Wird in Neukölln über das Thema Integration gesprochen, ist Heinz Buschkowsky normalerweise nicht weit. Das war vorgestern Abend im BVV-Saal des Rathauses auch so. Doch statt des Platzes am Rednerpult hatte der Bezirksbürger- meister einen als Zuhörer in der ersten Reihe, das Wort hatte eine Andere: Prof. Dr. Gesine Schwan. Sie war als Referentin der 13. Auflage der Veranstal-tungsreihe „STADT UND LAND im gesellschaftli- chen Dialog“ eingeladen worden, ihre Überlegungen zur Frage „Was ist Inte- gration?“ vorzutragen. Das große Interesse der städtischen Wohnungsbauten-Gesellschaft an der Antwort liegt auf der Hand: „Ein Viertel unseres Immo- bilienbestands befindet sich in Neukölln, wo Menschen aus etwa 160 Her- kunftsländern leben“, betonte Geschäftsführer Ingo Malter (r.), bevor er an die renommierte Politikwissenschaftlerin übergab.
Eine endgültige Antwort sei von ihr nicht zu erwarten, stellte Gesine Schwan gleich zu Beginn klar, denn die habe sie auch nicht. Wichtig sei, sich zunächst mal mit den Prämissen zu beschäftigen, die zu Integration führen sollen. Im gegenwärtigen Alltagsszenario sähen die so aus, dass man von einer deutschen Mehrheits- gesellschaft und Zuwanderern ausgehe, die durch ihre andere Kultur, Sprache und Religion Probleme bereiten. „Als gelungene Integration“, kritisiert Schwan, „wird in diesem Alltagsszenario die Einordnung von Individuen in die vorgefundene Gesellschaft bezeichnet.“ Erwartet werde von den Migranten, dass sie viel von der Kultur der Mehrheitsgesellschaft anneh- men und im Gegenzug viel von ihrer mitgebrachten Kultur ablegen.
Auf gänzlich anderen Prämissen fußt das eigene Integrations-Szenario der 69-Jäh-rigen, das sich gar nicht erst der Illusion einer einheitlichen Mehrheitsgesellschaft hingibt, sondern anerkennt: Zuwanderer finden in Deutschland eine pluralistische Gesellschaft vor, die Vielfalt in allen Le- bensbereichen bietet und sich durch verschiedenste Faktoren ständig verändert. „Integration verlangt nach der politischen Teilhabe demokratischer Bürger und ist ein dauernder Prozess“, ist Gesine Schwan überzeugt. Deutsch als gemeinsame Sprache reiche nicht aus: „Was verstehen denn der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmens und ein Hartz4-Empfänger voneinander, selbst wenn beide Deutsch sprechen?“ Der beidseitige Wille zur Verständigung in Freiheit und Toleranz müsse vorhanden sein und Integration als symmetrische Aufgabe be- griffen werden, die schon in der Schule zu beginnen habe. „Deshalb ist eine radikale Wende im Bildungssystem nötig!“, fordert die Mit- gründerin und amtierende Präsidentin der Hum- boldt-Viadrina School of Governance. Dass Kinder aus Zuwandererfamilien Deutsch lernen, reiche einfach nicht, parallel müsse ihnen zur Wahrung der eigenen Identität die Möglichkeit eingeräumt werden, auch ihre Herkunftssprache zu lernen und zu pflegen. Nur mit einem Konzept, das reali- tätstüchtig und einer freiheitlichen Demokratie angemessen ist, könne gelingen, was Ziel sein sollte: Dass Integration die Fenster zu einem hellen weltoffenen Deutschland in einem hellen weltoffe- nen Europa weit aufmacht.
„Welche Empfehlung würden Sie uns aber für unser tägliches Tun geben?“, erkundigte sich Ingo Malter, als der Applaus des Publikums im Saal verklungen war, um die Fragerunde mit Gesine Schwan zu eröffnen. Ein respektvoller Umgang miteinander sei das Wichtigste, entgegnete die: „Der Andere sollte als Partner gesehen werden, dem man auf Augenhöhe begegnet.“ Betütteln sei jedenfalls kein guter Zugang und Asymmetrie eine Weichenstellung, die alles andere torpediert.
Nach einer guten Viertelstunde sind diverse Fragen aus dem Publikum beantwortet. Um das Zusammenspiel von Integrationsdiskussion und Euro(pa)-Krise ging es, um das Betreuungsgeld, das Schwan für „völlig disfunktional“ hält, und die Frauenquote, die inzwischen von ihr begrüßt wird. „Ist es nicht verrückt, dass wir jetzt plötzlich bei der Familienpolitik gelandet sind?“, fragt die zweimalige Kandidatin für das Bundespräsidentenamt. „Aber das ist mir sehr lieb, weil Integration eben viele Bereiche betrifft.“ Ihr Vortrag habe Mut gemacht, resümiert Ingo Malter, ebenso allerdings auch unterstrichen, dass komplexen Fragen nicht unbedingt mit einfachen Antworten beizukommen sei.
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