Die gemeinsame Vergangen- heit der Türkei und Armeniens ist alles andere als unbelastet. Die Folgen der Ereignisse, die inzwischen rund 100 Jahre zu- rückliegen, überschatten das Verhältnis der beiden Nachbar- länder noch heute. Hunderttau- sende Armenier wurden da- mals, in der Ära des Osmani- schen Reichs, deportiert und er- mordet, Überlebende wurden ihres Heimatlandes beraubt. Auf dieser von Gräuel- taten geprägten Epoche beruht die Wanderausstellung „Speaking to one another“, die – nach Stationen in der Türkei, Armenien, Georgien und Zypern – derzeit in der
Galerie im Saalbau gezeigt wird.
„Vor drei Jahren begann die Arbeit an diesem einzigartigen Oral History-Projekt mit einer Sommerakademie für armenische und türkische Stu- denten in Armenien. 2010 fand ein zweites Camp in der Türkei statt“, erklärt Matthias Klingenberg (r.), Re- gionaldirektor des Instituts für Inter-nationale Zusammenarbeit des Deut- schen Volkshochschul-Verbandes. In nie zuvor dagewesener Offenheit, sagt er, hätten sich die Teilnehmer in gegenseitigen Interviews mit dem Verhältnis ihrer Heimat- länder zueinander, mit ihrer gemeinsamen Historie, den Traumata sowie der lokalen Geschichte der Region auseinandergesetzt. Auch Carmen Beckenbach (l.), Kuratorin der Ausstellung, zeigt sich angetan von den Ergebnissen der sehr persönlichen Geschichtsforschung der Studenten: „Durch die Au- thentizität und Intensität der dokumentierten Ge- spräche gelingt es, dass die Ausstellung über das geschriebene Wort funktioniert.“ Ergänzt werden die
deutschen und türki- schen Texte durch Portrait- und Land-
schaftsfotos sowie Vi- deos. Doch es gehe nicht allein darum, dass die Besucher mit der Situation in Türkei und Armenien konfrontiert werden,
betont die Kuratorin: „Diese Ausstellung soll nicht wie ein Raumschiff in Neukölln wirken, sondern gewisse Dinge in den Menschen hervorrufen, die sehen. Sie sollen angeregt werden, sich mit Fragen wie ‚Wer schreibt Geschichte?‘ oder ‚Ist Versöhnung mög-
lich?‘ zu beschäftigen.“ Eigens dafür wurde im ersten Raum der Galerie ein runder Tisch auf- gestellt; die Bögen mit beantworteten oder gar neu aufgetauchten Fragen lassen die Installation immer weiter anwachsen und werden so zum Teil der Aus- stellung, die nach ihrem Intermezzo in Neukölln nach Paris weiterziehen wird.
Eindrucksvoll ist dieses so wichtige Ergebnis der Vergangenheitsbewältigung zweier Völkergruppen zweifellos, das den ersten Schritt zu Empathie und Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern darstellen könnte. Ein Manko dürfte jedoch für manchen Besucher die Textlastigkeit der Ausstellung sein. Man muss schon viel lesen wollen (und können!), um Einblicke in das zentrale Kapitel der gemeinsamen Geschichte und dessen Folgen zu gewinnen.
„Speaking to one another“ ist noch bis zum 28. Oktober in der Galerie im Saalbau zu sehen; Öffnungszeiten: Di. – So. 10 – 20 Uhr.
=ensa=
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