… ist jeder einzelne von denen bereits: ein Star.
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… ist jeder einzelne von denen bereits: ein Star.
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Sie heißen Leni, Mahmoud, Cheyenne, Jan-Krevan, Betül, Mekke, Susuda, Hamza, Mekke, Daniel, Leopold, Dallas, Hiba, Elias und Mariella – um nur einige zu nennen – und wohnen mitten in Neukölln im Ganghoferkiez. Sie sind zwischen zwei und acht Jahren alt, gehen in die Kita oder bereits in die Schule und zeigen derzeit im Kinder-KünsteZentrum,
wie sie leben und ihren Alltag erleben. „Guck mal, das ist bei uns zuhause!“ Mahmoud zeigt stolz auf das große Schwarz-Weiß-Bild, auf dem er (M.), sein kleiner Bruder und seine große Schwester zu sehen sind. Das Bild, erklärt er, sei mal ein Foto
gewesen, das fotokopiert und vergrößert und später von ihm ausgeschnitten und an die Wand geklebt wurde. Dann ist er wieder weg, um zusammen mit Betül an einem weiteren Kunstwerk zu basteln.
„Das ist eine der Besonderheiten der Ausstellung Vielfalt der Fami- lien im Kiez„, sagt Karen Hoffmann (l.), die Leiterin des KinderKünsteZen- trums, bei der Ver- nissage. „Sie ist längst noch nicht fertig und wächst immer weiter.“ Genau genommen sei sie auch keine Ausstellung, sondern in erster Linie eine Mitmach-Kunstwerkstatt. Hauptakteure sind Kinder der Kita Mosaik und der Kita Brüdergemeine sowie der Richard-Grundschule, die zusammen mit drei Künstlerinnen durch unterschiedlichste Herangehensweisen ein Kaleidoskop der
Familien im Ganghoferkiez erstellen.
Während die Kita Brüdergemeine-Kids, zu denen auch Mahmoud und Betül gehören, gemeinsam mit Chris Gräfensteiner ein Familienzimmer gestalten, das durch Foto- und Sound- collagen Einbli- cke in die Woh- nungen gewährt, nehmen sich die Kinder der Kita Mosaik zusammen mit Anett Lau gleich
des ganzen Viertels an.
Mein Kiez heißt ihre Rauminstallation, die Straßen, Wege und Häuser aus der Sicht der Kinder darstellt, aber ebenso die Kinder selber als Exponate in die Szenerie einbezieht. Daniel will als Erster zur lebens- großen Papp
figur werden. „Versuch‘ ganz ruhig zu liegen und nicht zu lachen, wenn’s kitzelt!“, fordert Anett Lau ihn auf, als Mekke beginnt, die Umrisse des Jungen auf den Karton zu übertragen. Daniel liegt konzentriert und
stocksteif da, wagt kaum richtig Luft zu holen, bis Mekke die Arbeit an seiner Silhouette vollendet hat. „So groß bin ich schon?“, wundert er sich.
Wer nicht mehr im Gebäudeteil hinter dem Stadtbad war, seit das Museum Neukölln aus diesem aus- gezogen ist, wird sich eher wundern, was durch das KinderKünsteZentrum aus dem einst düsteren Ambiente geworden ist: Ein bunter Ort, an dem Kinder ihre Kreativität kennen lernen und ausleben können.
Den großen Raum mit der Lichtkuppel hat nun die Klasse 1.2 der Richard-Grundschule zu ihrem Atelier gemacht. Angeleitet von Simone Schander zeichnen und basteln die Schülerinnen und Schüler Familienportraits für die Ausstellung und werden so spielerisch an die Auseinandersetzung mit ihren eigenen Biographien herangeführt. Dass sich in den Exponaten, liebevoll gestalteten Miniaturwohnungen, zuweilen Realität und Phan- tasie vermischen, ist offensichtlich und gewollt. „Es ist doch auch wunderbar“, findet Bezirksstadt- rätin Fran- ziska Giffey, „dass man hier das bauen kann, was man sich wünscht – ein eigenes Zimmer zum Beispiel.“ Als sie die Kinder fragt, wie viele mehrere Geschwister haben, gehen die meisten Hände nach oben. Bei der Frage nach einem eigenen Reich, bleiben viele unten.
In manch anderem Bezirk wäre das Ergebnis umgekehrt ausgefallen. Insofern ist die Mit- machwerkstatt „Vielfalt der Familien im Kiez“ nicht nur für die Kinder ein spannendes Erlebnis, sondern auch für Besucher sowie das Team rund um Karen Hoffmann eine aufschlussreiche Erfahrung. „Normalerweise kommen ja Kinder aus ganz Berlin zu uns“, sagt sie. „Dieses Projekt nur für Kinder aus dem Umkreis unseres Standorts ist auch für uns eine Premiere.“ Der Zuspruch beweist, dass das vor einem Jahr eröffnete KinderKünsteZentrum trotz der berlinweiten Ausrichtung im Kiez ange- kommen ist: Alle Workshops für Kitas und Schulen sind inzwischen ausgebucht.
Noch bis zum 11. November ist das KinderKünsteZentrum Berlin immer sonntags ab 11 Uhr geöffnet und lädt alle Familien mit Kindern zu kostenlosen Mitmach-Aktionen und Workshops ein.
=ensa=
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Fast bedeutungslos sei der einst im süddeutschen Raum und Österreich verbreitete Brauch inzwischen geworden. In Frankfurt/Main, weiß Wikipedia weiter, degradierten Juristen die lange praktizierte Tradition des Fensterlns gar vom kulturellen Erbe zum
Delikt des Hausfriedensbruchs. In Neukölln ist man da nicht nur toleranter, sondern macht auch noch per Hinweisschild publik, wo trefflich angeleitert werden kann.
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Ich muss zugeben, dass ich den Begriff Kreuzkölln normalerweise nie ohne „kotz“ dazwischen schreibe oder sage: Kreuzkotzkölln. Denn ich finde diese Benamsung unsäglich und meine, dass die dort lebenden Menschen fähig sein sollten, mittels eines Stadtplans oder ihres Meldeamtes rauszufinden, in welchem Berliner Stadt- bezirk sie wohnen. Neukölln o d e r Kreuzberg. Kreuzkölln ist eine gentrifizierte Hipster-Erfindung. Und vermutlich steht „gentrifizieren“ nicht umsonst als schwaches Verb im Duden. Und damit oute ich mich vielleicht gerade als Verlorene.
„Lost in Gentrification“ heißt jedenfalls ein neues Buch des Satyr Verlages, heraus-gegeben von Sebastian Leh- mann (o.) und Volker Sur- mann (u.). Es beinhaltet auf knapp 200 Seiten 36 Groß- stadtgeschichten von 32
Autorinnen und Autoren wie Ahne, Jess Jochimsen oder André Hermann, die alle schon mal in irgendeiner Form mit der Gentrifizierung in Berührung gekommen sind.
Vorgestern hatte das Buch Premiere im Heimathafen Neukölln, und ich saß vorurteilsbehaftet in der ersten Reihe und fühlte mich am rechten Platz. Naja, bis auf die Tatsache, dass mir der nette Mann neben mir immer wieder sein Eau de Knoblauch ins Gesicht pustete. Egal, ich wollte Hipstergeläster hören. Hörte ich auch, aber eben nicht nur, sondern auch Hipsterlästerer-Geläster.
Im Endeffekt: 15 Geschichten gelesen, gesungen, performt – und fast alle davon mit so viel Ironie und/oder Sarkas- mus, dass es schier von der Bühne troff. Brillant vorgetra- gen von Uli Hannemann (r.),
der leider sehr schnell gehen muss- te, und Heiko Werning (o.), der auch
noch super Klavierspielen kann. Von Tilmann Birr (l.), dem ich mitteilen möchte: „Ich habe keinen Freund, aber ’ne Luftpumpe hab ich!“, und von Maik Martschinkowsky (r.), der Strandnixe. Ebenfalls be-
eindruckend: Frank Klöt-
gen (l.), der echt krasse Ge- dichte schreiben und auswen- dig aufsagen kann, Sebastian Lehmann, der heimliche Hip- ster und Mitherausgeber, sowie Martin „Gotti“ Gottschild (r.), der das Publikum so richtig zum Lachen gebracht hat und noch mehr berlinert als icke.
Ich fühlte mich jedenfalls aufs Beste unterhalten, und dem jubelnden, klatschenden Publikum ging es vermutlich auch so. Deshalb möchte ich gar nicht mal so sehr am Rande erwähnen, dass dieses Buch dringend gelesen werden sollte: Von Hipstern und solchen, die es werden wollen, und von Hipster- lästerern wie mir. Gentrifizierung betrifft alle, vom Pionier über den Gentrifyer bis hin zu denen, die unter den Veränderungen im Kiez leiden oder gar verdrängt werden. Dass das Thema nicht immer nur bierernst abgehandelt werden muss, beweist das Buch „Lost in Gentrification“.
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Die Aufregung war groß. Je näher die Eröffnung der Foto-Ausstellung „Neu- köllner Sicht-Weisen“ rückte, desto schwieriger wurde es für Passanten, sich einen Weg durch die Trauben der Wartenden vor dem Kunstlabor schwar- zekatze\weisserkater zu bahnen. Doch in die Vorfreude der Fotografen und ihrer Gäste mischte sich auch Wehmut, denn es könnte ob noch fehlender Wei- terfinanzierung die letzte Ausstellung dieser sehr besonderen Art sein.
Vor knapp einem Jahr startete das Projekt, bei dem die Kursleiter Ulli Schreier und Wolfgang Selbach vom schwarzekatze\weisserkater e. V. Frauen und Männern mit Lern- und geistigen Behinderungen in die Kunst der Schwarz-Weiß-Fotografie ein- führten. Die Technik einfacher Analog-Kameras, Motivsuche, Bildaufbau, die Fotoentwicklung im
Labor und fotografische Exkur- sionen – all das stand neben der Praxis, also dem Fotografieren an sich, auf dem Programm des Workshops. „Für das Projekt überhaupt einen Kooperationspartner zu finden, ist äußerst kom- pliziert gewesen. Nur das Kunstlabor schwarzekatze\weisserkater wollte es mit uns wagen. Von allen anderen im Kiez, die ich ange- sprochen habe, gab es nur Absagen“, beschreibt Heidemarie Sohnemann von der Lebenshilfe Berlin die Schwierigkeiten, aus dem Nebeneinander von Behinderten und Nicht-Behinderten ein Miteinander zu machen. Es sei definitiv eine wertvolle Erfahrung gewesen, sagt Ulli Schreier. Von Einblicken in eine andere Welt spricht er, wenn er sich an die Zusammenarbeit erinnert, und schwärmt von den Prozessen, die dabei entstanden: „Im Laufe der Zeit haben die Teilnehmer angefangen, mit den Bildern, die sie gemacht haben, Geschichten zu erzählen. Für mich sind das also
nicht nur Fotos, die wir nun ausstellen.“
Fast 50 Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind es. Das Bild mit der Nummer 4 ist von Martin May und zeigt eine Kollegin, die in der Behindertenwerkstatt mit ihm zu- sammenarbeitet. Natürlich, sagt er, habe er nicht nur sie, sondern auch anderes fotografiert: „Aber das Bild hat mir am besten gefallen.“ Das Vertrauen der Frau in den Mann hinter der Kamera ist un- übersehbar und macht als Kontrast zur Werkstatt-Peripherie den Reiz des Fotos aus. Für Martin May selber war es vor allem das Umdenken, das ihn reizte, am Projekt teilzunehmen. „Sonst fotografiere ich auch“, sagt er, „aber mit einer Digital-Kamera.“ Plötz- lich nur einen Film mit 36 Bildern zu haben, nicht mehr schnell löschen zu können, was verwackelt ist oder nicht gefällt, das sei schon
eine große Umstellung gewesen. Und dann diese völlig andere Perspektive, die vom Sucher statt von einem Display be- stimmt wird.
Das Projekt, bei dem alle Fotografen die Werdegänge ihrer Bilder von der Aufnah- me bis zur Dunkelkammer miterleben konnten, erinnere sie sehr an einen Foto- Kurs, an dem sie früher in der Schule teilgenommen habe, verriet Kulturstadträtin Dr. Franziska Giffey (l.) bei der Vernissage: „Allein durch das eigene Bearbeiten entstehen dann besondere Bilder.“ Und im Falle die- ser Ausstellung, lobte Giffey, würden sie die Vielfalt Neuköllns auf einzigartige Weise widerspiegeln.
Auch Katharina Smaldino (r.), Beauftragte für Men- schen mit Behinderung im Bezirk, zeigte sich angetan von den Ergebnissen, die in der Schlussphase des einjährigen Workshops entstanden sind. „Ich versu- che gerade Geld für eine Fortsetzung des so wich- tigen Projekts aufzutreiben“, ließ sie die Teilnehmer wissen. Ein Hoffnungsschimmer.
Die Ausstellung „Neuköllner Sicht-Weisen“ ist noch bis Anfang Oktober zu sehen. Das Kunstlabor schwarzekatze\weisserkater in der Emser Str. 128 hat morgen von 15 – 18 Uhr geöffnet. Weitere Termine können per E-Mail an info[at]schwarzekatzeweisserkater.de vereinbart werden.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: dr. franziska giffey (spd neukölln), heidemarie sohnemann (projektleitung lebenshilfe ggmbh), katharina smaldino (behindertenbeauftragte neukölln), kunstlabor schwarzekatze\weisserkater e.v., lebenshilfe berlin e.v., martin may, neukölln, ulli schreier (schwarzekatzeweisserkater e.v.), wolfgang selbach (schwarzekatzeweisserkater e.v.) | Kommentare deaktiviert für Neuköllns Vielfalt in Graustufen
Sonntagmittag, Oder-/Ecke Emser Straße, aus dem Eisstadion des Werner-See- lenbinder-Sportparks Neukölln lärmt es fast wie bei einem Eishockeyspiel. Es ist der 23. September, die Eisbahnsaison beginnt traditionsgemäß doch erst im Oktober. Also was ist da los?
Ohne Eintrittsgeld entrichten zu müssen, gelangt man auf die Tribüne, die aber nur recht spärlich besetzt ist. Umso lebhafter geht es in dem noch eislosen Oval zu.
Hier tummeln sich 14 Menschen: 12 von ihnen tragen Helme, Brustpanzer, Arm- schützer und Handschuhe, die anderen beiden, die Schiedsrichter, sind im schwarzweiß gestreiften Outfit. Erstere handhaben einen käscherähnlichen Stock, an dessen Spitze sich ein Netz befindet, mit dem recht virtuos ein kleiner Ball gefangen, getra- gen und geworfen wird.
Wie zu erfahren ist, stehen sich bei diesem ersten Box Lacrosse Turnier in Berlin im Rahmen der European Lacrosse League gerade die Old Dogs Plzeň (grüne Trikots) und die Wolves Radotín (weiße Trikots), also Mann- schaften aus Pilsen und Prag, im Spiel um den dritten Platz gegenüber.
Außer den Spielern, den Veranstaltern, der kleinen Fangemeinde und vielleicht noch einigen sehr Bil- dungsnahen weiß wohl niemand um diese Sportart, die bereits im 17. Jahrhundert von den Indianern der amerikanischen Ostküste erfunden wurde und dort zur spielerischen Wehrertüchtigung heranwachsender Krieger diente. Anfang des 20. Jahrhunderts war La- crosse, das auf dem Feld sowie in Sporthallen bzw. auf enteisten Eisbahnen gespielt wird, sogar olym-
pische Disziplin.
Die Regeln des Spiels erschließen sich wahrlich nicht sogleich, aber von Drittel zu Drittel wird man auch hier klüger. Zur Erläuterung: Eine Mannschaft besteht aus fünf Spielern und einem Torwart, der wesentlich ausladender als seine Team-Kollegen gepolstert ist. Weitere 10 Spieler halten sich bereit zum Aus- wechseln auf der Bank auf. Sie wechseln je nach eigener Stärke und Spielverlauf. Wird angegriffen, sind die offensivstarken Spieler auf dem Platz, bei der Verteidigung die defensivstarken.
Zu Beginn jeder Periode findet ein Faceoff, also ein Anstoß wie beim Eishockey in der Spielfeldmitte statt. Dabei müssen sich alle Spieler – abgesehen von den den beiden Faceoff-Spielern – jenseits der Linien, die das Spielfeld dritteln, aufhalten und dort verweilen, bis eine Mann- schaft im Ballbesitz ist oder der Ball eine der Restraininglines überquert hat. Das Team, das den Ball in die Angriffshälfte befördert hat, darf diesen
keinesfalls in die eigene Hälfte zurück passen oder tragen. Ein Vergehen führt zum Ballverlust.
Nach einem erzielten Tor folgt ein kurzer Pfiff des Schiedsrichters. Danach folgt kein Faceoff, sondern der Ball wird sofort wieder ins Spiel gebracht.
Die Spielzeit beim Box Lacrosse beträgt 3 mal 15 Mi- nuten. Die Zeit wird an- gehalten, wenn ein Team oder die Schiedsrichter eine Auszeit nehmen. Jede Mannschaft kann pro Drittel eine 60-sekündige Auszeit nehmen, aber nur dann, wenn sie sich im Ballbesitz und in der Angriffszone
befindet.
Wer in der eigenen Verteidigungshälfte in Ballbesitz, hat 10 Sekunden Zeit, den Ball in die Angriffszone zu befördern. Wenn die angreifende Mannschaft den Ball verliert, wird die Zeit unterbrochen, erkämpft sich die gegnerische Mannschaft den Ball, läuft sie weiter. Ähnlich wie beim Basketball, darf beim Lacrosse ein Angriff nicht länger als 30 Sekunden dauern. In dieser Zeit muss ein gültiger Torschuss versucht werden. Gültig, d. h. regelgerecht, ist der aber nur, wenn er von vorne in Richtung Tor geht. Abpraller von der Wand hinter dem Tor oder Schüsse aus dem Raum hinter dem Tor
zählen nicht als gültiger Torschuss. Schafft ein Team es nicht, den Angriff innerhalb einer halben Minute erfolgreich abzuschließen, kommt das gegnerische in Ballbesitz – und zwar genau an der Stelle, wo sich der
Ball in der Sekunde 0 befindet.
Zwischen den Dritteln, die zugleich Seitenwechsel für die Mannschaften bedeuten, gibt es Pausen von jeweils zwei Minuten. Zusätzliche Pausen – dann Zeitstrafen genannt – bekommt, wer einen Gegen- spieler unterhalb der Gürtellinie attackiert, ihm ein Bein stellt oder die Spielregeln durch grobes unsportliches Verhalten bricht. Denn auch wenn es zu-
nächst anders aus- sieht: Beim für Laien
brachial anmutenden Box La- crosse ist zwar vieles, aber längst nicht alles erlaubt, und wer im Eifer des Gefechts das Regelwerk vergisst, wird vom Schiedsrichter unmissverständlich an sie erinnert.
Doch auch ohne Kenntnis der Regeln (oder gerade des- wegen), ist man als Zuschauer ganz schnell gefangen- genommen von der Faszination, die von diesem Spiel ausgeht. Nahezu artistisch gehen die Spieler mit ihrem Schläger um, und das in oft atemberaubender Schnelligkeit. Nicht
nur ein gutes Auge muss mit Fang-, Wurf- und Treffsicherheit gepaart sein, auch ein gerüttelt Maß an Gewaltbereitschaft zum Einsatz von Schläger und Körper sind gefragt – man muss auch einstecken können. Denn der 140 Gramm schwere Hartgummiball fliegt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Kilometern pro Stunde über das Spielfeld. Zusätzlich wird
der Schläger genutzt, um anderen Spielern den Ball abzunehmen. Die Ver- teidiger versuchen, dem ballführenden Spieler auf Schläger, Hände oder Oberkörper zu schlagen. Wenn das nicht klappt, dann geht der Spieler schon mal mit vollem Körpereinsatz zur Sache.
Für die beiden Sanitäter der Johanniter Unfallhilfe, die beim ersten Box Lacrosse Turnier auf Berliner Boden im Eisstadion Neukölln Dienst taten, war es dennoch ein ruhiges Wochen- ende. Das sähe alles viel brutaler und härter aus, als es ist, bilanzierten sie kurz vor dem Finalspiel.
Das Spiel um Platz 3 gewannen die Wölfe aus Radotin letztlich überzeugend mit 12:7. Auch das anschließende Endspiel, das der LC Bison Radotin und die Deutschland Adler bestritten, konnte das Team aus Tschechien für sich entscheiden.
=kiezkieker=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: 1. box lacrosse turnier berlin, deutschland adler, eisstadion neukölln, european lacrosse league, johanniter unfallhilfe, kiezkieker, lc bison radotin, neukölln, old dogs plzen, werner-seelenbinder-sportpark, wolves radotin | Kommentare deaktiviert für Mit Käschern und nackten Beinen: Box Lacrosse-Premiere in Neukölln
Der Weg nach oben ist tückisch und steil. „Passen Sie auf der Treppe auf!“, rät Rita Spanner, die sich längst an die abgewetzten, knarzenden Stufen gewöhnt hat. Den 15 Frauen, die seit Mitte März am Projekt „Nur Mut für
Müt- ter in Neukölln“ teilneh- men, geht es inzwischen genauso. Und der Weg zu den Projekträumen im 1. Stockwerk in der Karl- Marx-Straße 50 war mit Sicherheit die kleinste Herausforderung, die sie zu meistern hatten.
Stundenlang aus dem Haus zu sein und das regelmäßig, war für alle eine vollends verlernte oder gar gänzlich unbekannte Situation. Den Lebensrhythmus hatten lange Zeit die Kinder und die Aufgaben innerhalb der eigenen vier Wände bestimmt. „Genug zu tun hatte ich immer“, blickt eine der Frauen zurück. Trotzdem war sie – wie alle anderen Projektteilnehmerinnen – das, was landläufig als „arbeitslos“ bezeich- net wird.
Durch das von der ajb GmbH initiierte Beschäftigungsangebot „Nur Mut für Mütter in Neukölln“ wird den JobCen- ter-Kundinnen nun die Möglichkeit gegeben, sich in den Bereichen Hauswirtschaft und Nähen zu qualifizieren und den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu trainieren, wobei neben fach- lichen Fähigkeiten auch die sozialen Kompetenzen
geschult werden. „In Sachen Teamwork, Kommunikation und Streitkultur hatten die Frauen schließlich im Laufe der Zeit einige Defizite angesam- melt“, so die Erfah- rung von Projektleiterin Rita Spanner. Schon deshalb beginne jeder Tag mit einer Gesprächsrunde, bei der
Organisatorisches und Zwischenmenschliches erörtert wird: „Oft sind es ja kleine Missver-ständnisse oder nicht angesprochene Proble- me, die zu großen Hürden werden.“ Ebenso oft stelle sich zudem bei den Meetings heraus, wie sehr sich die Frauen untereinander helfen und
voneinander pro- fitieren können.
Täglich von mon- tags bis freitags sind sie in der neu gegründeten Einrichtung, je- weils fünf Stunden lang. „Schon die tägliche Dauer bedeutete für die meisten, dass sie, um am Kurs teilnehmen zu können, erstmal eine Bewilligung für die längere Kitabetreuungszeit brauchten“, berichtet Rita Spanner. Sich durch solche Formalitäten kämpfen zu wollen, Unsicherheiten abzulegen und Selbstbewusstsein aufzubauen, gehöre zu den ersten Schritten in die richtige Richtung.
„Ich bin wirklich tief beeindruckt, mit wie viel Stolz, Einsatz und Konzentration die Mütter inzwischen bei der Sache sind und wie sie es schaffen, ihren Alltag neu zu
regeln“, freut sich die Projektleiterin. Der Fotograf Luca Abbiento, der Portraitfotos von den Frauen machte, die nun im langen Flur der Projektetage hängen, erlebte es ähnlich. Am Anfang seien sie sehr zögerlich und unsicher gewesen. „Aber nachdem wir uns etwas kennen gelernt haben und sie Vertrauen zu mir aufbauen konnten, war es für alle selbstverständlich, bei der Fotoaktion mitzumachen.“ Nicht zuletzt durch das gegenseitige Ermuntern untereinander.
Schon zur Halbzeit der Projektlaufzeit ist aus den 15 Müttern ein Team ge- worden, in dem die Schwächen jeder einzelnen ausgeglichen und die Stär- ken gefördert werden. In dem mitein- ander gearbeitet wird und der respekt- volle Umgang oberste Priorität hat. „Sonst würde das Projekt auch kaum klappen“, vermutet Rita Spanner angesichts des heterogenen Gruppengefüges. Die jüngste Teilnehmerin ist 28, die älteste 56; nicht minder unterschiedlich sind die Herkunftsländer, Biographien und Zukunfts- pläne der Frauen. Ihr entscheidender gemeinsamer Nenner ist, dass sie Kinder haben und wieder ins Berufsleben einsteigen wollen.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: ajb gmbh, luca abbiento, neukölln, projekt "nur mut für mütter in neukölln", qualifizierungsprojekt für arbeitslose mütter, rita spanner (ajb gmbh) | Kommentare deaktiviert für Muttifunktional
Ausgerechnet der Wind war gestern das größte Problem auf dem Tempelhofer Feld, wo das erste Festival der Riesendrachen stattfand. Die Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND hatte dazu eingeladen und Dutzende internationale Drachenflieger-Teams waren gekommen. Dazu rund 40.000 Schaulustige – optimistisch frühherbst- lich gekleidet oder mit Mützen und Handschuhen, mit
eigenem Drachen im Gepäck oder ohne.
Bis zu 40 Meter lange Großdrachen und das mit 26 Metern weltgrößte Wind- rad waren neben einem bunten Programm rund ums Drachenfliegen angekündigt. Doch die steife, teils überdies böige Brise aus Nordwest wirbelte manches gehörig durcheinander oder zwang die Riesendrachen-
Lenker ganz dazu, ihre Fluggeräte am Boden oder in Bodennähe zu lassen. Lediglich am Vormittag beim Warm up herrschten nahezu perfekte Bedingungen, im Laufe des Nachmittags frischte der Wind immer weiter auf, verhinderte so aber auch, dass das bunte Spektakel am Himmel durch Regen gestört wurde.
v. l.: Ingo Malter (STADT UND LAND), Dr. Franziska Giffey (Bezirksstadträtin von Neukölln), Vera Gäde-Butzlaff (BSR), Oliver Schworck (Bezirksstadtrat von Tempelhof-Schöneberg), Dr. Christoph Landerer (STADT UND LAND)
Entsprechend positiv fiel das Zwi- schenfazit von Dr. Christoph Lande- rer, Vorsitzender des STADT UND LAND-Aufsichtsrats, nachmittags bei der offiziellen Eröffnung aus. „Das Festival kann schon jetzt als voller Erfolg bezeichnet werden, und wir werden dafür sorgen“, ver- sprach er, „dass es nicht die letzte Veranstaltung dieser Art ist.“
=kiezkieker=
Filed under: berlin | Tagged: berlin, dr. christoph landerer (stadt und land berlin), dr. franziska giffey (spd neukölln), festival der riesendrachen, ingo malter (stadt und land berlin), kiezkieker, oliver schworck (spd tempelhof-schöneberg), stadt und land wohnbauten gmbh, tempelhofer feld, vera gäde-butzlaff (bsr berliner stadtreinigung) | Kommentare deaktiviert für Zu viel des Guten
Schuld an allem Übel dieser Welt ist die Globalisierung: eine recht monokausale Erklärung, die trotzdem bei vielen Zustimmung findet. Bewegen wir uns mit dem Betrachtungshorizont auf lokaler Ebene, wird es komplizierter. Doch es gibt auch hier Menschen, für die es nur an/aus, schwarz/weiß oder gut/böse geben darf.
Gerade wurde die Ursache der Gentrifizierung in Neukölln ausgemacht: Tanja Dickert. Sie führt seit vielen Jahren die Ahoj! Souvenirmanufaktur und ist Mitbegründerin der KGB44, der Kreativen Gesellschaft Berlin. Sie ist gebürtige Neuköllnerin, engagiert sich für ihren Kiez. Hier fängt das Problem an. Auf einem Szeneportal wird nun gegen sie als eine Wegbereiterin der Gentrifizierung polemisiert.
Es gibt Menschen, die der Auffassung sind, man könnte Mietsteigerungen, Verdrängung oder vergleichbare Prozesse dadurch besei- tigen, dass z. B. Müllberge die Straßen flan- kieren. „Dreckige Straßen – Niedrige Mieten“ prangt seit fast zwei Jahren an einem Haus in der Boddinstraße. Seitdem hat sich in Bezug auf Sauberkeit nichts drastisch verschlech- tert – verbessert hat sich aber auch nichts, einzig die Mieten sind weiter gestiegen.
Kunst und Kultur sind in den Augen Weniger die nächsten Boten und Wegbereiter der Gentrifizierung. Dass KünstlerInnen das gleiche Recht wie linke Kneipenprojekte, Buchläden oder Fahrradkollektive haben, sich selbstbestimmte Aktionsräume und finanzielle Überlebensstrategien zu schaffen, wird dabei genauso außer acht gelassen wie der Umstand, dass viele der Erwähnten in vergleichbar prekären Situationen leben und arbeiten. Bei den Einen jedoch ist es toleriertes revolutionäres Engagement, bei den Anderen wird es als dumme Selbstausbeutung im Interesse von Kapital und Macht verstanden. Gänzlich unverständlich wird die Hatz auf KünstlerInnen, wenn sich diese auch noch aktiv antifaschistisch, emanzipatorisch und kiezgemeinschaftsstärkend engagieren.
Auf die Idee, dass manche Anti-Gentrifizierungsaktion samt des revolutionären Flairs, den die Aktion zu umgeben scheint, genau den Reiz für Zuzügler ausmacht und sie fast jeden Mietpreis zu zahlen bereit sind, der 10 Euro unter Schwabing-Mitte-Niveau liegt, kommen Menschen eher selten. Die Neuen indes freuen sich, dass sie für ihr Intermezzo in der Haupt- stadt billigen Wohnraum – bei Mün- chener Löhnen – gefunden haben. Und zu Hause können sie den Freunden vom coolen, linken Neu- kölln berichten, ohne sich selber für irgendetwas engagieren zu müssen.
Ich bin vor kurzem von einer tür- kischen Nachbarin angesprochen worden, dass wir unbedingt etwas gegen diese grässlichen Mieterhöhungen im Quartier unternehmen müssen. Langjährige, oft ältere NachbarInnen sind aktuell von Verdrängung betroffen. Von einer Neuköllner Protestbewegung haben sie nichts gehört. Sie fühlen sich auch nicht angesprochen oder sind er- oder abgeschreckt von manchen äußeren Erscheinungsbildern eines berechtigten und notwendigen Kampfes. Wahrgenommen wurde dagegen der so genannte Kreuzberger Weg mit dem Anliegen, eine breite, teils bürgerliche Aktionsgemeinschaft zu formieren und eine große Demo auf die Beine zu stellen. Auch in Neukölln gibt es viele, denen die Situation reicht, die sich engagieren wollen oder es bereits tun. Die meisten von ihnen suchen jedoch nicht die Weltrevolution im Hinterhof und wollen auch keine Müllkippen als Barrikaden gegen Mietwucher errichten. Sie wollen ihr Leben bunt und selbstbestimmt leben. Sie suchen Unterstützung auf Augenhöhe durch Menschen, die sie wahr- und ernst nehmen. Eine Basis dafür ist Vertrauen und Kommunikation auf Kiezebene, gemeinsame Aktionen und gemeinsame Feste. Tanja Dickert ist ein Mensch, der solche Dinge im Kiez gemeinsam mit anderen bewegt.
Wir brauchen keine Spaltereien und keine Fronten untereinander, denn die einzige Chance etwas zu bewirken, ist gemeinsam zu handeln. Wohin elitäres Sektierertum führt, haben viele gescheiterte Kämpfe in der Vergangenheit gezeigt. Vermutlich bin ich nun auch in die „böse Ecke“ gerückt, doch es bleibt mir derzeit nichts anderes übrig, denn für mich gilt immer noch: Die stärkste Waffe ist die Solidarität!
– ein Kommentar von Christian Hoffmann –
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Viel Luft nach oben, viel Aussicht, viele freie PKW-Abstellflächen, die nie angesteuert werden, viel Platz, der anderweitig genutzt werden könnte – das ist das Parkdeck 6
der Neukölln Arcaden. Eigentlich sollte es dort längst anders aussehen: Bereits vor zwei Jahren kündigte der Newsletter der [Aktion! Karl-Marx-Straße] das Anlegen und Ankern der MS Neukölln auf dem Parkdeck für den Mai 2011 an. Doch zwischen- zeitlich scheint der Kulturdampfer vom Kurs abgekommen oder ganz untergegangen zu sein.
„Weshalb die Pläne nicht realisiert wurden oder ob das noch passieren wird, wissen wir auch nicht“, teilte Alexander Matthes von der [Aktion! Karl-Marx-Straße] heute auf Anfrage mit. Seinerzeit sei die Sachlage die gewesen, dass ein Bauantrag vorgelegen und es mit Klangsucht einen Projektträger gegeben habe, der sich Sponsoren und Kulturveranstalter als Kooperationspartner zur Umsetzung der Pläne ins Boot holen wollte. „Momentan sieht es aber danach aus, dass das nicht geklappt hat“, sagt Matthes, der ob des extrem lockeren Kontakts zum Projektträger nur Vermutungen anstellen kann. „Eine konkrete Absage liegt uns jedenfalls noch nicht vor“, betont er. Ebenso, dass bislang keinerlei Fördermittel an das Projekt gegan- gen seien: „Dann wäre auch die Zusammenarbeit eine engere und der Informations- fluss besser.“
Von Klangsucht war keine Stellungnahme zum Thema MS Neukölln zu bekommen: Telefonisch sind die Eventveranstalter nicht zu erreichen und eine E-Mail kam mit dem Hinweis „mailbox is full“ zurück.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: aktion karl-marx-straße, alexander matthes (aktion karl-marx-straße), klangsucht berlin, ms neukölln, neukölln, neukölln arcaden, parkdeck 6 (neukölln arcaden) | Kommentare deaktiviert für Untergang der MS Neukölln?
Computerkurse, Tanz- und Theatergruppen, Gymnas- tikstunden, Bastel-, Strick- und Singnachmittage, Aus- flüge in andere Bezirke und das Berliner Umland – es ist ja nicht so, dass sich Neuköllner Senioren mangels Alternativen in den eigenen vier Wänden einigeln müssen. Ange- bote für sie gibt es reichlich, wenn auch nicht in jedem Kiez, was vor allem Alten mit Mobilitätseinschränkungen den Zugang erschwert. Zudem, so die Erfahrungen
einschlägiger Einrichtungen, reagieren besonders Senioren mit Migrationshintergrund mit größter Zu- rückhaltung auf die Offerten.
Deshalb fand gestern auf dem Vorplatz des Neuköll- ner Rathauses der 1. Interkulturelle Seniorentag statt. An diesem schönen Herbsttag gehe es vorrangig um Menschen, die im Herbst des Lebens stehen, betonte Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (r.), der auch Schirmherr der Veranstaltung war, bei seiner Eröffnungs-ansprache. Es gebe von Hilfs- und Beratungs-organisationen viele Angebote zur Freizeit-gestaltung und sozialen sowie rechtlichen Aspekten im Bezirk, doch die, so Szczepanski seien oft nicht bekannt: „Diesem Informations-defizit soll der Seniorentag abhelfen.“ Candan Ögütçü (l.), Geschäftsführer der navitas gGmbH, die den Infotag gemeinsam mit dem Neuköllner Bezirksamt organisierte, unterstrich dieses Anliegen und hob die Verantwortung des Landes hervor, das für Einwanderer zur zweiten Heimat wurde. „Sie sind als junge Leute gekommen und haben mitgeholfen, Deutschland zu einem lebenswerten Land zu machen.“ Folglich seien jetzt alle gefordert, diesen Menschen auch ein lebens-
wertes Altern zu ermöglichen – trotz sprachlicher Barrieren und kultureller Traditionen, die von denen der Mehr- heitsgesellschaft abweichen.
Mit dem interkulturellen Seniorenzen- trum EM-DER, dessen Name mit „Verein für die Rentner“ frei übersetzt werden kann, ist Ögütçüs Einrichtung schon seit 2006 im Bereich der kul- tursensiblen Altenhilfe aktiv. Andere Instititutionen haben erst später be- gonnen, multiethnische Bedürfnisse in ihren Programmen zu bedienen, oder scheinen dem noch ein gutes Stück hinterher zu hinken. Weil entsprechendes Personal fehlt oder das Umdenken auf die grundsätzliche Neuausrichtung der Angebote für Senioren konzentriert ist, die eben längst nicht mehr mit 75 per se alt und einzig auf gemütliche Kaffee-und-Kuchen-Runden aus sind.
=ensa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: 1. interkultureller seniorentag, bernd szczepanski (grüne neukölln), candan ögütcü (navitas ggmbh), haus des älteren bürgers neukölln, kultursensible altenhilfe, neukölln, rathaus neukölln, senioren mit migrationshintergrund, sozialstadtrat neukölln | Kommentare deaktiviert für Denn sie wissen nicht, was es alles gibt
Auf den ersten Blick wirkt es widersprüchlich: Einerseits der Aufkleber „Stoppt Tier- versuche“ auf dem Lastenfahrrad und andererseits ein Hund – also: Tier – beim Versuch, einen vorbildlichen Sozius zu geben. Offensichtlich ist der gelungen.
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Er sei Neu-Neuköllner und wohne am Richardplatz, sagt der junge Mann, Typ Hipster mit Nerd-Brille und einigen anderen charakteristischen Utensilien, der gerade die Galerie im Saalbau verlässt. „Von der Geschichte Neuköllns hab ich bisher nicht viel gewusst“, gibt er zu. Das sei nun – nach dem Besuch der Aus- stellung „Keine Urbanität ohne Dörflichkeit“ – an- ders. Jetzt werde er doch manches in seiner Nach- barschaft mit anderen Augen sehen und beim Anblick des Ist-Zustands auch an Vergangenes denken, meint er: „Obwohl ja vieles so erhalten ist,
wie es früher war.“
Auch darüber, dass das Bestehen des Böhmischen Dorfs in seiner ursprünglichen Form vor rund 30 Jahren auf der Kippe stand, informiert die Aus- stellung, die von Studenten des Fachbereichs Planungs- und Architektursoziologie der TU Berlin gemeinsam mit Prof. Dr. Cordelia Polinna sowie der Designerin Sophie Jahnke konzipiert und realisiert wurde. Es waren nicht zuletzt die engagierten Proteste der Nachfahren der böhmischen Exulanten, die seinerzeit die Umsetzung des vom Senator für Bau- und Wohnungswesen vorgelegte „städtebau- liche Erneuerungskonzept für die historischen Tei- le Rixdorfs“ verhinderten.
Daran könne sie sich noch gut erinnern, bemerkt eine Anwohnerin der Richardstraße, die schon an diversen Veranstaltungen anlässlich des 275-jährigen Bestehens des Böhmischen Dorfes teilgenommen hat. Nun flaniert die 72-Jährige mit einer Freundin, die für ein paar Tage aus Ulm zu Besuch ist, durch die populärwis- senschaftlich aufbereitete Historie ihres Kiezes. Die zahlreichen Interviews mit Menschen, die im oder am Rande des Böhmischen Dorfs leben, findet sie
besonders spannend: „Viele der Leute kenne ich ja gut oder flüchtig, aber bei den Gesprächen geht es normalerweise um Alltäg- liches und nicht, wie hier, konzentriert um ein Thema.“ Insofern erfahre sie nicht nur von kaum Bekannten Neues, sondern auch
von denen, die ihr vertrauter sind.
Cordelia Polinna, die selber Nachfahrin einer böhmischen Einwandererfamilie ist, und ihr Team spiegeln durch die Auswahl der Interviewpartner die gesamte Bandbreite derer wider, die heute in der 275 Jahre alten Ansiedlung wohnen oder arbeiten. Wie hat sich das Leben dort verändert? Herrschen immer noch Strukturen vor, die als dörflich be- zeichnet werden können, oder gibt Urbanität den Ton an? Welche Rolle spielen heute die Kirche, Gasthäuser, Schulen und Läden als Treffpunkte? Auf diese und viele andere Fra- gen gibt die Ausstellung über ihre Protagonisten Antworten. Manche haben sogar die Interviewer überrascht. „Dass sich die Gesprächspartner unserer geplanten Interviews schon länger mit dem Gebiet auseinandergesetzt haben, war natürlich hilfreich“, sagt Cordelia Polinna. „Aber trotzdem haben sie spontan spannende Sachen gesagt.“ Schwieriger sei es verständlicherweise bei Ad hoc-Interviews gewesen, auf Menschen zu treffen, die mit Aussagekräftigem statt relativer Einsilbigkeit reagieren. Dokumentierte Gespräche
mit böhmischen Nachfahren schließen die Klammer von der Vergangenheit in die Gegen- wart eines Dorfs, das von jeher durch Einwan- derer geprägt wurde.
Historische und aktuelle Orte der Migration im Mikrokosmos Böhmisch-Rixdorf von der Gale- rie in den Stadtraum zu übertragen und sie dort zu markieren, das hätte eigentlich ergänzend zur Ausstellung geschehen sollen. Leider sei die Arbeit an diesem Punkt des Rahmen- programms aber aus triftigen persönlichen Gründen zum Erliegen gekommen, bedauert Cordelia Polinna. Doch auch der Weg in die bezirkliche Galerie an der Karl-Marx-Straße lohnt sich allemal für jene, für die das Böhmische Dorf kein böhmisches Dorf mehr sein soll.
Die Ausstellung „Keine Urbanität ohne Dörflichkeit – das Böhmische Dorf als Stadtlabor“ ist nur noch bis zum 23. September in der Galerie im Saalbau zu sehen. Öffnungszeiten: 10 – 20 Uhr
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In Neukölln ist Hopfen und Malz verloren: Das kann bestenfalls nur eine Halbwahrheit sein – wie ein Blick in den Gerlachsheimer Weg zeigt, wo dieses Foto entstand. Was
in Neukölln noch alles verloren ist und sogar für ganz Deutschland auf der Streichliste steht, hat der seit 11 Jahren amtierende Bürgermeister des Bezirks in einem 400 Seiten-Wälzer namens „Neukölln ist überall“ seziert. Der erscheint am kommenden Freitag und wird noch vor der offiziellen Buchpremiere (am 4. Oktober in der Urania) im TV-Talk von Sandra Maischberger vorgestellt. Erst am 8. November präsentiert sich der Autor mit seinem Buch, in dem er – so der Ullstein-Verlag – „Alarm schlägt“ und die „Realität in Berlins Problembezirk Nr. 1“ zu Papier bringt, in Neukölln – aber nicht in dessen Norden, sondern weit im Süden in den Gropius-Passagen. Wer nicht mehr so lange warten will, kann sich schon heute Exklusiv-Auszüge in der neuen BILD-Serie „Die bittere Wahrheit über Multi-Kulti“ zu Gemüte führen.
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Dass man im Rathaus Neukölln überraschende Dinge erfährt, ist nicht selten. Meist sind es Statements von Bezirkspolitikern, die abseits des Offiziellen geäußert werden und deshalb auch privat bleiben statt hier veröffentlicht zu werden. Dass im Neuköllner Rathaus Veranstaltungen stattfinden, die wenig bis gar nichts mit Politik zu tun haben, ist dagegen recht selten. Umso größer ist ihr Überraschungspotenzial. Jüngstes Beispiel: ein Infotag zum Krankheitsbild „Inkontinenz“, das in Deutsch- land weit mehr als 6 Millionen Menschen betrifft und zu den großen Tabu-Themen
gehört – selbst in Pflegeheimen, wo die Quote Blasenschwacher mit rund 80 Pro- zent eher Regel als Ausnahme ist.
In etlichen kirchlichen Heimen seien sogar noch Inkontinenzunterlagen aus Baumwolle im Gebrauch, kritisiert Hans Günter Weiß (r.), dessen Firma Moda Textilagentur eine Inkontinenzunterlage entwickeln ließ, die dünner als ein Bierdeckel ist und eine Flüssigkeitsmenge aufnehmen kann, die fünfmal über ihrem Eigen- gewicht liegt. Dass der Wasser- und Waschmittelverbrauch für die Reinigung des Hightech-Produkts erheblich unter den Mengen für konventionelle Materialien liege, komme hinzu. „Aber viele“, so Weiß, „die als Heim- oder Pflegedienstleiter in der Verantwortung stehen, kümmern sich einfach nicht um eine optimale Versorgung der Patienten.“
Bessere Nachrichten, zumindest hinsichtlich des Themas Inkontinenz, hatte Dr. Reinhold-Alexander Laun (l.) parat, der in seinem Vortrag insbesondere auf die Blasenschwäche bei Frauen einging. Das Gerücht, dass das häufige Tragen von Highheels einen Einfluss auf die Inkontinenz-Quote habe, halte sich zwar hartnäckig, aber wissenschaftlich sei es definitiv nicht belegbar, beruhigte der Chefarzt der Unfallchirurgie und Orthopädie im Vivantes Klinikum Neukölln. Fakt seien dagegen die Auswirkungen halsbrecherischer Absatzhöhen auf die Anatomie.
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So schnell, wie es sich Tanja Rathmann, Markus Haas und Marius Jast im letzten Winter vorge-stellt hatten, ging es dann doch nicht. Genau genommen liegt der Scube Park noch heute 15 Würfel hinter dem seinerzeit vom Gründer-Trio gesteckten Ziel zurück. Andere Ambitionen indes sind erreicht oder auf einen
absehbaren Weg gebracht, und so wurde ges- tern erstmal offiziell der Einstand des Scube Parks in Neukölln gefeiert. Eine große Eröffnungssause, verspricht Tanja Rathmann, werde es im nächs-
ten Früh- ling geben, wenn auf der von den Berliner Bäder-betrieben gepachteten Wiese alles fertig ausgestaltet ist, Wege und kleine Gärten angelegt sind und die Scubes in bunten Farben leuchten.
„Ich hatte mir das ja alles viel größer vor- gestellt und musste Frau Rathmann erstmal fragen, ob das nur der Abstellplatz für die Würfel oder schon der Scube Park ist“, merkte Neuköllns Bezirksbürgermeister an. Doch, ja, er sei tief beeindruckt von den Plänen der drei StartUpper, aber für ältere Menschen wie ihn, so Heinz Buschkowsky, sei ja bereits die „Idee sehr gewöhnungsbedürftig“, neun Quadratmeter kleine Holzhütten mit großer Panoramafenster-Front als Touristenunterkünfte anzubieten. Alles in allem erinnere ihn das doch sehr an lange zurückliegende Camping-Urlaube, findet Buschkowsky, als er sich zu Tanja Rathmann in einen der Mini- Bungalows gesellt. Nur eben mit dem Unterschied, dass das Auf- und Abbauen des Zelts entfalle und man in den Kisten selbst bei stärkstem Regen samt Gepäck im Trockenen sitze. Wenn er da an einen Skandinavien-Urlaub denke …
„Genau das ist es, was unsere Gäste über- zeugt“, sagt Marius Jast. „Wie bei einem Hotel-Urlaub müssen sie keine Bettwäsche und Handtücher mitbringen und kön- nen zur Übernachtung auch Frühstück buchen. Und wie bei einem Camping-Urlaub müssen sie nur die
Tür aufmachen und sind draußen.“
Mit der Belegungs- quote der Scubes sind die drei von Banken und Förderinstituten unterstützten Jung- unternehmer sehr zufrieden, von den Gästeprofilen äußerst überrascht. „Wir haben natürlich auch damit gerechnet, dass unser Angebot vor allem etwas für ein junges, internationales Publikum ist“, gibt Jast zu. Die Erfahrungen, die sie seit der Öffnung vor einem Vierteljahr machen, würden jedoch zeigen, dass sich Leute aller Altersgruppen und neben Touristen aus Deutschland und al- ler Welt auch Ber- liner in den Einzel- bis 4-Bett-Schlafwür- feln einquartieren. Was sie eint, sei, dass es sich meist um Kurzzeitgäste handele, denen es in erster Linie um eine Übernachtungsmöglichkeit gehe.
Dem Wohlfühlfaktor in den beheizbaren Massivholzhütten sind eben schon aus Platzgründen enge Grenzen gesetzt. Während die Unterbringung in einem Single-Würfel noch recht komfortabel anmutet, reduziert sie sich bei einer Vier-Personen-Belegung darauf, dass alle ein Bett und etwas Platz fürs Gepäck haben. Statt eines Schranks gibt es lediglich Kleiderhaken. Wer Privatsphäre will, muss die durch das Zuziehen der bodenlangen Vorhänge vor den Panoramafenstern herstellen. Und der Gang zu Toiletten, Duschen und Wasch- becken führt über das Scube Park-Areal ins Gästehaus, in dem auch ein Aufenthalts- raum sowie eine Küche für Selbstversor-
ger unterge- bracht sind.
„Aber der Scube Park hier in Neukölln am Columbia- damm ist nur der Anfang“, kündigt Marius Jast an. Das Konzept stoße international auf großes Interesse bei potenziellen Franchise-Nehmern. In Liverpool werde derzeit ein Standort für einen Beatles-Scube Park gesucht, in Schwedens Hauptstadt Stock- holm sei bereits einer gefunden worden. Außerdem habe man den Plan, entlang des 337 Kilometer langen Berlin-Usedom-Radfernwegs Partner zu finden, die ihre bereits vorhandene touristische Infra-struktur durch kleine Scube Parks ergänzen wollen. Wenn alle 30 bis 40 Kilometer ein Schlafwürfel-Dorf entstünde und sich alle zentral reservieren ließen, das wäre doch genial für Radfahrer, sind die drei Startupper überzeugt.
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Selbst wenn er sich noch so sehr bemüht, allzu charakteristische Vorboten in ent- legenen Ecken Neuköllns zu verstecken, ist doch deutlich spürbar, dass er im Anmarsch ist: der Nachfolger des Herbstes 2011!
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: alltägliches, ausbildungsrestaurant neukölln, herbst in neukölln, neukölln | Kommentare deaktiviert für Neukölln wird bunt(er)
„Die Anreise mit der BVG hat’s ja echt in sich“, findet Kristin. Wer komme schon auf die Idee, dass er an der Bushaltestelle Dachdeckerweg aussteigen muss, wenn er zur Britzer Mühle will? „Weshalb heißt die Station nicht Britzer Mühle?“, fragt sie sich. Auch Michael Schillhaneck (r.), der 1. Vorsitzende des Britzer Müller Vereins, weiß darauf keine Antwort.
Was er aber weiß, ist, dass es nicht am irreführenden Namen der Haltestelle liegt, dass Kristin (l.) als einzige künftige Aus- zubildende zu dieser Infoveranstaltung für angehende Hobby-Windmüller ge- kommen ist. Es gebe zwei weitere Teil- nehmer für den Kurs, sagt Schillhaneck, doch denen habe der heutige Termin nicht gepasst. Davon, dass weitere Frauen und Männer zum neuen Ausbildungslehrgang stoßen werden, ist er überzeugt. Solche Anlaufschwierigkeiten kämen immer wieder vor: „Die hatten wir auch beim letzten Kurs, und dann waren es 12, die ihn angefangen haben.“ Acht davon, vier Männer und vier Frauen, hätten ihn letztlich erfolg- reich abgeschlossen, Die restlichen vier seien aber nicht etwa bei der Prüfung durchgefallen, sondern haben schon vor- her aus beruflichen oder privaten Gründen aufgehört, betont Schillhaneck, der die Ausbildungen leitet.
Einige Windmüller und eine Windmüllerin, die ihre Zertifikate in der Tasche, die zünf- tig-feierliche Freisprechung hinter sich ha- ben und sich nun um den Betrieb der Mühle kümmern, sitzen um den großen Tisch herum, um Kristin von ihren Beweggründen und dem Vereinsleben zu erzählen. „Bei mir war es die Affinität zur Technik einer Mühle“, sagt Thomas, der als Maschi- nenschlosser arbeitet und nun seit drei Wochen außerdem Windmüller ist. Für Joachim (r.) indes, der dem Verein seit 2003 angehört, standen schon immer das Mahlen und der Spaß am gemeinsamen Machen im Vordergrund. Jürgen (l.), der seine Prüfung 2002 ablegte, erinnert sich, dass er die Mühle jahrelang nur vom Restaurant im ehemaligen Müllerhaus aus gesehen habe, aber nie drin gewesen sei. „In ihr zu arbeiten, bedeutet für mich auch immer, Kindheitserinnerungen aufzufri- schen“, sagt er. Er sei in einem landwirtschaftlichen Umfeld aufgewachsen. Bei Jan (M.), dem gebürtigen Niederländer, ist es ähnlich. Durch einen Zeitungsartikel sei er auf die Möglichkeit aufmerksam geworden, dass man sich in der Britzer Mühle zum Windmüller ausbilden lassen kann. Seit er das ist,
habe er auch schon andere Mühlen im Berliner Umland betreut. Daran, die Müllerei zum Beruf zu machen, denkt Corinna überhaupt nicht, die – wie auch Thomas – am Kurs 14 teilnahm. „Ich arbeite als Erzieherin“, erzählt sie, „und hatte einfach das Bedürfnis nach einem Hobby als Ausgleich, bei dem ich was mit den Händen tun kann.“ Das Müller-Handwerk sei schon insofern naheliegend gewesen, weil sie die Britzer Mühle früher immer von ihrem Kinderzimmerfenster
aus gesehen habe.
Kristins Motivation, die Ausbildung an- zugehen, ist ebenso naheliegend: „Mein Opa war Müller in der vor sechs Jahren abgebrannten Bockwindmühle Luckau. Deshalb beschäftige ich mich schon länger damit, was das für ein Beruf ist.“ Was man tun muss, um ihn zu erlernen, hat die Berlinerin, die im Bezirk Prenzlauer Berg lebt, inzwischen von Michael Schillhaneck erfahren: Zwei Jahre dauert der an die holländische Windmüller-Aus- bildung angelehnte Kursus, der einerseits praktisches Tun und andererseits Theorie beinhaltet und mit einem Prüfungsgespräch sowie einem Praxis-Test endet. Kristin guckt einigermaßen konsterniert auf den dicken Ordner, in dem das erforderliche theoretische Wissen versammelt ist. „Diese vielen Fachbegriffe muss man lernen?“, fragt sie. Das sei halb so wild, versichern alle aus der Windmüller-Runde, weil man sie ständig benutze. Dass man einzelne Bestandteile der Mühle aus Unkenntnis „das Ding“ nenne, lege sich sehr schnell. Kristins Vision „vielleicht mal Opas Mühle zu übernehmen“ rückt wieder in den Bereich des Machbaren.
„Wir gucken uns jetzt erstmal die Mühle an“, schlägt ein Michael vor, der mit Nachnamen nicht Schillhaneck heißt, hauptberuflich als Verwaltungs-beamter tätig ist, über ein ausgepräg- tes Faible für alte Technik verfügt und ebenfalls einen Großvater hatte, der Müller war. Schnell hat er Kristin anhand zweier Modelle die wesent- lichen Unterschiede zwischen einer Bockwind– und einer Holländer-Mühle erklärt: Bei ersterer müsse die gesamte Mühle in den Wind gedreht werden, bei letzterer nur die Kappe.
Bis in die, also unters Dach der Mühle, geht es nun über schmale, steile Holztreppen. „Macht eure Ja- cken zu und achtet darauf, dass ihr Abstand von beweglichen Teilen haltet!“, mahnt Michael. Sonst könne es ruckzuck passieren, dass man von den rotierenden Kammrädern, von Ketten oder Seilen mitgerissen werde und der Nothalt aktiviert werden müsse, der die Flügel und so- mit das dynami- sche Innenle- ben der Mühle zum Stillstand bringt. Michael weiß inzwischen ganz genau, auf welchem Weg man sicher durch die 1865 erbaute Mühle kommt, welche Geräusche sie macht, wo man den Kopf einziehen muss und welche die besonders tückischen Treppenstufen sind. Königswelle, Obenkammrad, Windrose, Jalou-sieklappenflügel, Galerieboden – ganz nebenbei lernt Kristin das Fachvokabular für ihre Windmüller-Ausbildung und auch den aus
Flomen geschnitzten Mühlengeist kennen, der Unheil von der Mühle abwenden soll. Sie erfährt, dass die Mühle für den Betrieb mindestens Windstärke 4 braucht, dass jährlich etwa 5 Tonnen Getreide gemahlen werden und Brote und Mehl freitags sowie an Wochenenden und Feiertagen von den Müllern des Britzer Müller
Vereins im Container neben der Mühle verkauft werden. „Das ist ja wirklich eine komplett andere Welt hier“, findet sie fasziniert. „Es ist eine optimale Mischung aus kon- templativ und körperlicher Betätigung“, beschreibt Michael Schillhaneck das Wind- müller-Dasein.
„Jetzt gehen wir noch raus auf die Galerie“, kündigt sein Namensvetter das nahende Ende der Mühlenführung an. „Weshalb gibt es zwei gegenüberliegende Türen, die hinaus führen?“, testet er die Kollegin in spe. Richtig, bestätigt er, wegen der Flügel. Gäbe es nur eine und die würden aufgrund der Windrichtung genau vor der Tür kreisen, hätte der Müller keine Chance, auf die Galerie zu kommen, ohne von einem der 12 Meter langen Flügel erwischt zu werden. Das leuchtet auch allen ein, die nicht mit „Glück zu!“ grüßen.
Wer sich für die Ausbildung zum diplomierten Hobby-Windmüller interessiert, melde sich telefo- nisch (030 – 722 41 32) oder per E-Mail (info[at]britzer-muellerverein.de) beim Britzer Müller Verein. Der Kursus beginnt am 22. September um 10 Uhr mit der ersten Praxis-Einheit.
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Erregte Diskussion zwischen zwei Männern im besten Rentenalter auf der Karl-Marx-Straße. In Höhe der Magdalenenkirche stehen sie, wedeln mit den Armen und zeigen abwechselnd mal in nordwest- liche und mal in östliche Rich- tung.
Ein paar Schritte entfernt zwei junge Leute, offensichtlich Tou- risten, die spanisch miteinander sprechen während sie etwas in ein Smartphone tippen, und dann entschlossen Kurs auf den S-Bahn-Ring nehmen.
Dass der Anlass für ihren Dis- put weg ist, merken die beiden Männer erst, als die Touris schon außer Sichtweite sind. Er wolle, sagt der, der die Ortsunkundigen in Richtung Rollbergkiez geschickt hätte, einen Besen fressen, wenn sie dort nicht auf die Brusendorfer Straße gestoßen wären. Er lebe zwar erst seit 25 Jahren in Neukölln, entgegnet der andere, habe das aber einige Jahre an der Ecke Briese-/Bornsdorfer Straße getan. Der bisher phonmäßig Überlegene wird plötzlich ganz leise: „Da hab ich doch glatt die Brusendorfer- mit der Bornsdorfer Straße verwechselt. Ersparen Sie mir das mit dem Besen und gehen mit mir ’ne Molle zischen? Ich lad Sie ein.“
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: bornsdorfer straße, brusendorfer straße, ein herz für touris, karl-marx-straße, magdalenenkirche, neukölln | 1 Comment »