Zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee

Er sei Neu-Neuköllner und wohne am Richardplatz, sagt der junge Mann, Typ Hipster mit Nerd-Brille und einigen anderen charakteristischen Utensilien, der gerade die ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnGalerie im Saalbau verlässt. „Von der Geschichte Neuköllns hab ich bisher nicht viel gewusst“, gibt er zu. Das sei nun – nach dem Besuch der Aus- stellung „Keine Urbanität ohne Dörflichkeit“ – an- ders. Jetzt werde er doch manches in seiner Nach- barschaft mit anderen Augen sehen und beim Anblick des Ist-Zustands auch an Vergangenes denken, meint er: „Obwohl ja vieles so erhalten ist, ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnwie es früher war.“

Auch darüber, dass das Bestehen des Böhmischen Dorfs in seiner ursprünglichen Form vor rund 30 Jahren auf der Kippe stand, informiert die Aus- stellung, die von Studenten des Fachbereichs Planungs- und Architektursoziologie der TU Berlin gemeinsam mit Prof. Dr. Cordelia Polinna sowie der Designerin Sophie Jahnke konzipiert und realisiert wurde. Es waren nicht zuletzt die engagierten Proteste der Nachfahren der böhmischen Exulanten, die seinerzeit die Umsetzung des vom Senator für Bau- und Wohnungswesen vorgelegte „städtebau- liche Erneuerungskonzept für die historischen Tei- le Rixdorfs“ verhinderten.

Daran könne sie sich noch gut erinnern, bemerkt eine Anwohnerin der Richardstraße, die schon an diversen Veranstaltungen anlässlich des 275-jährigen Bestehens des ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnBöhmischen Dorfes teilgenommen hat. Nun flaniert die 72-Jährige mit einer Freundin, die für ein paar Tage aus Ulm zu Besuch ist, durch die populärwis- senschaftlich aufbereitete Historie ihres Kiezes. Die zahlreichen Interviews mit Menschen, die im oder am Rande des Böhmischen Dorfs leben, findet sie ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnbesonders spannend: „Viele der Leute kenne ich ja gut oder flüchtig, aber bei den Gesprächen geht es normalerweise um Alltäg- liches und nicht, wie hier, konzentriert um ein Thema.“ Insofern erfahre sie nicht nur von kaum Bekannten Neues, sondern auch ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnvon denen, die ihr vertrauter sind.

Cordelia Polinna, die selber Nachfahrin einer böhmischen Einwandererfamilie ist, und ihr Team spiegeln durch die Auswahl der Interviewpartner die gesamte Bandbreite derer wider, die heute in der 275 Jahre alten Ansiedlung wohnen oder arbeiten. Wie hat sich das Leben dort verändert? Herrschen immer noch Strukturen vor, die als dörflich be- zeichnet werden können, oder gibt Urbanität den Ton an? Welche Rolle spielen heute die Kirche, Gasthäuser, Schulen und Läden als Treffpunkte? Auf diese und ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnviele andere Fra- gen gibt die Ausstellung über ihre Protagonisten Antworten. Manche haben sogar die Interviewer überrascht. „Dass sich die Gesprächspartner unserer geplanten Interviews schon länger mit dem Gebiet auseinandergesetzt haben, war natürlich hilfreich“, sagt Cordelia Polinna. „Aber trotzdem haben sie spontan spannende Sachen gesagt.“ Schwieriger sei es verständlicherweise bei Ad hoc-Interviews gewesen, auf Menschen zu treffen, die mit Aussagekräftigem statt relativer Einsilbigkeit reagieren. Dokumentierte Gespräche ausstellung "keine urbanität ohne dörflichkeit - das böhmische dorf als stadtlabor", galerie im saalbau neuköllnmit böhmischen Nachfahren schließen die Klammer von der Vergangenheit in die Gegen- wart eines Dorfs, das von jeher durch Einwan- derer geprägt wurde.

Historische und aktuelle Orte der Migration im Mikrokosmos Böhmisch-Rixdorf von der Gale- rie in den Stadtraum zu übertragen und sie dort zu markieren, das hätte eigentlich ergänzend zur Ausstellung geschehen sollen. Leider sei die Arbeit an diesem Punkt des Rahmen- programms aber aus triftigen persönlichen Gründen zum Erliegen gekommen, bedauert Cordelia Polinna. Doch auch der Weg in die bezirkliche Galerie an der Karl-Marx-Straße lohnt sich allemal für jene, für die das Böhmische Dorf kein böhmisches Dorf mehr sein soll.

Die Ausstellung „Keine Urbanität ohne Dörflichkeit – das Böhmische Dorf als Stadtlabor“ ist  nur noch bis zum 23. September in der  Galerie im Saalbau  zu sehen. Öffnungszeiten: 10 – 20 Uhr

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