Die Aufregung war groß. Je näher die Eröffnung der Foto-Ausstellung „Neu- köllner Sicht-Weisen“ rückte, desto schwieriger wurde es für Passanten, sich einen Weg durch die Trauben der Wartenden vor dem Kunstlabor schwar- zekatze\weisserkater zu bahnen. Doch in die Vorfreude der Fotografen und ihrer Gäste mischte sich auch Wehmut, denn es könnte ob noch fehlender Wei- terfinanzierung die letzte Ausstellung dieser sehr besonderen Art sein.
Vor knapp einem Jahr startete das Projekt, bei dem die Kursleiter Ulli Schreier und Wolfgang Selbach vom schwarzekatze\weisserkater e. V. Frauen und Männern mit Lern- und geistigen Behinderungen in die Kunst der Schwarz-Weiß-Fotografie ein- führten. Die Technik einfacher Analog-Kameras, Motivsuche, Bildaufbau, die Fotoentwicklung im
Labor und fotografische Exkur- sionen – all das stand neben der Praxis, also dem Fotografieren an sich, auf dem Programm des Workshops. „Für das Projekt überhaupt einen Kooperationspartner zu finden, ist äußerst kom- pliziert gewesen. Nur das Kunstlabor schwarzekatze\weisserkater wollte es mit uns wagen. Von allen anderen im Kiez, die ich ange- sprochen habe, gab es nur Absagen“, beschreibt Heidemarie Sohnemann von der Lebenshilfe Berlin die Schwierigkeiten, aus dem Nebeneinander von Behinderten und Nicht-Behinderten ein Miteinander zu machen. Es sei definitiv eine wertvolle Erfahrung gewesen, sagt Ulli Schreier. Von Einblicken in eine andere Welt spricht er, wenn er sich an die Zusammenarbeit erinnert, und schwärmt von den Prozessen, die dabei entstanden: „Im Laufe der Zeit haben die Teilnehmer angefangen, mit den Bildern, die sie gemacht haben, Geschichten zu erzählen. Für mich sind das also
nicht nur Fotos, die wir nun ausstellen.“
Fast 50 Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind es. Das Bild mit der Nummer 4 ist von Martin May und zeigt eine Kollegin, die in der Behindertenwerkstatt mit ihm zu- sammenarbeitet. Natürlich, sagt er, habe er nicht nur sie, sondern auch anderes fotografiert: „Aber das Bild hat mir am besten gefallen.“ Das Vertrauen der Frau in den Mann hinter der Kamera ist un- übersehbar und macht als Kontrast zur Werkstatt-Peripherie den Reiz des Fotos aus. Für Martin May selber war es vor allem das Umdenken, das ihn reizte, am Projekt teilzunehmen. „Sonst fotografiere ich auch“, sagt er, „aber mit einer Digital-Kamera.“ Plötz- lich nur einen Film mit 36 Bildern zu haben, nicht mehr schnell löschen zu können, was verwackelt ist oder nicht gefällt, das sei schon
eine große Umstellung gewesen. Und dann diese völlig andere Perspektive, die vom Sucher statt von einem Display be- stimmt wird.
Das Projekt, bei dem alle Fotografen die Werdegänge ihrer Bilder von der Aufnah- me bis zur Dunkelkammer miterleben konnten, erinnere sie sehr an einen Foto- Kurs, an dem sie früher in der Schule teilgenommen habe, verriet Kulturstadträtin Dr. Franziska Giffey (l.) bei der Vernissage: „Allein durch das eigene Bearbeiten entstehen dann besondere Bilder.“ Und im Falle die- ser Ausstellung, lobte Giffey, würden sie die Vielfalt Neuköllns auf einzigartige Weise widerspiegeln.
Auch Katharina Smaldino (r.), Beauftragte für Men- schen mit Behinderung im Bezirk, zeigte sich angetan von den Ergebnissen, die in der Schlussphase des einjährigen Workshops entstanden sind. „Ich versu- che gerade Geld für eine Fortsetzung des so wich- tigen Projekts aufzutreiben“, ließ sie die Teilnehmer wissen. Ein Hoffnungsschimmer.
Die Ausstellung „Neuköllner Sicht-Weisen“ ist noch bis Anfang Oktober zu sehen. Das Kunstlabor schwarzekatze\weisserkater in der Emser Str. 128 hat morgen von 15 – 18 Uhr geöffnet. Weitere Termine können per E-Mail an info[at]schwarzekatzeweisserkater.de vereinbart werden.
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