dauern kann, manchmal jedoch auch Jahre braucht. Verständnis für ein solches Ausmaß an Geduld brächten allerdings nur Puppen- besitzerinnen auf, die den Wert ihrer Schätze erahnen können. „Leider“, bedau- ert Brigitta Polinna, „werden das immer weniger.“ Die Stammkundschaft von frü- her, oft ältere Damen, sterbe eben nach und nach weg.
Auf die Reparatur an sich, muss niemand lange warten. Die kaputten Augen einer Puppe sind im Handumdrehen ersetzt, ebenso das durch den Rumpf verlaufende ausgeleierte Gummi oder der verstummte Brumm-Tonkörper eines Teddys. „Man muss Spaß an Fummelarbeit haben“, be-
schreibt Polinna. Je kleiner der Patient ist, desto fummeliger sei es. Dass die inzwischen berentete Neuköllnerin eigentlich Kostumbildnerin werden woll- te, kommt dem Bewältigen feinmotorischer Heraus- forderungen zugute. Noch heute schwärmt sie von der Tüftelei an einer Biedermeierpuppe: „Das war ein echter Schatz, mit Lederbalgkörper und Porzellankopf.“ Was nun meist auf
ihrem OP-Tisch landet, sind per Fließband produzierte Nos- talgiepuppen, bei denen das Ausbessern manchmal kostspieliger ist als die Puppe es war.
Nein, sagt Brigitta Polinna, leben könnte sie von ihrer Arbeit als Puppenärztin nicht. Das sei immer noch nur ein Hobby. Eines, das nur in Anspruch genommen werde, wenn das Geld dafür übrig ist. Zwar stelle sie durchaus fest, dass das Interesse an dem, was sie tut, mit dem Zuzug vieler junger Leute in den benachbarten Richardkiez und nach Neukölln gewachsen sei, „aber die meisten von denen kommen nur zum Gucken rein.“ Viel- leicht sollte ich Eintritt nehmen, scherzt sie.
Die Puppenklinik Neukölln ist in der Richard-straße 99 und jeden Dienstag von 15 – 18 Uhr geöffnet.
=ensa=
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