Sechs von 18: verfolgt, deportiert, ermordet

stolpersteine oderstr. 52 neuköllnEs herrscht ein Wetter, wie es novembriger nicht sein könnte. Dennoch haben sich an diesem Morgen erstaunlich viele Menschen, sogar eine ganze Schulklasse vor dem Haus Oderstraße 52 im Neuköllner Schillerkiez eingefunden. Für die Kinder ist es sicher kaum, für die Erwachsenen nur schwer vor- stellbar, was sich hier im Sommer 1942 abspielte. Vor den Augen des 12-jährigen Max wird seine Großmutter „abgeholt“. Gemeint war damals damit: aus der Familie gerissen, deportiert und ermordet zu werden. Noch unbegreiflicher, dass auch Max zusammen mit seiner Mutter ein halbes Jahr später mit dem 26. sogenannten Ost- transport des Reichssicherheitshauptamts ins KZ Auschwitz deportiert wird.

Heute werden hier zum Gedenken an diese drei Menschen Stolpersteine in den Bürgersteig eingelassen: „Hier wohnte Martha Meth / geb. Lewin / Jg. 1903 / deportiert 12.1.1943 / ermordet in Auschwitz“, informiert der eine. „Hier wohnte Max Meth / Jg. 1930 / deportiert 12.1.1943 / ermordet in Auschwitz“, besagt ein anderer. gunter demnig_stolpersteine oderstr. 52 neukölln„Hier wohnte Selma Lewin / geb. Meyer / Jg. 1868 / deportiert 31.8.1942 There- sienstadt / ermordet 28.4.1944″, verrät der dritte.

Gunter Demnig arbeitet mit seinem Assis-tenten wie ein Uhrwerk, jeder Handgriff sitzt, inzwischen hundertemal ausgeführt. Nachdem die letzte Schaufel Sand in die Fugen gefegt und die demnig_wetzlar-schule_stolpersteine meth + lewin_neuköllnMessingoberflächen geputzt worden sind, kommt ein Junge, der inzwischen in Charlottenburg zur Schule geht, mit einem Strauß weißer Rosen, die er nun um die Gedenksteine drapiert. Er gehörte der Arbeitsgemeinschaft von Schülern der damali- gen 6. Klasse der Wetzlar-Schule an, die sich mit den Hintergründen der NS-Diktatur be- fasste und sich besonders für das Leben von rassisch verfolgten Kindern inte- wetzlar-schüler_stolpersteine meth + lewin_neuköllnressierte. Auf ihrem Schulfest sammelten sie Geld für diesen Stolperstein.

Der zweite Stolperstein wurde von Verwandten gestiftet, von denen drei bei dieser Gedenkstunde anwesend sind. Herr Schicke erläutert die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Opfern und veranschaulicht, wie schwer es für sie auch heute noch sei, sich diesem Teil ihrer Familien- geschichte zu nähern. Von ihm ist auch zu erfahren, dass von den insgesamt sieben Kindern der Selma Lewin weitere drei mit ihren Familien in Auschwitz oder There- sienstadt umgekommen sind. Andere konnten emigrieren, z. B. nach Argentinien, oder franziska giffey_stolpersteine oderstr. 52 neuköllnunter falschem Namen in Thü- ringen unter- tauchen. So sachlich Herr Schicke (2. v. r.) das auch schildert, so bedrückend sind die Vorstellungen, die sich damit verbinden.

Auch Dr. Franziska Giffey (r.), Bezirks-stadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport, dankte für das Interesse und das Engagement der Beteiligten. Der Schulleiterin der Wetzlar-Grundschule, Brigitte Schmidt, überreichte sie ebenso wie einer Angehörigen, stellvertretend für die Familie, das Buch „Zehn Brüder waren wir gewesen… Spuren Jüdischen Lebens in Neukölln“. demnig_stolpersteine meth + lewin_neuköllnGiffeys für die Pressearbeit zuständige Mitarbeiterin, Bärbel Ruben, hebt ebenfalls das Bürgerengagement hervor, das solche Aktionen erst ermög- licht. Der Pate des dritten Stolpersteins, der an Martha Meth erinnert, wohne in der Nachbarschaft, erzählt sie. Falls er anwe- send sein sollte, will er sich nicht zu erkennen geben. Gunter Demnig will wei- ter: Die Verlegung 18 neuer Stolpersteine hat er für den Vormittag in Neukölln auf dem Programm.

Schon für 5 nach 10 war die Stolperstein-Verlegung vor dem Haus Richardstraße 86 geplant, und fast auf die Minute pünktlich fährt ein rotes Auto vor, dem der Künstler Gunter Demnig sowie ein junger Mann entsteigen. Die Station in der Richardstraße ist bereits die vierte des Tages. Mit großer Routine und im Beisein von Beate Motel (r.) und Brigitta Polin- na, Vertreterinnen des Förderkreises Böhmi- sches Dorf in Neukölln e. V., der Pate der beiden Mahnmale ist, entnimmt Gunter Dem- nig  Steine aus Gehwegbelag und passt in den freien Platz die Stolpersteine für Karoline Basch, geb. Schütz, und Josef Basch ein.

Beide stammten aus Böhmen: Josef Basch wurde am 17. Mai 1879 in Reitschoves geboren, Karoline am 14.3.1875 in Myss. Am 17. November 1941 wurden die Neuköllner nach Kowno depor- tiert, wo die Nazis einige Monate zuvor ein Konzentrationslager errichtet hat- ten. Kauen, der Ort an dem beide acht Tage nach ihrer Deportation starben, ist eine alte deutsche Bezeichnung für die litauische Stadt Kaunas; Kowno ist deren russischer Name.

Mehr als diese nackten Zahlen sind von den Baschs bisher nicht bekannt. Es liegt jetzt an der Initiative jedes Einzelnen, weiteres über Karoline und Josef Basch zu recherchieren. Volker Banasiak vom Museum Neukölln, der bezirkliche Stolpersteine-Koordinator, nannte mir einige der Möglichkeiten der Spurensuche: Zum Beispiel seien das Brandenburgische Landes- hauptarchiv (dort die Akten des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg), die Archivalien jüdischer Gemeinden, Institutionen und Privatpersonen, Berliner Adress- bücher (verfügbar in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin), sowie die Gedenk- stätte in Yad Vashem wertvolle Quellen.

Josef Basch und Karoline Basch. Was immer sie beruflich taten, mit wem sie im Böhmischen Dorf Kontakt hatten, wer ihre Freunde waren? Wir wissen es noch nicht. Was wir wissen: Sie wa- ren Bürger von Neukölln.

Dem Initiator der Stolpersteine, Gun- ter Demnig (r.), konnte ich noch einige Fragen stellen. 1993, erzählt er mir, habe er die Idee gehabt, durch Stol- persteine an Verfolgte der NS-Zeit zu erinnern. Ab 1996 verlegte er die ers- ten illegal im Berliner Bezirk Kreuz- berg, legitimiert wurde das Projekt erst im Jahr 2000. Seitdem werden die Stolper- steine von ihm das ganze Jahr über verlegt. Einzig Minustemperaturen unter 9 Grad, sagt er, könnten seine Arbeit verhindern. Da störte dann der Regen gleich weniger.

Eine knappe halbe Stunde später erreichen Gunter Demnig und sein Zwei-Mann- Team das sechste Etappenziel in Neukölln: Bis zum Oktober 1940 lebte Paul Fürst in der 3. Etage des Hauses in der Bruno-Bauer-Straße 17a. Dass nun ein Stolperstein an ihn erinnert, ist dem Verein  proNeubritz  zu verdan- ken, der die Patenschaft für das Messing-Mahn- mal des Mannes übernahm, der „wegen politi- scher Unzuverlässigkeit“ ermordet wurde.

Paul Fürst war zunächst Justizangestellter ge- wesen, machte sich aber später selbstständig und gründete den Neukultur- und den Kosmos-Verlag. Schon 1920 war er in die SPD eingetreten und bis zum Verbot der Partei im Jahr 1933 ihr Mitglied. Weil Fürst „so- zialistische und wissenschaftliche Bücher“ vertrieb, wurde er 1938 mit einem Berufs- verbot belegt. Zwei Jahre später beschlag- nahmte die SA den kompletten Bücher- bestand, und die Gestapo nahm Paul Fürst wegen ille- galer Arbeit in „Schutz- haft“. Nach einigen Tagen wurde er  in das KZ Sach- senhausen eingeliefert, wo er am 6. Juni 1941 um 18.30 Uhr starb. Als Todesursache nennt die vom Lagerarzt ausgestellte Todesbescheinigung, die auch in der Publikation „Widerstand in Neukölln“ dokumen- tiert ist: doppelseitige Lungenentzündung und Kreis- laufschwäche.

Bei anderen Anga- ben hätten sich die Nazi ebenfalls viel Mühe gegeben, durch absicht- lich verfälschte Daten die Spurensuche nach Geg- nern des Regimes zu erschweren, sagt Bertil We- wer vom proNeubritz-Vorstand. So werde im Ster- bebuch des Standesbeamten Paul Fürsts alte Ge- schäftsadresse in der Gontardstraße 2 als Wohn- ort genannt: „Sehr wahrscheinlich lebten aber außer Paul Fürst auch seine Mutter, seine Schwes- ter und sein Bruder während der NS-Zeit hier in der Bruno-Bauer-Straße.“ Fürsts Schwester starb, wie Recherchen des Vereins ergaben, bruno-bauer-str. 17a_neuköllnim Dezember 1944, die Mutter, die als Opfer des Natio-nalsozialismus anerkannt wurde, am 14. März 1947. Eine Entschädigungszahlung blieb Paul Fürsts Bruder Wilhelm verwehrt, der später in Moabit wohnte und bis zu seinem Lebensende unter den Folgen des Nazi-Regimes litt. „Was von 1933 bis 1945 in Deutschland den Menschen an Verbrechen und Unmenschlichkeiten angetan wurde, hat auch Gott erzürnt und er wird den Schuldigen nie ver- geben, niemals“, hielt er schriftlich fest.

„Wir gehen jetzt weiter zur Jahnstraße 12, wo der proNeu- britz einen weiteren Stolperstein für Karl Tybussek ver- legen lässt. Danach werden wir die älteren Stolpersteine in Neubritz reinigen“, kündigte Wewer zum Abschluss der Gedenkzeremonie vor Fürsts Wohnhaus an. „Scheiß- wetter!“, brummelt Gunter Demnig und setzt sich zu seinem Assistenten und seinem Fahrer ins Auto. Nachdem der 18. neue Stolperstein weiter im Süden Neuköllns verlegt ist, setzt er seine Mission in anderen Berliner Bezirken fort.

=kiezkieker / Reinhold Steinle / ensa=

Bereits erschienene Beiträge über Stolpersteine im FACETTEN-Magazin: hier!

Neuköllns Designer-Szene unter einem Dach

nemona concept store neuköllnEtwas weniger Wirklichkeit wäre den über 30 Neuköllner Designern, die momentan ihre Kollektionen und Produkte im Concept Store in der Ganghoferstraße anbieten, sicher nicht unlieb gewesen: Eine Bau- stelle direkt vor der Tür, die Zufahrt von der Karl-Marx-Straße aus unmöglich. Gewerbetreiben- de, die ihre Lä- den im südlicheren, gerade fertiggestellten Bereich der Magistrale haben, können ein Lied davon singen, was das bedeutet. Fröhliche Dur-Klänge kommen in dem nicht vor.

Ein Besuch des temporären Kaufhaus lohnt sich dennoch, denn es gibt einen guten Überblick über die Kreativität und Qualität der Szene, die zu einem Standbein der lokalen Ökonomie aufgebaut werden soll. Aktuell laufe deshalb eine Untersuchung, die das Potenzial für den Echtbetrieb eines Modekaufhauses  im Zentrum Neu- köllns  ermittelt, erzählt Clemens Mücke von der Wirtschaftsförderung des Bezirks- amtes. Fällt die Prognose positiv aus, werde der  Gedanke, Design aus Neukölln un-

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ter einem gemeinsamen Dach zu präsentieren, weiter verfolgt. Mit dem Concept Store spielt man diese Idee jetzt schon einmal durch: Fashion von zeitlos-klassisch über funktional bis extravagant für Frauen reiht sich an den Kleiderstangen auf. Das Angebot  für Männer ist erheblich übersichtlicher, das  für Kinder nur rudimentär vor-

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nemona concept store, neuköllnnemona concept store, neukölln, stand der dinge neuköllnhanden. Groß ist die hin- gegen die Auswahl wär- mender und dekorativer Accessoires für Hälse, Köpfe und Hände. Vor- wiegend auf Schmuck, innovatives Wohndesign und Utensilien setzt in- des der „Stand der Din- ge“, der die Produkte von acht Neuköllner Krea- tiven in seinem aus 62 alten Fenstern recycelten Shop-in-Shop-System ausstellt und zum Verkauf anbietet.

Noch bis zum 1. Dezember gibt es im Concept Store in der Ganghofer- straße 2 Mode und Design aus Neukölln. Geöffnet ist von 16 – 20 sowie Samstag von 11 – 20 Uhr, gezahlt werden kann nur bar.

Teilnehmende Designer: 1979 + African Modedesign + Bijohly + Benra + Berlinfabrik + BERLIN-­‐MY-­‐INSPIRATION + Bolsos Berlin + Chalotte Pulver + Claudia Mangelsdorf + Claudia Vitali + Dagmar Pelger + Eilbotenanstalt + Felicitas Sonnenberg + Format + Kollateralschaden+ Lasalina + Linn Annen + ManduTrap + Mohnlicht + No mimikri + Par 2 + Retape + Rix & Roxi + Junite + Stand der Dinge + fliptheside objects +Susanne Grossmann + TingDing + Treches + Twintee + VibeLich + Vorsicht Glas! + ZETAZEPA

=ensa=

Das Hoffen auf den Alpha-Schock

Im Neuköllner Estrel Hotel, wo Übernach-tungs- und Tagungsgästen derzeit ob des güldenen, illuminierten Adventsschmucks noch mehr Lichter als sonst aufgehen, trafen sich gestern und heute über 250 Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Bil- dungseinrichtungen anlässlich des Ab- schlusses der UN-Weltdekade zur Alpha- betisierung zum zweitägigen Symposium „Weiterbildung im Dialog“. Bei einer hoch- karätig besetzten Podiumsdiskussion zur Halbzeit ging es um die Fragen, zu wel- chem Status quo die 2003 begonnene Weltdekade in Deutschland geführt hat und wie der künftige Umgang mit den Themen Alphabetisierung und Grundbildung  ge- staltet werden muss, um hierzulande die gesamtgesellschaftliche Situation und die der  etwa 7,5 Millionen erwachsenen Betroffenen nachhaltig verbessern zu können.

tagung "weiterbildung im dialog", un-weltdekade zur alphabetisierung, estrel berlin-neukölln

v. l.: Peter Hubertus (Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung), Ulrich Aengenvoort (Deutscher Volkshochschul-Verband), Dr. Roland Bernecker (Deutsche UNESCO-Kommission), Dr. Simone C. Ehmig (Institut für Lese- und Medienforschung, Stiftung Lesen), Rudolf Hahn (Volkshochschule Trier), Achim Himmelrath (Moderator)

Schon hinsichtlich des bereits Erreichten ließen sich die Diskutanten nicht auf einen gemeinsamen Nenner brin- gen. „Wir haben erreicht, dass die Größe des Problems er- kannt wurde“, bilanzierte Dr. Roland Bernecker, der Gene- ralsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission. „Die UN-Dekade hat nicht ge- schafft, was wir erhofft hat- ten“, hielt Peter Hubertus vom Bundesverband Alphabetisie- rung und Grundbildung dage- gen. Während es auf poli- tischer Ebene bei den Inte- grationskursen klare Zuständigkeiten gebe, hinke man dem mit der Alphabetisierung und Grundbildung noch ein ganzes Stück hinterher. „Da gilt es Lösungen zu finden und klare Ziele zu definieren“, forderte Hubertus. Grundlage dafür könne aber nur sein, dass in Deutschland ein Klima herrscht, das den Problemkomplex regie- tagung "weiterbildung im dialog", un-weltdekade zur alphabetisierung, estrel berlin-neuköllnrungsunabhängig als Langzeitaufgabe be- greift.“ Das sei aber insbesondere in der Politik auf Länderebene noch nicht ange- kommen.

Letzteres wollte Rudolf Hahn nicht bestä-tigen. Der Leiter der Volkshochschule Trier ist Initiator eines Alpha-Bündnisses in sei- ner Stadt, das – ebenso wie das Alpha-Bündnis Neukölln – auf die Vernetzung aller vom Kontakt mit funktionalen An-Alpha- beten tangierten Einrichtungen setzt: „Zu unseren Unterstützern zählen alle relevanten Parteien, und als Schirmherr konnten wir den Trierer Oberbürgermeister gewinnen.“ Das sei auch nötig, um das Thema dauerhaft in den lokalen Medien platzieren zu können. „Leider ist es uns nicht gelungen, das bundesweit zu schaffen“, bedauerte Ulrich Aengenvoort, der Direktor des Deutschen Volkshochschul-Verbands: „Warum hat es einen Pisa-Schock gegeben, aber keinen Alpha-Schock?“ Die dramatischen Zahlen seien schließlich hinlänglich bekannt. Ob die meist nur strohfeuerartige Be- tagung "weiterbildung im dialog", un-weltdekade zur alphabetisierung, estrel berlin-neuköllnrichterstattung der Tatsache geschul- det sei, dass für Alphabetisierungs- und Grundbildungsdefizite im Gegen- satz zu den Pisa-Ergebnissen kein eindeutiger Schuldiger dingfest ge- macht werden könne, frage er sich. Sind die Schulen und das Bildungs- system für die Misere verantwortlich? Ist es die Gesellschaft? Oder liegt die Schuld bei jedem Betroffenen selber?

Erwiesen ist, dass die hohe Zahl funktionaler An-Alphabeten, die folglich auch die Standards der Grundbildung nicht erreichen können, zu massiven Problemen führt. Auch in den volks- und privatwirtschaftlichen Bereich hinein. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind – trotz meist fehlender Berufsausbildung – nach einer Erhebung vom Alphabund erwerbstätig und verrichten einfache manuelle Tä- tigkeiten. Spezielle Weiterbildungen gebe es für sie jedoch kaum. „Was wir brauchen, sind passgenaue Angebote, die An-Alphabeten das Lernen in der eigenen Lebens- tagung "weiterbildung im dialog", un-weltdekade zur alphabetisierung, estrel berlin-neuköllnwelt ermöglicht“, appelliert denn auch Dr. Simone C. Ehmig, die das Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen leitet. Dafür müssten Lerner in die Konzeptionen eingebun- den werden. Zudem, weiß Ehmig, spiele der Peer-Gedanke in der Grup- pe der Betroffenen eine große Rolle, will heißen: Ehemalige An-Alphabeten, die sich erst als Erwachsene das Lesen und Schreiben aneignen, sind als Vorbilder mit Motivationsfaktor nicht zu unterschätzen.

Davon, dass die Themen Alphabetisierung und Grundbildung als bewältigt ad acta gelegt werden können, ist Deutschland – so die einhellige Meinung der Diskutanten – noch weit entfernt. Nicht einig waren sich die Experten auf dem Podium aber darüber, ob es sinnvoll wäre, nun eine nationale an die globale Dekade zu hängen.

=ensa=

Kommt er oder kommt er nicht?

Haufenweise

statt

Das hatte sich die Rentnerin, die vor sechs Jahren mit ihrem Mann von Neukölln auf die Kanareninsel Lanzarote zog, anders erhofft. „Vor zwei Jahren“, erinnert sie sich strahlend, „ist genau am Tag, als wir hier zum Heimatbesuch gelandet sind, der erste Schnee gefallen.“ Früher, sagt sie, mochte sie den Winter gar nicht. Jetzt kommt das Rentnerehepaar einmal im Jahr für drei Wochen mit der Hoffnung nach Berlin, ihn zu treffen: „Unserer Familie und Freunden erzählen wir natürlich, dass wir ihretwegen und wegen des Weihnachtsmarkts auf dem Richardplatz hier sind.“ Für die Sehn- sucht nach Schnee und Frost hätten die kein Verständnis.

Neuköllner Jugendliche zeigen ihre Sicht auf Berlin

Als Roland Hägler kurz vor Ostern gefragt wurde, ob an der Hermann-von-Helmholtz-Schule, wo er Rektor ist, eine Kleinklasse für Roma-Kinder eingerichtet werden könne, war er zunächst skeptisch. Was würde das für die Lehrer- und Schülerschaft bedeuten? Welche Probleme würden auf sie zukommen und welche auf die Neuen? Das waren Fragen, die ausstellung "die stadt in meinen augen", rathaus neukölln, hermann-von-helmholtz-schule neukölln, cordula simon, joscha remus, dr. franziska giffey, roland häglerihn beschäftigten – bevor er entschied, es probieren zu wollen. Inzwischen findet Roland Hägler (r.): „Die Roma-Klasse ist eine große Bereicherung für uns alle, weil die 14 Kinder äußerst lernwillig, neugierig und motiviert sind.“ Vier von ihnen, das zeichne sich bereits ab, seien schon zum nächsten Schuljahr so- weit, dass sie in eine Regelklasse wech- seln können.

Nun zeigen 12 Schülerinnen und Schüler mit der  Foto-Ausstellung „Die Stadt in meinen Augen“, wie sie ihre neue Heimat sehen. „Für die meisten Roma“, weiß ausstellung "die stadt in meinen augen", rathaus neukölln, hermann-von-helmholtz-schule neukölln, joscha remusHägler, „ist die erstmal ein Kulturschock, weil sie aus Dörfern kommen, die sich mit deutschen Dör- fern nicht vergleichen lassen.“ Initiiert und geleitet wurde das bislang einmalige, mit LSK-Mitteln geför- derte Fotoprojekt von Joscha Remus (2. v. l.), der nicht nur fachliches Know-how dazu beitrug, sondern auch selber väterlicherseits Wurzeln in Rumänien und bereits drei Bücher über ausstellung "die stadt in meinen augen", rathaus neukölln, hermann-von-helmholtz-schule neukölln, joscha remusdas Land geschrieben hat. „Bei dem Pro- jekt“, sagt er, „ging es mir in erster Li- nie um das Team- work unter den Ju- gendlichen und darum, ihnen die Chance zu geben, ihre  Kreativität zu entdecken und zu beweisen und durch das Bewegen in der Stadt und den Kontakt zu den Berlinern spielerisch die Sprachkompetenz zu erweitern.“ Das Ergebnis sind rund 40 Fotos, die teils überraschende Eindrücke von Berlin zeigen, vor allem aber die Lebensfreude und Ausgelassenheit der jungen Roma widerspiegeln. Auch er selber, so Remus, habe durch die Zusammenarbeit viel über sein Deutsch gelernt und zugleich ausstellung "die stadt in meinen augen", rathaus neukölln, hermann-von-helmholtz-schule neukölln, joscha remusEinblicke in ein „neues Sehen des Alltäg- lichen“ bekommen.

Alltäglich neue Herausforderung bedeutet der unverminderte Zuzug von Roma in den Bezirk indes für Neuköllns Schulstadträtin Franziska Giffey (Foto oben: 2. v. r.): „Die Zahl der schulpflichtigen Roma-Kinder er- höht sich jeden Monat um etwa 20, was heißt, dass wir alle vier Wochen eine neue Kleinklasse einrichten müssten, um den Bedarf zu decken.“ Da das unmöglich sei, würden Neuankömmlinge zunächst in Deutsch-Kursen der Volkshochschule auf die Schule vorbereitet werden. Den Eltern der Kinder und Jugendlichen die deutsche Sprache näher zu bringen, hat auch Roland Hägler vor: Eigens für sie wird in der Hermann-von-Helmholtz-Schule zur Förderung der Integration vormittags ein kosten- loser Deutsch-Kurs angeboten. Bislang, muss der Schulleiter feststellen, sei die Resonanz aber leider sehr verhalten.

Die Foto-Ausstellung „Die Stadt in meinen Augen – Roma-Jugendliche zeigen ihre kreative Sicht auf Berlin“ ist  noch bis zum 14. Dezember im Foyer in der 2. Etage des  Neuköllner Rathauses  zu sehen; Öffnungszeiten: Mo. – Fr. 8 – 18 Uhr.

=ensa=

Nun aber!

Nach dem heutigen Totensonntag fallen alle Hemmungen: Gleich 18 Weihnachts- märkte öffnen morgen in Berlin. Auf Neuköllner Grund und Boden lässt man sich mit dem (un)besinnlichen Budenzauber meist noch bis zu dem Tag Zeit, an dem hinter das erste Adventskalender-Türchen geguckt werden darf. Sogar erst am 2. Ad- ventswochenende – und auch nur dann – wird der Richardplatz in den Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt verwandelt, von dem viele sagen, dass er nicht nur der schönste der  Neuköllner Weihnachtsmärkte, sondern einer der schönsten in Berlin ist.

Gewalt kommt nicht in die Tüte

Weil morgen Sonntag ist, tat man in Neukölln gestern schon so, als sei der  25. No- vember  und mit  ihm der  Internationale Tag  gegen Gewalt an Frauen:  An zwei Info-

aktionstag "nein zu gewalt an frauen", hermannquartier neukölln

ständen im HermannQuartier gaben Neuköllns Gleichstellungsbeauftragte Sylvia Edler und Vertreter von Polizei, Weißer Ring sowie anderen Institutionen Auskünfte über das  richtige  Verhalten  bei  häuslicher  Gewalt.

Das Erbe unter unseren Füßen

Rostige Nägel, eine Rasiercreme-Tube, Flaschen,  Scherben von Tellern mit dem Aufdruck „Schönheit der Arbeit“, ein Schaltplan, Identitätsmarken grabungen 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlinamerikanischer Soldaten, Emaille-Töpfe, Grabstellen und Sarg- griffe, Tuben mit Salben gegen Geschlechts- krankheiten, Gabeln, Reste von Stahlhelmen, Kämme, ein Souvenir für Ursula, Flugzeugteile:  Die vor einem Vierteljahr begonnene Spuren- suche auf dem Tempelhofer Feld (wir berich- teten)  hat ein so skurriles wie makaberes Sam- melsurium zutage gefördert. Gestern stellten die an den Grabungen beteiligten Institutionen einige der knapp 10.000 Fundstücke vor, die innerhalb weniger Wochen auf der Fläche des Lilienthal-Zwangsarbeiterlagers der Lufthansa geborgen wer- grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlinden konnten.

„Es ist besonders die Menge, die uns überrascht hat“, sagt Landes- konservator Prof. Dr. Jörg Haspel (2. v. l.), „und die Tatsache, dass vieles so dicht unter der Grasnarbe lag.“ Schon in 30 Zentimetern Tiefe wurde aus dem Suchen ein Finden. Den- noch seien es extrem schwere Gra- bungen gewesen, betont Dr. Karin Wagner (r.), die im Landesdenkmalamt Berlin den Fachbereich Archäologie leitet. grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlin, jan trenner (grabungsleitung)Schließlich hätten die Wissenschaftler in belasteten, womöglich noch mit Kampfmitteln kontaminierten Bö- den nach dem „Erbe unter unseren Füßen“ gesucht. Was das praktisch bedeutete, veranschaulicht Gra- bungsleiter Jan Trenner mit einem kniehohen Metall- gefäß, das beim Auffinden für Adrenalinschübe sorgte. Dass es sich bei dem Exponat um einen Behälter handelt, in dem Nahrungsmittel aufbewahrt wurden, sei erst durch Untersuchungen festgestellt worden.

Bei anderen Dingen war es trotz der Komplexität der Nutzung des Gebiets leichter, ihnen ihre Geschichten zu entlocken. Die Toilettenartikel sind Zeugnisse der Besatzungszeit. Die Sarggriffe gehen auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurück, als der Friedhof am Columbia- damm, der heute durch eine Backsteinmauer vom Tempelhofer Feld getrennt ist, weit bis in das ehemalige Flughafenareal hineinragte. „Die Flugzeugteile stammen von Kampfmaschinen, die  während des 2. Weltkriegs hier in den Werkshallen der Lufthansa von Zwangsarbeitern montiert und repariert wurden“, erklärt Prof. Dr. Reinhard Bernbeck (M.) vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der FU Berlin. „Die  vielen gefundenen Nägel,  die alle  bei  7  Zentimetern umgebogen sind, lassen

grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlingrabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlin

grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlingrabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlin

grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlinauf die Dicke der Holzwände der 12 Meter langen Baracken des Lagers schließen.“ Etwa 4.000 Männer und Frauen aus Frankreich, Belgien und Osteuropa wur- den hier von der Lufthansa als Zwangs-arbeiter für die Rüstungsindustrie einge-setzt, schätzt man. Konkretes, so Bern- beck, gehe aus einem Forschungsbe- richt hervor, der allerdings vom Luftfahrt-Konzern  nicht zugänglich  gemacht wer- de. Der Dokumentarfilm „Fliegen heißt Siegen: Die verdrängte Geschichte der Deutschen Lufthansa“ sei diesbezüglich aber auch sehr aufschlussreich, bemerkt Professor Haspel. Durch die Grabungen auf dem Tempelhofer Feld kommt grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlinweiteres Licht in das abgedunkelte Kapitel der Vergangenheit der Kranich-Airline.

Zudem leisten die Funde einen wertvollen Beitrag zur Stadtgeschichte. Inwieweit die haptischen Relikte der Nazi-Zeit Einfluss auf die Konzepte für die künftige Nutzung des Tempelhofer Felds haben werden, ist noch unklar. Fakt ist, dass die Wissen- schaftler im kommenden Jahr gerne ihre archäologischen Grabungen im Bereich des KZ Columbiahaus und des Richthofen-Lagers fortsetzen würden. Derzeit werde grabungsfunde 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlinmit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an der Verlängerung der Kooperationsvereinbarung gearbeitet, sagt Landeskonservator Haspel. Auch sei eine Experten-gruppe unter Andreas Nachama, dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, eingerichtet worden, die ein Gedenkstättenkonzept für das Tempelhofer Feld entwi- ckeln werde.

„Wir begreifen die Ausgrabung und die Würdigung der Funde aber auch als Vorbereitung auf das Berliner The- menjahr 2013 und grabung 2012, lufthansa-zwangsarbeiterlager, tempelhofer feld berlin, jan trennerden Tag des offenen Denkmals im nächsten Tag“, sagt Jörg Haspel. Ersteres werde unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt – Berlin in der Zeit des Nationalsozia- lismus“ stehen, letzter beschäftigt sich mit dem Aspekt „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“. Das seien doch geeignete Anlässe, sich in- tensiv mit der eminent wichtigen Frage zu beschäftigen, wie man nationalsozialis- tische Großanlagen erhalten, erschließen und für nachfolgende Generationen entwickeln kann, findet er.

=ensa=

„Ich glaub, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird“

Es fällt schwer, sich den Zustand der imposanten Galerie im Körnerpark anno 1982 vorzustellen. „Rohbau, kein Fußboden, unverputzt, kein Licht, kein gar nichts. Der ganze Raum wurde vom Neuköllner Garten- bauamt als Abstellfläche für Gerätschaften und Pflanzen genutzt“, beschreibt Dorothea Kolland, die junge, unverbrauchte Verrückte von damals. Nein, ein Dienstvergehen von ihr sei es nicht gewesen, die Orangerie zum prächtigen Rahmen für kulturelles Leben zu machen, nur eine Guerilla-Aktion – gemein- sam mit dem damaligen Leiter des Hoch- bauamts. Dass der gesamte Park seinerzeit zum Gartendenkmal umgestaltet und „ordentlich Geld für die Renovierung des Gebäudes“ in die Hand genommen wurde, kam der zugute. „Aber das Entscheidende war“, so Kollands Einschätzung, „dass ich einfach voller Überzeugung mein Ding durchgezogen hab und auch andere Leute damit überzeugen konnte.“ Daraus, dass das leichter war als es heute wäre, macht sie keinen Hehl: „So  massive Neins wie jetzt von Buschkowsky, hab ich früher nie erfahren.“ Obwohl es auch mit den vier anderen Bezirksbürgermeistern oft nicht leicht gewesen sei. Zwischenmenschlich habe es mit Frank Bielka am besten geklappt, der den Bezirk von 1989 bis 1991 lenkte und heute Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft degewo ist: „Aber das war finanziell durch die Wende und den Wegfall der Berlin-Förderung eine schwierige Zeit.“

Schwierigkeiten anderer Art hatte Dorothea Kolland dagegen in den Anfangsjahren zu bewältigen: Sie musste die Rollen als junge Mutter sowie als Chefin des Kulturamts und Leiterin der neuen Galerie im Körnerpark, die furios mit einer Ausstellung von Markus Lüpertz eröffnet hatte, unter einen Hut bringen. „Weil ich oft bis Mitternacht in der Galerie war, war meine Tochter meistens auch mit dabei. Anders ging es nicht.“ Sehr prägend sei diese Zeit gewesen, sagt sie rückblickend. Natürlich habe es zu ihren Hauptaufgaben gehört, Kunst zu managen und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich das Publikum Kunst einverleibt und ins Theater, zu Ausstel- lungen oder in Konzerte geht. „Aber wenn ich mich nur mit Administration aufge- halten hätte, wäre ich verrückt geworden. Deshalb wollte ich bis zuletzt auch oft da sein, wo Kunst gemacht wird.“

Doch Dorothea Kolland hat sich in Neu- kölln nicht nur als Entwicklungshelferin in Sachen Kunst und als Kulturmanagerin verdient gemacht. Auch manche ge- schichtsträchtige Immobilie, wie zum Beispiel das so genannte Büdner-Dreieck zwischen Saalbau und Passage, konnte durch ihren Einsatz vor dem Abriss gerettet werden. „Da, wo die ältesten Häuser der Karl-Marx-Straße stehen, sollte Mitte der 1980er-Jahre auf die Schnelle ein Kaufhaus hochgezogen werden“, erzählt sie. „Als ich das erfuhr, haben wir in Windeseile eine Ausstellung fürs Heimatmuseum gemacht, die die Historie des Büdner-Dreiecks dokumentierte und den Landeskon- servator eingeschaltet.“ Das sei auch wieder so eine Guerilla-Aktion gewesen: „Innerhalb von 14 Tagen haben wir jeden- falls so etwas wie Denkmalschutz auf den Häusern gehabt, und der geplante Abriss musste zum Ärger der Grundstückeigen- tümerin abgeblasen werden.“

Wie es nun mit der Karl-Marx-Straße wei- tergeht, das hält die scheidende Kultur-amtsleiterin neben der noch wichtigeren Frage der Mietenentwicklung für einen der entscheidenden Schlüssel für die Zukunft des Bezirks. „Um die festen Kultureinrichtungen mache ich mir keine Sorgen, die sind in gutem Zustand und gut akzeptiert.“ Sie hält kurz inne. „Eigentlich bin ich optimistisch, dass es bei einigen gentrifizierungsgefährdeten Kiezen bleibt und der Norden des Bezirks an sich auch künftig international gemischt sein wird.“ Aber das werde nicht von alleine passieren. Da hätten der Staat, der Senat und natürlich auch der Bezirk durchaus Aufgaben: „Sie müssen Rahmenbedingungen schaffen und das Bleiben attraktiv machen. Aber die Erkenntnis, ist zumindest mein Eindruck, ist noch nicht genügend an den entsprechenden Stellen angekommen. Dazu, dass eine Horde von Künstlern oder Studenten kurz einfällt und dann wieder weg ist, darf es nicht kommen. Und außerdem muss verhindert werden, dass Familien mit Kindern wegziehen, wenn die eingeschult werden.“ Darum müssten sich Senat und Bezirk kümmern, weil in erster Linie davon die Zukunft Neuköllns abhänge.

Für ihre eigene Zukunft hat Dorothea Kolland profanere Wünsche, die jedoch auch nicht ohne Tücken sind: „Viel lesen will ich, alles. Und reisen, viel reisen, was allerdings etwas schwierig ist, weil ich sehr gerne zusammen mit meinem Mann reise, der aber blöderweise als Präsident der Landesmusikrats dauernd ehrenamtliche Termine hat. Und außerdem möchte ich natürlich Zeit für mein Enkelkind haben, das in wenigen Monaten zur Welt kommen wird.“

Es ist zweifellos die 31-jährige Er- folgsgeschichte einer so engagierten wie nonkonformistischen und unbe- quemen Frau, die am letzten Tag die- ses Monats zu Ende geht. Das meiste von dem, was Dorothea Kolland an- packte, hat sie auch geschafft. „Aber leider nicht alles“, gibt sie zu. „Ich hätte zum Beispiel unheimlich gerne ein Ausstellungsprojekt mit Kindern, Medizinern, Pfarrern und Psychologen zum Thema „Kinder und Tod“ gemacht, weil das Thema so wichtig ist, aber nie richtig behandelt wird.“ Und außerdem sei es ihr nicht gelungen, die Politik davon zu überzeugen, dass man die Künstlerförderung finanziell stärker ausgestattet werden muss. „Neukölln“, erklärt sie, „hat in diesem Topf für dezentrale Kulturarbeit genauso viel Geld wie vor fünf Jahren. Bloß war eben damals höchstens die Hälfte der Künstler in Neukölln.“ Darauf müsse man doch reagieren und könne das nicht einfach so treiben lassen. „Und was mir wirklich sehr leid tut, ist, dass dieses Jahr zum ersten Mal kein Kiez International stattgefunden hat, weil es mir nicht gelungen ist, in den letzten 12 Monaten eine neue Konzeption zu entwickeln.“ Das sei letztlich an der mangelnden politischen Unterstützung und den nur sehr beschränkten personellen Möglichkeiten des Kulturamts gescheitert. „Ich hatte oft in der Kulturszene und auch im Kollegenkreis die Rolle ‚Die Kolland wird’s schon richten‘, aber es gibt eben auch Situationen, wo das nicht funktioniert, vor allem nicht alleine.“ Für solche konzeptionellen Arbeiten habe sie lediglich eine Mitarbeiterin gehabt.

Eben die, die derzeit – nach einem Intermezzo von Museumsleiter Udo Gößwald – kommissarisch den Chefinnensessel im Neuköllner Kulturamt übernommen hat: Bettina Busse. „Ich werde die Letzte sein, die erfährt, wer meine Nachfolge antritt“, glaubt Dorothea Kolland. Ebenso, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird.  „Was klar ist, ist, dass ich den Posten schon gerne in guten Händen wüss- te. Egal ist es mir also absolut nicht“, versichert sie.

Die FACETTEN-Magazin-Redaktion und die Brennans danken für die spannende Zeitreise durch die Neu- köllner Kulturgeschichte, wünschen Dorothea Kolland einen wunderbaren Ruhestand und ihrem/r Nachfolger/in viel Erfolg.

Erstes Leben in der Kulturwüste Neukölln

Die Nachmittagssonne zeichnet scharfe Schattenrisse auf den Dielenboden des LadenAteliers von William Francis Brennan. Dorothea Kolland rührt in ihrem Kaffeebecher. „Ach, ich hätte jetzt doch gerne ein Stück Kuchen“, be- schließt sie und kommt damit auf das Angebot zurück, das sie kurz vorher abgelehnt hatte. Etwas Süßes als Proviant für die Reise in die Vergan- genheit des Neuköllner Kul- turlebens, für die es keine bessere Begleitung als Do- rothea Kolland geben kann.

1981. Der Christdemokrat Arnulf Kriedner hatte gerade den SPD-Mann Heinz Stücklen als Bezirksbürgermeister von Neukölln abgelöst. „Kulturell war der Bezirk wirklich eine einzige Wüste“, erinnert sich Kolland. Am Stadtbad habe es das nicht eben fachkundig geführte Emil-Fischer-Heimatmuseum gegeben: „Da wurden ein paar Knochen, eine aus- gestopfte Trappe, Tonscherben-Funde aus Buckow-Rudow und der Rixdorfer Galgen ausgestellt.“ Außerdem habe der Vorgänger auf dem Posten der Kulturamtsleitung, der Operettenregisseur gewesen war, einmal im Jahr eine Operettenvorführung im Naturtheater in der Hasenheide veranstaltet. Das sei es dann aber auch schon gewesen – fast. Denn da war ja noch die Keimzelle der Institution, die heute als Neuköllner Oper bekannt ist. „Winfried Radeke, damals Kirchenmusiker der Martin-Luther-Gemeinde, hatte mit seinen Konfirmanden schon Mitte der 1970er-Jahre angefangen, Stücke von Brecht, Weill und Hindemith aufzu- führen. Das hat mich interessiert und hab ich mir dann auch mal angeguckt. Ich glaub, das war einer meiner ersten Ausflüge nach Neukölln“, erzählt die Charlottenburgerin. „Die Neu- köllner Oper gab’s also gewissermaßen be- reits, aber das war nur ein winziger Haufen von Amateuren. Mit dem, was da heute ist, lässt sich das überhaupt nicht vergleichen.“

Der neuen Kulturamtsleiterin bot sich folglich ein breites Betätigungsfeld. „Das Problem war nur: Kultur braucht Räume. Man kann noch so viel über Kultur reden, wenn man keinen Raum hat, in dem man etwas machen kann, dann findet sie nicht statt.“ Im Saalbau, der heute vom Heimathafen Neukölln bespielt wird, erkannte Dorothea Kolland sofort Potenzial für die Lösung der Raummisere. „Ich zeig Ihnen jetzt mal was!“, hatte ihr Hausmeister und Verbündeter Dieter Schulz angekündigt und sie in das Gebäude geführt, das seinerzeit zum Vermögen des Kulturamts gehörte: „Alles war baupolizeilich ge- sperrt, nachdem es jahrelang ein bisschen durchs Dach geregnet und sich im beeindruckend konstruierten Dachstuhl ein riesiger Schwamm gebildet hatte, der fast zum Abbruch hätte führen müssen. Weil es keinen Strom gab, hatte Dieter eine Stablaterne dabei, damit wir überhaupt etwas sehen können. Ihm und auch mir war klar: Da ist ein absoluter Schatz, aber der ist unbenutzbar.“ Gleich am nächsten Tag sei sie zum zuständigen Stadtrat gegangen, um ihrem Unmut darüber, dass einerseits Platz benötigt werde und andererseits ein Prunkstück verfalle, Luft zu machen. „Der hörte sich das an – und einen Tag später erhielt ich das Ver- bot, über den Saalbau zu reden“, verrät Dorothea Kolland. Der Bezirk wollte nämlich das Gebäude, das damals noch nicht unter Denkmal- schutz stand, verkaufen und das Geld zur Teilfinanzierung eines Mehrzweck-gebäudes mit Versammlungssaal und Räumen für die Verwaltung der Volkshochschule nutzen. „Das sollte auf dem damals dem Bezirk gehörenden Grundstück entstehen, wo heute die Neukölln Arcaden sind. Deshalb wollten die keinen Wirbel um den verfallenden Saalbau haben.“ 1990 ist der in neuer Pracht als Kulturstätte wiedereröffnet worden.

Doch es war nicht nur Dorothea Kolland, die der kommunalen Verwaltung und Politik beim Verfolgen ihrer Anliegen gehörig zusetzte, auch die bildenden Künstler in Neukölln, von denen es vor 30 Jahren etwa 40 gab, hielten sich kaum zurück. „Uns allen war klar, dass wir dringend einen Raum für Ausstellungen brauchen, und dann gab’s einen kleinen Eklat“, berichtet sie grinsend. „Die haben natürlich gehofft, dass nun kulturell mal etwas im Bezirk geschieht und trugen den Wunsch nach einer freien Neuköllner Kunstausstellung an mich heran.“ Ob- wohl sie manches „von der Qualität her als nicht zumutbar“ empfunden habe, habe sie sich darauf eingelassen und eine Ausstellung im Rathaus-Foyer organisiert. „Zwei der Künstler hatten ihr Atelier am Reuterplatz direkt neben einem noch völlig intakten Gründerzeithaus, das der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land gehörte und  erst besetzt worden war und dann abgerissen wurde.“ Für die Ausstellung hätten die beiden Künster ein Bild im Rathaus abgegeben, das schließlich von der Hängekom-mission ausgepackt und wie gewünscht aufgehängt worden war. „Auf dem stand: Gegen Verbrecher in Stadt und Land“, entsinnt Kolland sich. „Das war natürlich nichts explizit gegen die Wohnungsbaugesellschaft, aber jeder Neuköllner wusste, dass es zumindest zwei- deutig ist.“ Getobt habe der damalige Baustadtrat, als er das Werk am Tag vor der Vernissage zu sehen bekam. „Daraufhin hat er verfügt, dass das Bild abgehängt wird, woraufhin etwa 80 Prozent der Künstler vor der Ausstellungseröffnung aus Protest ihre Bilder umgedreht haben. Das fand ich als Reaktion ganz toll und hab mich deshalb auch auf die Seite der Künstler gestellt.“ Die Aufregung sei natürlich groß gewesen. Bezirksbürgermeister Kriedner, den Kolland als „sehr kunstsinnig“ be- schreibt, habe es gar nicht behagt, plötzlich mit Zensur in Verbindung gebracht zu werden: „Wenig später gab es dann ein großes Meeting und Güteverhandlungen des Bürgermeisters und des Baustadtrats mit dem Vorsitzenden des Berufsverbands bildender Künstler.“ Das Ergebnis war ein Gentlemen Agreement zwischen Kriedner und dem bbk-Vorsitzenden. „Sie verständigten sich darauf“, so Kolland, „dass sich der Bezirk bemühen werde, Räume zu finden, wo es nur um Kunst geht, das  Kulturamt das Sagen hat und sämtliche Essenzen der Freiheit der Kunst zu gelten haben.“ Mit der Orangerie im Körnerpark war ein erster Raum gefunden. Um ihn zu nutzen brauchte es, wie Dorothea Kolland es rückblickend sieht, den „Mut einer jungen, unverbrauchten Verrückten“.

Letzter Teil: morgen

Fehlstart par excellence

Dorothea Kolland – schon seit Monaten wird der Name in einem Atemzug mit „ehemalige“, „Ex“ oder „frühere“ genannt. Dabei ist 65-Jährige immer noch das, was sie seit 1981 ist: Leiterin des Neuköllner Kulturamts. Seit dem 25. Mai bummelt sie Überstunden und Urlaub ab; erst in 10 Tagen ist ihre Amtszeit rein formal vorbei.

Wie war es damals, als sie begann? Was hatte die Neuköllner Kultur zu bieten? Mit welchen Ambitionen trat die promovierte Musikwissenschaftlerin ihre Stelle an? Was hat sie und was hätte sie gerne noch erreicht? Was wünscht sie sich für ihre eigene Zukunft und was für Neukölln? Darüber, über die Fallstricke im Behördenalltag, Unterstützer und Bremser, einen Eklat bei einer Ausstellung im Neuköllner Rathaus und vieles mehr haben wir uns mit Dorothea Kolland im LadenAtelier von  William Francis Brennan  unterhalten.

Eigentlich war alles etwas anders geplant. Die Be- gegnung mit einem ihr unbekannten Künstler sollte die Kulturamtsleiterin von uns zum Abschied ge- schenkt bekommen. Brennan? „Nein, den kenne ich wirklich noch nicht“, war sie im Vorfeld sicher. Und auch der aus den USA stammende Maler, der seit fast drei Jahren in Neukölln arbeitet, war zuvor überzeugt, Kolland nie begegnet zu sein. Aber dann: „Doch“, stellt sie beim Betreten des LadenAteliers im Schillerkiez fest, „hier war ich schon.“ William Francis Brennan erkennt sie wieder und nickt. Bei einem der Kulturfestivals müsse das gewesen sein, vermutet er. Dass es sich bei der Frau, die sich damals seine Bilder angesehen hat, um den Motor der Neuköllner Kunst- und Kulturszene handelt, er- fährt er erst jetzt.

Dorothea Kolland wirkt entspannter denn je. Der Vorgeschmack aufs Rentnerdasein be- kommt ihr sichtlich gut. Lächelnd beginnt sie von dem zu erzählen, was in den letzten drei Jahrzehnten ihren Alltag bestimmte: „Mich interessiert die Vermittlung von Kunst, das war schon so als ich 16 war. Ich wollte anderen Leuten helfen, was vielleicht ein bisschen naiv war, den Spaß an Kunst zu haben, den ich schon immer hatte und immer noch habe. Ich dachte jedenfalls, dass ein Job wie im Kulturamt dafür das Richtige ist.“

Unter einem guten Einstand stellt man sich jedoch eher das Gegenteil von dem vor, was die damals 34-Jährige erlebte. Sicher sei die Lebensplanung mit ihrem Mann nie auf eine Zukunft als kinderloses Ehepaar hinaus- gelaufen, sagt sie „Aber dass es genau da geklappt hat, das war völlig unbeabsichtigt. Ich bin wirklich gleichzeitig schwanger geworden, als ich die Zusage für die Stelle bekam. Als ich dann im Kulturamt anfing, war ich im 5. Monat.“ Dazu kam, dass die junge Chefin, die zuvor bei einem Dachverband für Jugendkultur- arbeit tätig gewesen war, zwar reichlich Lust auf Neuerungen, aber keinerlei Erfahrungen im Umgang mit dem Amtsschimmel mitbrachte. „Nein, das haben wir immer anders gemacht!“, sei die Standardantwort ihrer beiden Sekretärinnen gewesen. „Erschwerend kam dazu, dass ich diese ganz banale Verwaltung nicht kannte und zum Beispiel nicht gewusst hab, dass man in unterschiedlichen Farben zu schreiben hat. Ich hab dann auch einfach mal, weil der Stift in meiner Nähe lag, mit Grün geschrieben – da brach die Hölle los. Die Farbe für meine Position im Amt war blau und die in der Etage unter mir mussten mit Schwarz schreiben. Grün und rot gingen jedenfalls gar nicht. Wie man Aktenvermerke schreibt, wusste ich natürlich auch nicht, und die meisten hatten einen Heidenspaß dran, dass ich bei solchen Dingen immer wieder reingerasselt bin. Außer Dieter Schulz, dem Hausmeister, war wirklich niemand da, der mir mal etwas gezeigt hat.“ Gewöhnt, gibt Dorothea Kolland zu, habe sie sich an die Verwaltungsabläufe nie: „Aber mit der Zeit hab ich gelernt, sie zu beherrschen, weil man auch sonst nicht voran kommt. Doch den Sinn einiger Vorgänge begreife ich bis heute nicht. Ich hab mich auch nie strikt an Hierarchien gehalten.“ Das sei ihr Erbe aus der 68er- und Hochschulzeit, ist sie überzeugt.

Teil 2: morgen

Neukölln ohne Deutsche = Türkei

Direkt auf der Diagonalen zwischen „Wir (mit Bayern)“ alias Deutschland und „Pro- bleme“ alias Griechenland kam auf Frank Höhnes amüsanter Infografik „Die Welt aus deutscher Sicht“  Berlins wohl bekanntester  Bezirk  zu  neuen  Ehren. „Neukölln

wimmelbuch "deutschland verstehen", infografik "die welt aus deutscher sicht" (frank höhne)

ohne Deutsche“ heißt dort das Land, das seit 1923 in gängigen Atlanten den Namen Türkei trägt. Höhnes Grafik, die auch als Poster zu haben ist, ist Bestandteil des Wimmelbuchs „Deutschland verstehen“, das auf 240 Seiten zu einer kurzweilig-informativen Bildungsreise durch Wir (mit Bayern) einlädt.

Auf dem Tempelhofer Feld geht’s rund

tempelhofer feld berlinJa, wo laufen sie denn? Das hätte sich wohl man- cher gefragt, wenn die 20. Berliner Marathon-Staffel in den letzten Tagen statt-gefunden hätte, als das Tempelhofer Feld in dich- tem Nebel lag.

Heute sind die Sichtver- hältnisse für die etwa 7.500 Läuferinnen und Läufer, die in Staffeln auf einer 5-Kilometer-Strecke über die nördliche Startbahn (r.) und einer 6-Kilometer-Runde (l.)

20. tüv rheinland berliner marathon-staffel, tempelhofer feld berlin20. tüv rheinland berliner marathon-staffel, tempelhofer feld berlin

über die südliche Piste die Marathon-Distanz absolvieren, immerhin um einiges besser.  Aber für das Schöne und Skurrile, das sich links und rechts des Rundkurses

20. tüv rheinland berlin marathon-staffel, tempelhofer feld berlin20. tüv rheinland berlin marathon-staffel, tempelhofer feld berlin

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bietet, haben doch nur die wenigsten einen Sinn. Die besten Teams feiern sich bereits jetzt bei der Picknick-Party, für die, die mehr Zeit brauchen, ist spätestens um 15 Uhr – und damit 4 1/2 Stunden nach dem Start – Schluss.

Hilfe zur Selbsthilfe mit dem Bio-Knoblauch Romanes

roma-projekt, bio-knoblauch romanes, august-heyn-gartenarbeitsschule neukölln, verein "european neighbours", hermann-von-helmholtz-schule, walter-gropius-schule, schule am zwickauer dammVampire dürften künftig einen weiten Bogen um das Gelände der August-Heyn-Gartenarbeitsschule im Neuköllner Ortsteil Britz machen. Denn dort wurde gestern mit dem Pflanzen der von ihnen verhassten Knollen das Projekt Bio-Knoblauch Romanes – ein nachhaltiges ökosoziales Zukunftsprojekt für Roma in Europa“ roma-projekt, bio-knoblauch romanes, august-heyn-gartenarbeitsschule neukölln, verein "european neighbours", hermann-von-helmholtz-schule, walter-gropius-schule, schule am zwickauer damm  gestartet.

Jugendliche der Hermann-von- Helmholtz-Schule, der Walter-Gropius-Schule und der Schule am Zwickauer Damm, die der- zeit in Lerngruppen für Schüler ohne Deutschkenntnisse unter- richtet werden, nehmen daran teil. Ziel ist, dass die Schüle- rinnen und Schüler aus der Roma-Community Pflanzung, Pflege und Ernte sowie die Herstellung von Knoblauch-Produkten und den Verkauf eigenverant-wortlich übernehmen und so Spracherwerb nebst Berufsorientierung forciert werden. Perspektivisch sollen ihnen aber Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie in ihren Heimatländern ihren Lebensunterhalt selber verdienen können.

Der österreichische Verein european neighbours, der das Modellprojekt entwickelte roma-projekt, bio-knoblauch romanes, august-heyn-gartenarbeitsschule neukölln, verein "european neighbours", hermann-von-helmholtz-schule, walter-gropius-schule, schule am zwickauer dammund es – außer in Neukölln – auch in Graz/ Österreich, Pecs/Ungarn, Banska Bystrica/ Slowakei, Koprivnica/Kroatien und Moldava Noua/Rumänien initiierte, macht diesbe-züglich eine plausible Rechnung auf: Aktuell würden 80 % des Knoblauchs in Europa aus China importiert; Verkaufs- erlöse von 10 – 12 Euro pro Kilogramm Bio-Knoblauch ließen das Potenzial des Anbaus der Pflanze in Europa erahnen. Die Weichen dafür, dass im nächsten Jahr Knofi aus Neukölln auf den Wochenmärkten im Bezirk angeboten wird, sind gestellt.

Was ’n Zirkus!

Für die Kinder der Bouché-Grundschule im Bezirk Treptow ist die Heidelberger Straße eine ganz nor- male Straße und die Grünanlage zwischen Elsen- und Wildenbruchstraße ein Platz mit Bäumen, Rasen, Bänken und Wegen. Dass hier vor 51 Jahren ein barbarischer Grenzwall errichtet wurde, der 28 Jahre lang Treptow von Neukölln und Ost- von West-kinderzirkus cabuwazi berlin-treptowBerlinern trennte, wissen sie nur vom Hö- rensagen. Auch für die Schüle-rinnen und Schü- ler der Klasse 4a der Bouché-Grundschule, die direkt an der ehemaligen Mauer liegt, waren Begriffe wie Todesstreifen, Grenzsol- daten, Schießbefehl, Fluchttunnel, DDR und BRD bisher etwas sehr Abstraktes. Durch das  Projekt „Bunte Mauersegler“, das auf Initiative des Kinderzirkus Cabuwazi gemeinsam mit dem Berliner Landes- beauftragten für die Stasi-Unterlagen entwickelt und durchgeführt wurde, hat sich das kinderzirkus cabuwazi berlin-treptow, bouché-grundschuleentscheidend verändert.

Eine Woche lang beschäftigten sich die Kinder mit historischen Fotos und Zeit- zeugenberichten dieses Kapitels der Stadtgeschichte. Unter Anleitung erfahre- ner Zirkuspädagogen des Kinderzirkus Cabuwazi, der vor fast 18 Jahren sein Zelt auf dem einstigen Todesstreifen auf- schlug, verarbeiteten die 21 Mädchen und Jungen anschließend ihre Eindrücke zu kleinen Theaterszenen und zirzensischen Darbietungen.

Pünktlich zum 23. Jahrestag des Mauerfalls hieß es dann im bis auf den letzten Platz gefüllten Cabuwazi-Zelt: Willkommen in einem Land vor unserer Zeit! Vor stolzen Eltern, Geschwistern und Verwandten, staunenden  Freunden und frenetisch  applau-

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kinderzirkus cabuwazi berlin-treptow, bouché-grundschuledierenden Mitschülern und Lehrern führ- ten die Jungartisten – vor dokumentari- schen Fotoprojektionen und musikali- scher Untermalung durch passgenaue Songs – mit einem beeindruckenden Showprogramm durch die knapp drei Jahrzehnte währende Historie der kinderzirkus cabuwazi berlin-treptowMauer in ihrem Kiez. Doch sie zeigten mit „Bunte Mauersegler“ nicht nur, wie Geschichts- vermittlung spielerisch und kindgerecht funktionieren kann, sondern bewiesen sich selber auch, dass Team- geist aus vielen Kleinen etwas Großes machen kann.

Täglich von 14 – 20 Uhr ist die Manege des Cabuwazi in Treptow geöffnet. Für Kinder und Jugendliche gibt es verschiedene Trainings-gruppen, in denen 14 Zirkusdisziplinen von Drahtseil über Jonglage und Tanz bis hin zu Trapez  kostenlos  erlernt und geübt  werden  können.

=ensa=

Blasen, fegen, saugen

Täglich lassen sich momentan in Neukölln Szenen wie diese beobachten: Erst werden den  Straßen von emsigen  Frauen und Männern in  Orange akkurate  Seiten-

scheitel gefegt und geblasen, dann kommt der große Laubsammelwagen, verleibt sich die Spur aus Blättern und Verpackungsmüll saugend ein, und ruckzuck sieht alles wie geleckt aus. Vorübergehend.

Drei Jahrzehnte mit links

Runde Geburtstage sind oft ein willkommener Anlass zurückzublicken. Viele tun das im Stillen für sich; die Neuköllner Malerin Angelika Schneider-von Maydell, die vor einem Monat 60 wurde, lässt alle ausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllndaran teilhaben: Über 80 Werke, die in den letzten drei Jahrzehnten entstanden, zeigt die Ausstellung „quer|schnitte“, die noch bis Sonntag in der Galerie im  Körnerpark  zu  sehen  ist.

Meist sind es Menschen, die im Mittelpunkt der Geschichten stehen, die Angelika Schneider-von Maydell erzählt. Mit Acryl-Bildern, die so plasausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllntisch, faszinierend und un- geschönt sind wie die Wirklichkeit. „Mei- ne Frau hatte schon immer eine große Leidenschaft für Menschen, Portraits und den Realismus“, sagt Hans von Maydell, der seit 40 Jah- ren mit der Künstlerin verheiratet ist. „Auch ihre abstrahierten Bilder von Gebäuden und Landschaften haben immer einen realen ausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllnHintergrund.“

Als Vorlage dienen der Malerin in der Regel Fotos und Filmsequenzen. Ei- ne Arbeitsweise mit Modellen sei schon wegen der Zeitintensität und der Unvereinbarkeit mit dem Haupt- beruf als Lehrerin für Kunsterzie- hung am Albert-Einstein-Gymnasium in Britz nicht möglich. Von einem der wohl prägendsten Erlebnisse ihrer eigenen Schulzeit erzählt Angelika Schneider-von Maydell indirekt mit Selbstbildnissen, die die Besucher der Aus- stellung empfangen. „Ja, meine Frau ist  Linkshänderin, wurde aber in der Schule auf rechts umerzogen“, erzählt von Maydell. „Erst beim Studium an der Hochschule der Künste hat sie wieder angefangen, mit der linken Hand zu malen und zu ausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllnschreiben.“ Die recht wirr anmutende Sig- natur auf den Bildern sei eine Reminiszenz an den Konflikt.

Spannungen anderer Art spiegeln sich in den Gemälden der Künstlerin wider: Mal haben sie einen gesellschaftskritisch-politischen Anklang, der durch die Darstellung von Gewalt und Terror ausgedrückt ist, ausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllnmal einen zwischenmenschlichen, der subtiler da- herkommt. Leichtigkeit versprühen dagegen die ausstellung "querschnitt", angelika schneider-von maydell, galerie im körnerpark neuköllnSerien „UnterWasser“ und „Spiegelungen“.

Im kleinen wie im großen Format, stellte Kuratorin Birgit Möckel fest, zeige sich die Kraft dieser Malerei als künstlerische „In- tervention“, die die Themen aus der Flut uns umgebender Bilder löst, neu fokussiert und uns mit  malerischer Vehemenz an unsere Realität erinnert.

Eine neue Facette hat die Realität durch die Ausstellung „quer|schnitte“ auch für Angelika Schneider-von Maydell bekommen. Viele ihrer Schüler haben sich bereits angeguckt, was die Pädagogin macht, wenn sie nicht unterrichtet: „In eine große Galerie zu gehen, um dort die Kunstwerke ihrer Lehrerin zu sehen, ist  für die Schüler eine ganz wichtige Sache“, schlussfolgert Hans von Maydell aus den Reaktionen. Immer wieder komme das Wort  Stolz  darin vor.

Morgen  lädt Angelika Schneider-von Maydell ab 19 Uhr im Rahmen der Ver- anstaltungsreihe  „Kammermusik on Tour“  zur  Führung durch die Ausstel- lung  ein; sie wird musikalisch vom Trio Mehrklang begleitet. Die Retro- spektive „quer|schnitt“ in der Galerie im Körnerpark endet am 18. No- vember (Öffnungszeiten: Di. – So. 10 – 20 Uhr).

=ensa=

Umnebelt

Den meisten Grillern ist es draußen längst zu kalt, die Raucher sind da unverzagter – nicht zuletzt durch das vor knapp fünf Jahren beschlossene Berliner Nichtraucher- schutzgesetz.

Antrag abgelehnt

Es wäre übertrieben, die stetig weiter verfallende ehemalige Neuköllner Kin- der- und Frauenklinik am Mariendorfer Weg als Dauerthema der Kommunal-politik zu bezeichnen. Doch im Aus- schuss für Stadtentwicklung lieferte das vom Zahn der Zeit und Vandalismus-schäden malträtierte Gebäude auf einem Grundstück, das vom Berliner Liegen- schaftsfonds an einen Investor verkauft wurde, bereits reichlich Stoff für Dis- kussionen.

Vorletzten Mittwoch beschäftigte sich auf Antrag von Marlis Fuhrmann (DIE LINKE) nun auch die Neuköllner Bezirksverord- netenversammlung mit der Ruine bzw. dem unübersehbaren Handlungsbedarf: „Der Antrag wird mit Stimmen der SPD und CDU bei Gegenstimmen der Grünen, PIRATEN und LINKEN abgelehnt, verkündet das Sitzungsprotokoll.

Gestern musste die Berliner Feuerwehr erneut zum Mariendorfer Weg ausrücken, um die Folgen einer Brandstiftung auf dem Gelände  zu löschen, das nach Informationen des Eigentümers längst  nicht mehr unbefugt betreten werden kann. Schon damals hatte Marlis Fuhrmann erklärt, dass sie den „Schutz für nicht ausreichend“ halte.

=ensa=

Praktische Sache

Wer in Neukölln trockenen Fußes übers Wasser laufen und nicht damit warten will, bis der  Neuköllner Schiffahrtskanal  zugefroren ist, kann das an  mehr als einem hal-

neukölln, elsensteg, weigandufer, kiehlufer, neuköllner schiffahrtskanal

ben Dutzend Brücken tun. Auf dem Elsensteg und einem kleinen, namenlosen Überweg nahe der Lohmühlenbrücke können einem dabei nicht mal Autos in die Quere kommen.