Wer an einer Führung teilnimmt, tut das normalerweise, um etwas ge- zeigt zu bekommen und Neues zu erfahren. Umgekehrt haben Stadt-, Kiez- oder auch Museumsführer ge- meinhin an sich den Anspruch, genau diese Erwartungen ihrer Mitläufer zu erfüllen. Was das betrifft unterschei- det sich Beate Rossié nicht von anderen Tourguides. Wenn sie für das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart mit Neugierigen zur historischen Spurensuche auf dem Tem- pelhofer Feld aufbricht, hat sie es allerdings vergleichsweise schwer, den Wünschen gerecht zu werden. Denn von dem, was die Historikerin nahebringen will, ist nicht
mehr viel zu erkennen.
„Der alte Flughafen ist fast vollständig aus dem Gedächtnis der Stadtgeschichte ver- schwunden“, hat Beate Rossié bei ihren Recherchen festgestellt. Kaum jemand wisse noch, dass nicht erst mit dem 2008 ge- schlossenen Zentralflughafen Berlin-Tem- pelhof Luftfahrtgeschichte geschrieben wur- de, sondern dass das Kapitel schon viel früher begann: „Am 8. Oktober 1923 wurde hier auf dem Gelände, das seit 1772 als Exerzierplatz diente, der erste Flugplatz eröffnet.“ Beate Rossié zeigt zum Turm der Kirche am Südstern. Dort habe Zu- fahrtstraße begonnen; sie wurde nach dem Luftfahrtpionier Otto Lilien- thal benannt und existiert noch heute. „Wir stehen jetzt auf dem alten Fahrweg, der zum Hauptgebäude führte“, erklärt die Historikerin und deutet auf zwei mächtige Platanen rechts und links vom Weg. Über 90 Jahre seien die alt und damals zur Begrünung des Vorplatzes ange- pflanzt worden. Der betonierte Pfad und die Kanaldeckel seien weitere Zeitzeugnisse.
Querfeldein über eine Wiese geht es weiter bis zum nächsten Halt. „Wo wir jetzt stehen, war das von 1926 bis 1929 erbaute Hauptgebäude“, sagt Beate Rossié und zeigt alte Fotos, die beweisen, wie schlicht der Bau von außen und wie pompös er innen- architektonisch war. Eine Dachterrasse habe er gehabt, die den Berlinern den Blick aufs Vorfeld und startende oder landende Flug- zeuge ermöglichte. Komplett unterkellert sei das Hauptgebäude gewesen: „Wenn man hier graben würde, würde man also mit Sicherheit auf den Keller stoßen.“ Und auf die Reste unterirdischer Tankanlagen, ergänzt die Expertin, bevor sie schmunzelnd ankündigt, dass man gleich auch endlich wieder etwas vom alten Flughafen sehen könne. „Hier“, sagt sie und macht auf von Moosen und Gräsern bewachsene Beton- und Asphaltflecken aufmerksam, „haben wir noch Teile des Vorfelds.“ Von anderem hingegen sei nichts mehr übrig: vom für damalige Verhältnisse spektakulären Scheinwerferturm, von der Funk- und Telegrafenstation, der Dopplerantenne und dem
als Windrichtungsanzeiger dienenden Rauchofen.
Beate Rossié deutet auf eine Gras- fläche und hält ein Foto in die Runde: „Dort, zwischen den beiden ehema- ligen Rollbahnen, hatte man aus riesigen Lettern auf einer Länge von 90 Metern den Schriftzug BERLIN in den Boden eingelassen.“ Zumindest Reste der Buchstaben müsste man noch finden, vermutet sie: „Deshalb haben wir der Tempelhof Projekt GmbH auch dringend Grabungen an der Stelle empfohlen.“ Angesichts der Tatsache, dass der Vorgänger des ausgedienten Flughafens Tempelhof kaum Spuren hinterlassen hat, meint Beate Rossié, sollte man – Bauvorhaben hin oder her – doch wenigstens die erhalten, die noch da sind.
Beim morgigen „Parkfest auf der Tempelhofer Freiheit“ werden zwischen 10 und 18 Uhr verschiedene thematische Führungen angeboten, auch die zu den „Geschichtlichen Spuren im Alten Hafen“. Alle Führungen starten am Infopavillon nahe dem Haupteingang am Columbiadamm; die Teilnahme ist kostenlos. Wann genau welche Touren starten, war leider in der Pressestelle der Tempelhof Projekt GmbH nicht bekannt.
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