Ballast abwerfen

antiquariat buchexil-neuköllnUlrike Tschackert hat in den letzten Tagen fleißig Zettel geklebt. Überall im Schillerkiez zwischen Hermannstraße und Tempelhofer Feld ist nun zu lesen: Nachmieter gesucht! 75 qm Gewerbe- räume, Allerstraße 43 (Buchexil) zum 1.8.2012  Auch die Möglichkeit, über virtuelle soziale Netzwerke Interessen- ten zu finden, wurde nicht antiquariat buchexil-neuköllnausgelassen. Dass sich die Nachmieter- Frage derma- ßen kurzfristig klärt, ist trotzdem unwahrscheinlich. „Aber je früher jemand kommt, der den Laden haben will, desto besser“, findet die Buchexil-Chefin. Die Last, den Vertrag bis zum Ende der regulären Laufzeit am Jahresende zu erfüllen, wäre sie gerne los.

Am 1. Juli 2007 eröffnete Ulrike Tschackert die antiquarische Buchhandlung, die von Anfang an auf zwei Standbeine setzte: den Online-Verkauf und die Laufkundschaft. antiquariat buchexil-neuköllnWer nun aber denkt, dass letztere Klientel durch die stetigen Verände- rungen im Kiez und den vermehrten Zuzug bildungsnaher junger Leute einen kometenhaften Aufstieg hin- legte, hat sich getäuscht. „Von denen profitieren zwar die Gastronomen, doch Bücher bestellen sie übers Internet oder sind gleich ganz auf Kindle umgestiegen.“ Das führe nicht selten zu der absurden Situation, erzählt die Buchhändlerin, dass Paketdienste Büchersendungen des führenden Internet-Versandhauses zur Weitergabe an nicht angetroffene Nachbarn bei ihr im Laden abliefern: „So schofelig, die Annahme der Päckchen zu verweigern, will ich aber nicht sein.“ So weit, im Sinne der Kundenbindung auch noch Bestellungen für antiquariat buchexil-neuköllnden Platzhirsch anzunehmen, wird sie allerdings nicht gehen, da dessen Geschäftsmodell keine Buchhändler-Rabatte vorsieht und folglich zum Null-Tarif gearbeitet werden müsste.

Doch es gibt weitere Gründe als die zuneh- mende Internet-Affinität für den Rückgang der Laufkundschaft: Termine bei Physiotherapeuten und Ärzten als Folge  gesundheitlicher Proble- me  machten es für Ulrike Tschackert immer komplizierter, die Öffnungszeiten des Buchexils einzuhalten. „Dazu kommt, dass ich es körper- lich einfach nicht mehr schaffe, schwere Bücher- kisten anzuheben oder zu schleppen.“ In erster Linie das habe zu der Entscheidung geführt, den Laden aufgeben zu wollen. Die Erfahrung, mit überzogenen Mieterhöhungen konfron- tiert zu sein, die schon viele Gewerbetreibende in Neukölln machen mussten, blieb antiquariat buchexil-neuköllnihr – trotz des inzwischen zweiten Haus- eigentümerwechsels – erspart. Die Miete, sagt Ulrike Tschackert, sei sehr fair, anders könne man das nicht nennen.

Was diese Aussage unterstreicht, ist, dass die Unternehmerin dem Haus in der Allerstraße treu bleibt und im Hinterhaus einen Lagerraum für den weit im fünf- stelligen Bereich liegenden Buchbestand angemietet hat. „Das Buchexil-Neukölln  gibt es ja weiterhin“, kündigt sie an, „nur eben den Laden nicht mehr.“ Künftig werde also alles über das bereits etablierte Online-Segment laufen. „Und das wird auch weiterhin gut laufen“, ist Ulrike Tschackert überzeugt und klingt dabei eher erleichtert als zweckoptimistisch.

Überall im Laden stapeln sich leere Bananenkisten, die darauf warten, mit Büchern bepackt und über den Hof getragen zu werden: „Wenn ein Nachmieter da ist, haben wir hier ganz schnell ausgeräumt.“ Außer dem würden aber auch noch Leute gesucht, die Bananenkisten abzugeben haben.

=ensa=

Und abends mit Beleuchtung

Bis in den Bezirk Mitte strahlen die Feierlichkeiten um das 275-jährige Bestehen des Böhmischen Dorfs in Neukölln: Auf dem  Bethlehemkirchplatz  wurde am 26. Juni die

"wandering church"-installation, bethlehemkirchplatz berlin-mitte, foto: reinhold steinle "wandering church"-installation, bethlehemkirchplatz berlin-mitte, foto: reinhold steinle

„Wandering Church“-Installation von Juan Garaizabal eingeweiht, die an die Bethlehemskirche erinnern soll. Diese wurde 1943, im 2. Weltkrieg, stark beschädigt und 20 Jahre später abgerissen.

=Reinhold Steinle=

Neue Kapitel für das Geschichtsbuch von Neukölln

Es wird Zeit, fand Bernd Kessinger, dass weiter an der Neuköllner Bezirksgeschichte geschrieben wird. Schließlich war die letzte historische Abhandlung schon vor über einem halben Jahrhundert veröffentlicht worden. Also setzte er sich hin und recherchierte und schrieb: Im letzten Herbst fing er an, ein Frühjahr später war das Werk fertig, das kürzlich mit bernd kessinger, autor "neukölln - die geschichte eines berliner stadtbezirks", die buchkönigin neuköllndem Titel „Neukölln – die Geschichte eines Ber- liner Stadtbezirks“  erschienen ist. Es sei ein Buch geworden, sagt Kessinger, das alteingesessene wie neue Neuköll- ner unterhaltsam  informiert.

Er selber liegt irgendwo dazwischen: „2009 bin ich nach Neukölln gezogen, in die Darkzone der Weserstraße, also in den Bereich um die Weichselstraße, wo es auch heute noch nicht so richtig hip ist.“ Aber die  Veränderung fresse sich langsam durch die ganze Straße. Bernd Kessinger lebt auch heute noch in ihr, nun jedoch in dem Teil, wo die Aufwertung unübersehbar ist.

„Die Geschichte von Neukölln“, so sein Fazit, „war schon immer eine  Geschichte von sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung.“ Inzwischen sei der Bezirk – wenn er nicht gerade das Klischee des Szene-Kiezes bedient – zur  medialen Metapher für alle gesellschaftlichen Probleme  verkommen. In der Entwicklungsgeschichte des Bezirks nach den Ursachen für die Probleme zu schauen, war die Triebfeder für den Historiker und Kulturwissenschaftler: „Dabei stellt man schnell fest, dass zum Beispiel der Umgang mit dem Thema Migration in Neukölln schon immer integrative Ansätze vermissen ließ.“ Das ziehe sich von den  Einwanderern aus Böhmen anno 1737  über die Arbeitsmigranten der 1970er-Jahre bis in die relative Gegenwart wie "neukölln - die geschichte eines berliner stadtbezirks, vergangenheitsverlag, bernd kessingerein roter Faden durch die Bezirksgeschichte. In Bezug auf die  Ursachenbekämpfung  sehe man auf politischer Ebene jedoch erst seit einigen Jahren, ausgelöst durch die Rütli-Welle, Hand- lungsbedarf. „Noch 1997“, erinnert Bernd Kessin- ger, „hielt Buschkowskys Vorgänger Bodo Mane- gold es für völlig unnötig, eine Stelle für einen Migrationsbeauftragten einzurichten.“ Die gebe es erst seit 10 Jahren. Was es dagegen immer noch gibt, sei eine von kleinen Wohnungen geprägte bauliche Substanz, die der sozialen Ausgrenzung und ihren Folgeerscheinungen zuarbeite.

In seinem Buch, das im Jahr 1360 einsetzt und mit starkem Fokus auf die Politik von den Entwick- lungen und Brüchen Neuköllns bis in die Jetzt-Zeit erzählt, geht es dem Autor nicht ums Kritisieren, sondern um  „lesbaren historischen Stoff mit wissenschaftlichem Anspruch“. Das Interesse seitens des Vergangenheitsverlags, den Bernd Kessinger erst kontaktierte als das Manuskript bereits fertig war, sei gleich groß gewesen. „Groß war aber auch mein Ärger, als ich erfuhr, dass das Bezirksamt Neukölln dazu bewegt wurde, sich mit einem Druckkostenzuschuss zu beteiligen“, sagt er. Das Ergebnis seines Debüts als Buchautor sei  völlig unabhängig und keinesfalls – wie viele Neu- kölln-Publikationen zuvor – als Auftragsarbeit fürs Rathaus entstanden. Sich dafür nun erklären zu müssen, missfällt ihm spürbar. Was hingegen aufmerksamen Lesern nur unlieb sein kann, ist die nicht eben sorgfältige Arbeit des Korrektors, der über diverse Patzer großzügig hinwegsah. „Ich hab auch schon einige Fehler entdeckt“, räumt Bernd Kessinger ein.

Er ist längst wieder mit neuen historischen Neukölln-Themen beschäftigt. „Momentan“, verrät er, „schreibe ich für das Museum Neukölln etwas über die Hufeisensiedlung.“ Was ihn außerdem sehr reizen würde, wären Recherchen und ein Buch über das Rollbergviertel in der Zeit zwischen 1945 und der Kahlschlag- sanierung, die 1966 begann. „Darüber gibt es bisher überhaupt keine umfassenden Publikationen“, hat Bernd Kessinger herausgefunden. Belletristisches solle man von ihm jedenfalls nicht erwarten, dafür sei er zu sehr Historiker.

Bernd Kessingers lesenswertes 194-seitiges Taschenbuch „Neukölln – die Geschichte eines Berliner Stadtbezirks“  ist zum Preis von 14,90 Euro direkt beim Verlag sowie im Buchhandel erhältlich.

=ensa=

Mr. Bean in London, Bohnen in Neukölln

Noch mehr sportliche Möglichkeiten als sonst bieten sich in den nächsten beiden Wochen auf dem Tempelhofer Feld. Täglich von 10 bis mindestens 22 Uhr können am Eingang Tempelhofer Damm  alle olympischen Wettkämpfe auf einer 100 Qua- dratmeter großen Videowand  verfolgt werden. Zusätzlich lassen sich auf der Event- fläche verschiedenste Sportarten kostenlos ausprobieren.

Schon knapp zwei Wochen bevor das olympische Feuer überhaupt London erreichte, begann am östlichen Rand des Tempelhofer Felds eine Olympiade der besonderen Art: Nicht  Menschen oder Menschen und Tiere treten hier gegeneinander  an, sondern  Pflanzen – genau  genommen:  Bohnen. In  einem  spannenden  Dreikampf

bohnen-olympiade, hüttendorf gecekondu, tempelhofer feld neukölln

mit den  Disziplinen Keimen, Wachsen und Klettern  wird im Hüttendorf Gecekondu der Sieger der  1. Bohnen-Olympiade  ermittelt. Etwas Geduld sollten Zuschauer allerdings schon mitbringen.

Schwarz-weiß-Malerei

fassaden-bemalung berthelsdorfer straße neukölln, streetart

… in der Berthelsdorfer Straße in Neukölln.

Vom Bett ins Bad

columbiabad sommerbad neukölln„Is‘ noch nich achte?“, fragt die Frau überrascht, als sie die Wartenden vor dem Eingang zum Som- merbad Neukölln sieht. Drei harren dort bereits seit viertel vor 8 aus; bis es endlich 8 ist, ist die Gruppe auf die Stärke einer Fußballmannschaft ange- wachsen. Die Frühschwimmer seien eine extrem verlässliche Spezies, weiß Matthias Oloew, Presse- sprecher der Berliner Bäderbetriebe. „Manche wür- den wohl auch dann noch kommen“, vermutet er, „wenn’s im Sommer frieren und Eisschollen auf dem Wasser treiben würden.“

An die 100 Leute sind es regelmäßig, die  werktags zwischen 8 und 9.15 Uhr im Freibad am Colum- biadamm den Frühtarif für 2 Euro lösen und das Bad columbiabad sommerbad neukölln, mehrzweckbecken, sportbecken, sprungturmspätestens um 10 Uhr wieder ver- lassen.

Sie würde es dreimal pro Woche tun, sagt eine Frau, die am Neuköllner Maybachufer wohnt und in Steglitz arbeitet: „Dass das Columbiabad quasi auf dem Weg liegt, macht es leicht, den inneren Schweinehund zu überlisten.“ Bei schönem Wetter sei der sehr kooperativ, bei grauem Himmel und wenig sommerlichen Temperaturen allerdings ein ziemliches Biest. „Da gab’s also etliche Kämpfe in letzter Zeit“, gesteht die Mittvierzigerin, „aber die meisten hab ich gewonnen.“ Es würde ihr einfach gut tun, sich morgens vor der Arbeit zu bewegen, und joggen sei nicht ihr Ding. Herrlich sei es dagegen, im gemächlichen columbiabad sommerbad neukölln, schwimmmeisterTempo durchs Wasser zu gleiten und dabei über alles mögliche nachzudenken. Um das exakte Gegenteil geht es einem passionierten Früh- schwimmer aus Tempelhof. Er will sein Pensum möglichst schnell hinter sich bringen und beim Kraulen möglichst an nichts denken. Je menschen- columbiabad sommerbad neuköllnleerer die rund 3,5 Millionen Liter Was- ser im 50 Meter-Becken sind, desto lieber ist es ihm. Auf die Idee, das Colum- biabad tagsüber zu besuchen, sagt er, käme er nie: „Schon weil ab mittags im Sportbecken der Bereich vor dem Sprungturm abgesperrt ist und man deshalb keine 50 Meter-Bahn mehr hat.“

Der Sprungturm mit seinen Plateaus in 3, 5 und 10 Metern Höhe ist neben der 83 Me- ter langen Wasserrutsche eine der Attraktionen für viele, denen es weniger ums columbiabad sommerbad neukölln, wasserrutscheSchwimmen geht. „Da steht die Performance im Vordergrund„, sagt Matthias Oloew. Einer der Schwimm- meister bestätigt es: Es seien in der Tat immer die dieselben, die mit Sprüngen ins 5,25 tiefe Wasser vor ihren Kumpels oder Mädchen „einen auf dicke Hose“ machen wollen. Für Imponiergehabe taugt die Rutsche am Nichtschwimmerbereich des columbiabad sommerbad neuköllnMehrzweckbeckens eher wenig. Sie bedeutet statt- dessen Spaß für Klein und Groß und ist auch für manchen Frühschwimmer der krönende Schlusspunkt hinter dem morgendlichen Sportprogramm.

Dafür, dass im 1952 eröffneten und in den 1980er-Jahren modernisierten Columbiabad, das  an Spitzentagen bis zu 8.000 Besucher hat, so wenig wie möglich passiert, sorgen drei bis acht Schwimmmeister. Weil sie ihre Pappenheimer kennen, laufe vieles über das  frühzeitige Erkennen möglicher columbiabad sommerbad neuköllnGefahrensituationen und die Präven- tion. „Ins Wasser musste ich jeden- falls noch nie“, bilanziert einer. Wes- penstiche behandeln, aufgeschlage- ne Knie verarzten und Pflaster kleben, würden neben der Wachsamkeit den Berufsalltag eines Fachangestellten für Bäderbetriebe ausmachen. Unter- stützt werden sie von zahlenmäßig flexibel einsetzbaren Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes, die die Aufsicht für den weiträumigen Bereich der Liegewiesen übernehmen. Dass es auf denen nach heißen Tagen laut Oloew  „wie auf einem Schlachtfeld“  aussieht, können sie nicht verhindern. Dass Badegäste es nicht für nötig halten, ihren Müll in einen nur wenige Schritte entfernten Mülleimer zu werfen, sei allerdings kein Neuköllner Phänomen. Am Bewusstsein, dass ein solches Fehlverhalten zu Lasten der Betriebskosten gehe, mangele es überall. Und ebenfalls daran, dass  jede Eintrittskarte für ein Freibad  von den Steuerzahlern mit columbiabad sommerbad neukölln, kinderbecken, planschbecken9 Euro bezuschusst  werden muss, um das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen zu können.

Würde das Bad schon ab Anfang Mai und bis Ende September geöffnet sein, was angesichts von Wetter- kapriolen immer wieder gefordert wird, lägen die Betriebskosten noch höher. Allein wegen der Heizung, die das Wasser in den Becken auf angenehme Temperaturen bringt. „Aber nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wäre es  schwachsinnig, früher als Ende Mai zu öffnen“, rechnet Matthias Oloew vor, „denn in der Jahreszeit würde eine einen Monat frühere Öffnung einen um 4 Tonnen erhöhten CO2-Ausstoß bedeuten.“ Die Ambitionen der Berliner Bäderbetriebe (BBB) gehen jedoch eher in die Gegen- richtung: „Unser erklärtes  Ziel ist eine klimaneutrale Beheizung.“ Fragen ranken sich allerdings noch um das Wie. So komme beispielsweise Solarenergie ob fehlender Dachflächen nicht infrage. Die Möglichkeit, einfach die Heizung abzuschalten, columbiabad sommerbad neukölln, sportbecken, sprungturmscheidet ebenfalls aus. „10 bis 18 Grad“, schätzt der BBB- Pressesprecher, „wärmer würde das Wasser nur durch Sonnen- einstrahlung nicht werden“. Das wäre wohl selbst Hartgesot- tenen zu erfrischend.

Wegen der Wassertemperatur von molligen 26 Grad gehe sie viel lieber morgens zum Schwimmen ins Stadtbad, ge- steht eine Neuköllnerin: „Aber das macht ja jetzt leider  Sommerpause, obwohl wir doch bisher gar keinen Sommer hatten.“ Deshalb sei sie auch erst zum zweiten oder dritten Mal in dieser Saison hier. Eine Frau aus Schöneberg, die sich selber als „fanatisch begeisterte Schnellschwimmerin“ bezeichnet, setzt da andere Prioritäten: Sie steuert immer andere Bäder mit 50 Meter-Bahnen an. Natürlich gehe es ihr vor allem ums Schwimmen, aber sie habe auch Spaß daran, die  von Bad zu Bad unterschiedliche Badekultur  zu erleben. Das Wetter ist ihr dabei ziemlich egal. „In Freibädern schwimme ich auch sehr gerne, wenn es regnet“, sagt sie. „Dann  ist das Wasser so wunderbar seidenweich.“

Zum Bedauern der Schwimmmeister des Columbiabads gibt es nur wenige Leute mit dieser Vorliebe – gäbe es mehr davon, hätten sie sich in den letzten Wochen weniger gelangweilt. Und jetzt, wo endlich Sommer herrscht, ist Ramadan. Das werde sich durchaus bei den Besucherzahlen bemerkbar machen, meint auch Matthias Oloew. Wer tagsüber nichts essen und trinken darf, halte sich eben auch mit sportlicher Betätigung zurück.

=ensa=

Spielerische Feldversuche

straßentheater kollektiv bantu 4, sartre vs. straße, tempelhofer feld, neuköllnAn Wochenenden mit schönem Wetter gehe es gar nicht, dann sei es schlichtweg zu voll. Aber sonst sei der Ort perfekt für ihre Zwecke: Eine große Bühne ist vorhanden und am Mobilen Bienenmuseum, das noch bis zum 5. August zu Gast beim Allmende-Kontor ist, gibt es sogar eine Sitzgruppe mit Tisch. „Das ist jetzt unser Büro“, sagen die vier Akteure des Straßentheaters Kollektiv Bantu 4.

Die Proben für ihr Stück „Sar- tre vs. Straße“ laufen auf  Hoch-

straßentheater kollektiv bantu 4, sartre vs. straße, tempelhofer feld, neukölln

touren, denn in genau einem Monat beim Friedrichshainer Suppenfestival  „Suppe & Mucke“  ist Premiere.

Klein, aber oho

sasarsteig neuköllnNeulich im Sasarsteig, dem Ver- bindungsweg zwischen Mainzer Straße und Reuterstraße: Zwei Mädchen im Grundschulalter, die an einem der Laternenpfähle Gummitwist spielen, ein Mann im Rentenalter und ein Hund an einer Roll-Leine, der sich schnüf- felnd durchs Gras neben dem Gehweg bewegt. In Höhe der beiden Mädchen hat der Vier- beiner endlich gefunden, was er offenbar suchte: einen geeigneten Platz fürs große Geschäft. Sein Herrchen lässt ihn gewähren, zieht wenig später mit der Auf- forderung „Los, komm!“ an der Leine und geht weiter.

„Wollen Sie die Hundescheiße da jetzt etwa liegen lassen?“, ruft eines der Mädchen ihm mit wütender Stimme hinterher. Der Mann dreht sich zu ihr um: „Warum nich?“ Sie zeigt auf das sehr dezente Schild, das in äußerst luftiger Höhe am Laternenpfahl hängt. „Seit wann ist das denn da? Hab ick ja noch nie jesehn!“, behauptet der Hundehalter. „Ich bin viel kleiner als Sie und seh’s auch“, entgegnet das Mädchen aufgeregt, „und außerdem wär’s auch ohne Schild verboten.“ Sie solle ihn doch mit ihrer Klugscheißerei in Ruhe lassen, ist alles, was ihm dazu im Weitergehen einfällt.

Abgetaucht

wasserrutsche sommerbad neukölln, columbiabad

(im Sommerbad Neukölln)

Spurensuche auf dem Tempelhofer Feld

Wer das Tempelhofer Feld besucht, wird in der Nähe des Eingangs Columbiadamm neue Aktivitäten bemerken, bei deren Auftakt sogar schwere Baumaschinen zum archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlinEinsatz kamen. Was geschieht dort? An den Bauzäunen vor Ort wie auch auf der Homepage der Tempelhofer Freiheit erfährt man: Archäologische Ausgrabungen gestartet. Wer dazu von kompetenter Seite mehr erfahren will, finde sich freitags um 13 Uhr am Infopunkt Columbiadamm zu einer Gra- bungsführung ein. Ich habe es vorgestern, also am Tag mit dem geschichts- trächtigen Datum 20. Juli, gemacht. Die junge Frau, die sich zwischen Schokoriegeln und Eis am Stiel in der roten Info-Tonne aufhielt, wusste zwar nichts von den Führungen, aber da der Ort des Geschehens in Sichtweite liegt, war Prof. Dr. archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, prof. dr. reinhard bernbeckReinhard Bernbeck schnell gefunden.

Dass der Archäologe von der FU Berlin ein Sweatshirt mit dem Schriftzug „Columbia“  trug, war vielleicht gewollt. Gleichermaßen anschaulich wie sehr sensibel in seiner Wortwahl erläuterte er das Vorhaben dieser sogenannten Rettungsgrabung, die sich im nördli- chen Bereich des „Lilienthal-Lagers“ befindet. Zu (lageplan) archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofverdanken seien die Grabungen zum jet- zigen Zeitpunkt der Absicht, die IGA 2017 aufs Tempelhofer Feld zu holen. Dass daraus nun nichts wird, schmälere die Aktivitäten der Archäo- logen nicht. „Lediglich der Zeitdruck entfällt“, sagt Bernbeck.

Was soll denn nun aber „gerettet“ werden? Oder: Was ist überhaupt von archäologischem Inte- resse? Das sind in erster Linie Zeugnisse aus Zeiten, in denen sich an diesem Platze die Zwangsarbeiterlager der Lufthansa und der „Weser“ Flugzeugbau GmbH befanden. Letztere stellte hier von 1941 bis 1944 fast 2.000 JU87-Sturzkampfbomber her. Die jetzt dort tätigen Grabungsarbeiter, -techniker und Studenten stoßen aber auch auf Spuren ehemaliger Grabstellen, denn hier (lageplan) archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofbefand sich seit 1929 die erweiterte Fläche des Garnisonsfriedhofs – einem Friedhof, dessen Planungen ge- schweige denn die Ausführungen dazu jemals abgeschlossen worden sind. Auf dem Bild, das den Zustand vor dem Um- bau 1929 zeigt, ist die Friedhofserweite- rung eingezeichnet. Bereits acht Jahre später wurde die Fläche auf die heutigen Abmessungen reduziert und es wurden die notwendigen Umbettungen vorgenommen. archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlinNatürlich ging Prof. Bernbeck auch auf die Zeit des alten Flughafens – oder wie er sagte: des „Alten Hafens“ – ein. Entsprechendes Bildmaterial hatte er dazu bei der Hand.

Wie geht nun eine solche Grabung vonstatten? Nachdem die sogenannte Pflugschicht abgetragen ist, d. h. die Ausgrabungsfläche archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofmit Radladern vom Oberboden befreit wurde, beginnt die eigentliche Arbeit der Fachleute. Nun wird mit Spachtel und Pinsel gearbeitet  und  jeder Befund archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhof(hier ein Barackenfun- damentstreifen) und je- des noch so kleine archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofFundstück dokumen- tiert. Die Fundstellen werden nummeriert und der Fundort gekennzeichnet  und anschließend fotografiert, in Aufsicht gezeichnet und eingemessen. archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofDaraus entstehen spä- ter die Grabungs- und Detailpläne. Vor allem bei unbeständigem Wetter müssen die Arbeiten recht zügig gehen, wie die Forscher bereits mehrfach erfahren mussten, denn Regengüsse vernichten gerade sichtbar gewordene Farbunterschiede im archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofErdreich sofort wieder.

Die  Fundstücke sind auf den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär. Damit, auf das Tage- buch eines Zwangsarbeiters zu stoßen, rechnet hier niemand. Doch auch Kleinigkeiten wie der Bügelverschluss einer Bierflasche oder die Scherben eines Porzellangeschirrs, eines Kachelofens oder einer Industriekeramik geben den Archäologen wichtige Anhaltspunkte: Danach beginnt die zeitliche Zuordnung und z. B. die Recherche, welche Brauerei den Verschluss wann verwendet archäologische ausgrabungen tempelhofer feld berlin, zwangsarbeiterlager, garnisonsfriedhofhat. „Ein verbogener, rostiger Nagel kann bespielsweise sehr gut Auf- schluss über die Dicke einer Bret- terwand geben“, erklärt Reinhard Bernbeck. Einige seiner Schätze hat er mitgebracht und zeigt sie. Dann ist die Expedition ins dunkle Kapitel der Geschichte des Tempelhofer Feldes für uns vorbei, für die Wissenschaftler geht sie weiter.

=kiezkieker=

Gnadenloser Gegner Waage

Selbstvertrauen ist eine Sache, Selbstbewusstsein – wenn man den Begriff wörtlich nimmt – eine andere. Das musste jedenfalls gestern Nachmittag Artur Hermann ibo champions night im huxley's, offizielles wiegen in den neukölln arcadenerfahren. An ersterem mangelte es dem 23-Jährigen nicht.  „Der Typ kann sich auf was gefasst machen“, kündigte er an, als in den Neukölln Arcaden einige der Boxer vorgestellt wurden, die heute Abend bei der IBO Champions Night im Huxleys Neue Welt  in den Ring steigen wollen.

Insgesamt 13 Kämpfe mit Boxern aus 10 Ländern stehen auf dem Pro- gramm. Der von Artur Hermann ge- ibo champions night im huxley's, offizielles wiegen in den neukölln arcadenhört  zu den Hauptkämpfen. Dabei geht es für den seit sieben Faustduellen ungeschlagenen Neuköllner um nichts Geringeres als den ersten Titel als Profiboxer und den Gürtel für die IBO-Junioren-Weltmeisterschaft  ibo champions night im huxley's, artur hermann, offizielles wiegen in den neukölln arcadenim Mittelgewicht.

Doch gestern hieß es erstmal für Artur Hermann sowie die anderen Faustkämpfer: Ab zur Passkontrolle, zur Unterschrift, dass die Boxerei auf eigene Gefahr geschieht und dann ibo champions night im huxley's, jennifer retzke, offizielles wiegen in den neukölln arcadenauf die Waage – offiziell und öffent- lich! Die schon mit einem IBF-Weltmeis- ter-Titel dekorierte Jennifer Retzke, die heute im einzigen Frauenkampf auf Marie Riederer trifft, schlug sich dabei bravourös. Nach ihr präsentierten weitere ibo champions night im huxley's, offizielles wiegen in den neukölln arcadenBoxer die Ergebnisse ihrer ambitionierten Vorbereitung. Dann kam Artur Hermann, zeigte dem Publikum seine Bizeps nebst einem siegessicheren Grinsen und stieg auf die Waage, um die der  Kreis der Offiziellen immer enger und ihre Blicke immer ernster  wurden. Mittelgewicht, das bedeute ein Körpergewicht von maximal  72,5 Kilogramm, teilte der Sprecher mit, bevor er dem sichtlich überraschten Boxer dessen aktuelles Gewicht mitteilte und verkündete: „Du hast jetzt  zwei Stunden Zeit, um  800 Gramm  runter zu kriegen, Artur. Dann wird wieder gewogen!“ Mental sichtlich angeschlagen verließ der Neuköllner das Scheinwerferlicht des Shopping Centers. Ziel: die nächste Sauna!

=ensa=

Endspurt

Nur noch drei Tage, dann ist es vorbei mit der  Ausstellung „Das Leben ist anders- wo“  in der Galerie im Körnerpark in Neukölln. Die bezieht sich auf das Projekt „Glaubensfreiheit heute“  anlässlich des 275-jährigen Bestehens des Böhmischen Dorfs und beschäftigt sich mit den Themen  Glauben, Vielfalt und Toleranz oder auch Intoleranz. In Videos, Installationen und Fotografien zeigen  11 internationale Künstler  einerseits die  Interaktion zwischen Glaubensfragen und  Identität.  Anderer-

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ausstellung "das leben ist anderswo", chan sook choi, galerie im körnerpark neukölln ausstellung "das leben ist anderswo", maya schweizer, galerie im körnerpark neukölln

seits machen sie auf die weltweite Bedrohung und Zerstörung von Diversität aufmerksam und unterstreichen so das Schutzbedürfnis ihres fragilen Wesens.

Die  Ausstellung „Das Leben ist anderswo“  ist  heute und morgen von 10 – 18 und Sonntag von 10 – 20 Uhr  geöffnet.

Bis zum Hals

Dramatische Szenen spielen sich zurzeit unter der Lohmühlenbrücke ab, die Neukölln mit dem Nachbarbezirk  Treptow verbindet.  Nicht  minder packend war, was

graffiti lohmühlenbrücke neukölln treptow

1987 auf der Lohmühlenbrücke entstand: eine der Schlüsselszenen aus Wim Wen- ders‘  cineastischem  Meisterwerk  „Der Himmel über Berlin“.

Die ganz reale Bedrohung

Fahr- und Motorräder, ausgedientes Mobiliar, Lindenlaub, Hundekacke, Flaschen- scherben, Autoreifen, Zigarettenkippen, Cent-Stücke: Auf Neuköllns Bürgersteigen liegt und steht vieles herum. Ein solcher Anblick ist aber außerordentlich selten:

Doch, natürlich befürchte er, dass irgendwelche Idioten seine Klamotten klauen und im ganzen Kiez verstreuen oder der Wäscheständer umgeschmissen und alles wieder dreckig wird, sagt der Mann. „Aber was soll ich machen? Ich hab keinen Balkon, hier auf dem Bürgersteig ist gerade Sonne und morgen früh muss alles trocken sein.“ Er könne die Sachen ja schlecht nass in den Koffer packen, wenn es ab in den Urlaub im Süden geht. „Eigentlich“, überlegt er mit einem Blick zum Himmel, „macht mir das Aprilwetter aber im Moment mehr Sorgen als die Idioten.“

Verboten ist verboten, basta!

Anfangs konnte man sie nur in Florenz, Bologna und Rom entdecken, später noch in London. Nun war der französische Künstler  Clet Abraham  auch in Berlin, um seine StickerArt-Spuren zu  hinterlassen. Und das tat  er nicht nur in der  historischen  Mitte am  Gendarmenmarkt,  in der  Nähe des Alexanderplatzes oder im Bezirk  Charlotten-

stickerart clet abraham, neukölln, streetart stickerart clet abraham, neukölln, streetart

burg, sondern ebenfalls in Neukölln. Seitdem werden  zwischen Rathaus und Amts- gericht die weißen Balken des Verkehrszeichens 267 einerseits  zersägt und ande- rerseits gleich weggetragen. Die kleinen Kunstwerke von Clet Abraham ändern trotzdem nichts daran, dass die  Einfahrt von der Karl-Marx- in die Schönstedtstraße verboten  ist.

Sie zumindest Radfahrern zu erlauben, war im Dezember 2009 durch Politik statt durch Kunst in greifbare Nähe gerückt: Dem entsprechenden Antrag der Neuköllner Grünen  stimmte erst der Ausschuss für Verkehr und Tiefbau bei seiner Sitzung im Oktober 2009 zu, knapp zwei Monate später wurde dessen Beschluss von der Bezirksverordnetenversammlung bestätigt. Damit sollte die Sache entschieden und alles für ihre praktische Umsetzung in die Wege geleitet sein – könnte man meinen.

Doch das Ignorieren der Einbahnstraßenregelung  in der Schönstedtstraße ist Radfahrern bis heute nicht erlaubt, weil das  Bezirksamt Neukölln den Beschluss der BVV kurzerhand aushebelte. In seinem Schlussbericht teilte es den Mitgliedern der BVV-Fraktionen mit, dass die Schönstedtstraße mit 4 Metern für eine Aufhebung der Regelung zu schmal sei. Auf der linken Fahrbahnseite der Schönstedtstraße gebe es Schrägparkplätze, und zum Ausfahren aus diesen in einem Winkel von 45 Grad sei eine Fahrbahnmindestbreite von 3 Metern erforderlich.  Für den Rad- fahrverkehr entgegen der Einbahnstraßenregelung sei ferner eine Mindestbreite von 1,25 – 1,60 Metern vorgesehen. Da diese Mindestbreiten nicht erreicht würden, könne das  Radfahren in der  Schönstedtstraße entgegen der  Einbahnstraßenregelung aus verkehrlicher Sicht nicht eingerichtet werden, informierte die am 18. Mai 2010 datierte Vorlage zur Kenntnisnahme die gewählten Bezirksverordneten: Damit sehe das Bezirksamt den Beschluss als erledigt an.

=ensa=

Im Morgengrauen

spremberger straße 1 neukölln, deportierte neuköllner: clara stern, 23. alterstransportEs wird kurz vor Sonnenaufgang gewesen sein, als Clara Stern  heute vor genau 70 Jahren  aus dem Wohnhaus in der Spremberger Straße 1 abgeholt wurde und zum letzten Mal durch die Haustür ging. Wahrscheinlich stand ein LKW in der kleinen Straße im Neuköllner Reuterkiez, und vermutlich hatte die 69-Jährige, die in Halle a. d. pflügerstraße 78 neukölln, deportierte neuköllner: louis lewinski, 23. alterstransportSaale geboren worden war, nicht mehr als einen Koffer dabei, als sie auf die Lade- fläche stieg.

Ähnliches wird sich wenig früher nur ein paar Minuten Fußweg entfernt in der Pflü- gerstraße 78 abgespielt ha- ben. Dort hatte der aus Westpreußen stammende, in- zwischen 85-jährige Louis Lewinski gewohnt.

Insgesamt 100 Berliner Juden, unter ihnen – neben Clara Stern und Louis Lewinski – auch Kurt Tucholskys Mutter Doris, wurden am 16. Juli 1942 zum Anhalter Bahnhof im Bezirk Kreuzberg gebracht. Um 6.07 Uhr startete  vom Gleis 1 der  23. Alterstransport. Ziel des regulären Reisezugs, an den zwei 3. Klasse-Personenwagen angehängt waren, war das KZ Theresienstadt, das bei der Wannsee-Konferenz als „Altersghetto für ausgesuchte deutsche Juden“ bestimmt  worden war. Wie man heute weiß, konnte diese propagandistische Verklausulierung mit „Transitlager auf dem Weg in den Tod“ übersetzt werden: Wer nicht in Theresienstadt starb, wurde in der Regel nach Auschwitz weiterdeportiert. Genau 116 Transporte mit über 9.600 Menschen verließen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs den Anhalter Bahnhof.

Clara Stern kam im Altersghetto um; der Todesort von Louis Lewinski wird mit Minsk angegeben. An beide Verschollenen erinnert heute nichts mehr.  Weder vor der Spremberger Straße 1, wo bis zu ihrer Deportation am 4. März 1943 auch Gerda Heymann lebte, noch vor dem Haus in der Pflügerstraße 78, aus dem schon Betty Lewinski am 27. November 1941 deportiert worden war, liegen Stolpersteine.

Aktuell sind es 123 Stolpersteine, die in Neukölln der Opfer des Nazi-Regimes gedenken. Im November wird  Gunter Demnig  wieder nach Neukölln kommen, um weitere Messingtafeln zu verlegen. Ab Donnerstag ist er eine Woche lang in anderen Berliner Bezirken unterwegs.

=ensa=

Ein Fest für Beatles-Fans

Zwei Ereignisse in meinem Leben haben mich derart beeindruckt, dass ich noch heute dankbar bin, diese miterlebt zu haben. Das eine war 1969: Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mondboden,  und ich durfte damals bis nach Mitter- nacht aufbleiben, was mir schon allein deswegen unvergesslich geblieben ist. Das andere war, als  Rainer Bonhof   1974  von rechts auf Gerd Müller passte. Der drehte sich und Deutschland wurde Fußballweltmeister. Beide Ereignisse kann man sich heute auch auf DVD ansehen, doch dies kann niemals an das Gefühl herankommen, damals am Fernseher live dabei gewesen zu sein.

Für ein weiteres Ereignis bin ich leider etwas zu spät geboren. Doch selbst wenn ich – statt 1958 – ein paar Jahre früher zur Welt gekommen wäre, mein Vater mit seinem gänzlich anderen Musikgeschmack hätte mir sicher nicht erlaubt, ein Konzert der beatles-musical "all you need is love", estrel festival center neuköllnBeatles zu besuchen. Ich weiß, jetzt wird die Hälfte der Leserschaft meiner Altersklasse mit dem Lesen aufhören: Viel Spaß weiterhin beim Hören der Rolling Stones. Ich war und bin dagegen ein Beatles-Fan. Und als solcher möchte ich vom Besuch des  Beatles-Musi- cals „all you need is love!“  im  Estrel Festival Center in Neukölln berichten.

Zuerst der Rahmen: Ein großer Saal mit runden Tischen, an denen jeweils vier Personen Platz nehmen konnten. Darauf Sektkübel mit weißen Tüchern. Ein Publikum mit etwa 200 Zuschauern, von denen beatles-musical "all you need is love", estrel festival center neuköllnvermutlich die meisten meine zwei anfangs geschilderten Ereignisse auch miterlebt haben. Und ich, der nach einem Blick in den Raum mit dessen Bestuhlung und auf das Publikum dachte: „Es ist gut, dass die Beatles 1970 aufgehört haben. Man muss zur rechten Zeit den Abgang schaffen.“ (Schade, dass das die Stones-Fans jetzt nicht mehr lesen.)

Schließlich traten sie auf, die vier ame- rikanischen Musiker, die die Songs der Fab Four coverten: Tony Kishman als Paul McCartney, Gary Gibson als John Lennon, Carmine Grippo als Ringo Starr und John Brosnan als George Harrison.  Mithilfe weiterer Protagonisten ließen sie die Geschichte der Beatles Revue passieren.

Es wurden viele unvergessene Songs der Beatles gespielt und zumeist auch gut gesungen. Dabei gewann – wie schon bei den Originalen – der John Lennon-Imitator um Längen gegenüber dem von Paul McCartney. (Sorry Paul, aber darüber brauchen wir nicht diskutieren.) Zu den Liedern wurde auf drei Großleinwänden überwiegend historisches Bildmaterial zu den Beatles eingespielt. beatles-musical "all you need is love", estrel berlin, estrel festival center, foto: stars in concertZwischen den Liedern erzählte ein Hamburger Junge aus der Perspektive eines Roadies von den Anfängen der Beatles in der Hanse- stadt. Ein weiterer Mitspieler, Ian Wood, stellte den Sänger Tony Sheridan dar, der damals in Hamburg von einer jungen, unbekannten Band – nämlich den Beatles – begleitet wurde. Dieser spielte in einer spä- teren Szene außerdem Brian Samuel Epstein, den Manager der Beatles. Beides machte er so lebendig, dass ich ihn auch gerne noch in der Rolle des mich wenig überzeugenden Roadies gesehen hätte. Mit diesem Gedanken und weiteren dramaturgischen Ideen ging ich in die beatles-musical "all you need is love", estrel berlin, estrel festival center, foto: stars in concertPause.

Danach begannen die Musiker mit „Ticket to Ride“, natürlich von John Lennon/Gary Gibson gesungen. Und jetzt fing für mich die Show richtig an: Die Videoleinwände zeigten Szenen von den Auftritten der Beatles 1965 in den USA, mit kreischenden Fans und ohnmächtig gewordenen Mädchen. Dann folgten „A Hard Day´s Night“ und „Help“. Als die vier schließlich in den Phantasieuniformen der Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band auftraten, war es um mich geschehen. Die live gespielten Lieder und die psychedelischen Filme auf den Leinwänden wurden für mich zu einer Einheit. Mir kamen die merkwürdigsten Gedanken, zum Beispiel die Idee eines Konzerts der Beatles-Coverband in den Sgt. Pepper’s-Uniformen mitten in Neukölln bei der Einweihung des neuen Platzes der Stadt Hof nach dessen Umgestaltung.

Dann ging es Schlag auf Schlag, über 30 Songs waren es am Ende: „Yesterday“, „Something“, „All You Need Is Love“, “Ob-La-Di, Ob-La-Da”, “Hey Jude”.  Zu “Twist and Shout” tanzten wir im Stehen und forderten eine Zugabe.  Die kam folgerichtig mit „Day Tripper“, und „Back in the U.S.S.R.“ und „Let It Be“. Hätte ich jetzt ein Feuerzeug gehabt, hätte ich es beatles-musical "all you need is love", estrel berlin, estrel festival center, foto: stars in concertwie die Raucher geschwenkt. So blieb mir nur, das weiße Tuch aus dem Sektkübel zu nehmen und dieses wie ein Lasso über meinem Kopf zu schwingen.

Der mitreißende Schwung dieser zweiten Showhälfte hätte auch in die erste gehört, die leider vergleichsweise behäbig daher gekom- men war. Dabei wäre es ein Leichtes, ihr durch wenige dramaturgische Änderungen mehr Pep zu geben. Hier meine Überlegungen dazu:  1) Zu Beginn: Der Manager-Darsteller kommt auf die Bühne und fragt das Publikum: „Wollt ihr die Beatles hören?“ … „Ich kann euch nicht hören!“ Unter 110 Dezibel „Jaaaaa!“ wird gar nicht erst angefangen. 2) Musik lauter: Leute, das sind die BEATLES! 3) Wenn man ein Tonstudio zeigen will und das Publikum zwei Tonbänder sieht, dann müssen diese sich auch drehen. Es reicht nicht, dass allein eine rote Lampe leuchtet! 4) Das Publikum mehr einbeziehen, zum Beispiel indem man ein paar Takte anspielt und das Publikum raten lässt, welches Beatles-Lied so beginnt. (Für das Inszenieren von Abba-, Johnny beatles-musical "all you need is love", estrel berlin, estrel festival center, foto: stars in concertCash- und Peter Alexander-Revivalshows wäre ich übrigens auch der richtige Ansprechpartner.)

Sie waren auch schon einmal in der Show und haben gänzlich andere Eindrücke davon gewonnen? Nun, es gibt auch Menschen, die behaupten, dass Neil Armstrong nie die Mondoberfläche betreten hat und die Aufnahmen in einer abgedunkelten Halle auf der Erde nachgestellt worden sind. Kann alles sein, auch dass Sie finden, dass der Ringo Starr-Imitator  Carmine Grippo im Beatles-Musical „all you need is love!“ mehr wie Leslie Mandoki ausgesehen hat. Aber über eines lässt sich wirklich nicht diskutieren: Das 2:1 für Deutschland im Endspiel der Fuß- ballweltmeisterschaft 1974. Danke, Gerd Müller!

Das Beatles-Musical „all you need is love!“ gastiert noch bis zum 29. Juli im Estrel Festival Center (Sonnenallee 225, Berlin-Neukölln) und beginnt mittwochs bis samstags um 20.30 Uhr sowie sonntags um 19 Uhr. Karten kosten von 20 bis 48,50 € und sind bei der Ticket-Hotline 030 – 6831 6831 sowie unter  www.stars-in-concert.de  erhältlich.

=Reinhold Steinle=

Verschmäht

Werden öffentliche Gelder in Bauprojekte gesteckt, die niemand braucht, wird schnell der Vorwurf der Verschwendung laut. Besonders mustergültige Exempel für Prasserei finden sich anschließend im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler (BdSt) wieder: So wird in dessen 2011-Ausgabe beispielsweise die Lichtinstallation „Neuköllner Tor“  aufgeführt, die nicht nur teurer als geplant wurde, sondern zudem in puncto Sinnhaftigkeit und Effekt nach Meinung des BdSt zu wünschen übrig lässt.

Guckt man sich in diesen Tagen am Neuköllner Schiffahrtskanal um, scheint ein neuer Schwarz- buch-Aspirant in Sicht. Für insgesamt 1.860.000 Euro wurde die Peripherie der Wasserstraße im Bereich um den S-Bahnhof Sonnenallee aufgepeppt.  Allein 900.000 Euro flossen im Rahmen des Projekts „Neukölln ans Wasser“ in den Neubau der Treppenanlage Sonnenbrücke Nord. Doch wie man sieht: Vom Bedürfnis der Neuköllner, sich auf den  Granitstufen und  Holzpodesten zu verlustieren, ist nichts zu sehen. Selbiges gilt

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für die Gäste des Estrel Hotels und den Biergarten, der mittels einer Investition des Unternehmens umgestaltet wurde, um ihn optisch der Treppenanlage anzupassen.

Ebenso verwaist liegt der neu gepflasterten Gehweg entlang des Kanals am südli- chen Kiehlufer  da, der – wie auch  Egidius Knops‘ Kunstobjekt „Welle“  – Teil einer weiteren  „Neukölln ans Wasser“-Baumaßnahme  ist. Ein  Fördervolumen von insge-

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samt 960.000 Euro umfasst sie. Das gemessen an der Nutzung wohl erfolgreichste Segment ist allerdings eines, das nur sehr am Rande mit Wasser zu tun hat: die Umgestaltung des Schwarzen Wegs. Vom Wasser haben nicht nur die meisten Neuköllner in diesem Sommer schon jetzt mehr als genug.

Einen Überblick über die „Neukölln ans Wasser“-Umbaumaßnahmen verschafft ein Flyer, der im Rathaus ausliegt und hier als pdf-Download bereitsteht.

=ensa=

Was sonst?

Wenn vor einer Kita eine Baumscheibe ist, diese umzäunt und dem Wildwuchs hingegeben oder von den Kindern bepflanzt und gepflegt wird, dann haben die Kinder – wie hier die der EKT Hasenreiter – im wahrsten Sinne des Wortes einen Kin- dergarten  vor  der  Tür.

Neuköllns tierische Saisonarbeiter

Um die 100 Pferde lebten vor rund 100 Jahren in den Stallungen von Kutschen-Schöne und arbeiteten für das Neuköllner Fuhrunternehmen.  Bis vor kurzem waren es  noch  vier. Nun  sind  es nur  noch  drei, denn die 10-jährige  Gisa (r.) erkrankte  im

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vergangenen Monat an einer so schwere Kolik, dass sie eingeschläfert werden musste. Zusammen mit der 17-jährigen Anne bildete sie jahrelang das  Dreamteam an der Spitze des Vierspänners. „Mit den beiden klappte es vorne am besten, und für uns ist es immer wichtig, dass die Pferde gut zusammen laufen und vor allem ruhig durch den in Berlin aufregenden Verkehr gehen“, sagt Martina Rosenthal-Schöne. Zur Erholung wird allen Kutschen-Schöne-Pferden jedes Jahr ab Mitte Oktober eine sechsmonatige Auszeit in der Lüneburger Heide gegönnt.

Noch vor der diesjährigen Winterpause soll das wiehernde Inventar des Unter- nehmens, das bereits in fünfter Generation als Familienbetrieb geführt wird, wieder auf vier polnische Warmblut-Schimmel aufgestockt werden. Im Spätsommer sei damit zu rechnen. Die Zeit werde man sich nehmen, weil die Pferde schließlich nicht nur farblich harmonieren müssten.