Dafür, dass ein Buch vorgestellt wurde, ist vor- gestern Nachmittag recht wenig gelesen wor- den. Das war mein erstes Fazit, als ich aus der Buchpremiere „Kampfzone Straße – Jugend- liche Gewalttäter jetzt stoppen“ kam. Aber nicht, dass die Präsentation des ersten Werks des Autoren-Duos Fadi Saad und Karlheinz Gaertner deshalb langweilig gewesen wäre.
Fadi Saad, hauptberuflich als Quartiersmana- ger tätig, rannte bis zum Beginn der Ver- anstaltung gestresst hin und her, um Freunde und Familie auf ihre Plätze zu geleiten und dem ein oder anderen Reporter schon mal auf Fragen zu antworten. Karlheinz Gaertner, Hauptkommissar und Dienstgruppenleiter des Polizeiabschnitts 55 in Neukölln, sah dem Treiben vom Rand aus zu. Die Mensa vom Campus Rütli war mit rund 200 Zuschauern sehr gut gefüllt und dem- entsprechend warm. Jugendlich wa- ren nur wenige, das Bild war haupt- sächlich von älteren Herrschaften geprägt, die größtenteils verdächtig nach Lehrern aussahen.
Das musikalische Opening eines Ney-Spielers ließ kurz das Drumherum vergessen, die Begrüßung von Herder-Verlagsleiter Stephan Meyer holte alle ins Thema zurück und leitete zur Ansprache unseres Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky über.
Der ließ sich mal wieder eingehend über den glorrei- chen Werdegang der Rütli-Schule aus, prangerte an, dass das Hauptproblem der Jugendgewalt darin liege, dass niemand zugeben wolle, dass es ein Problem gibt. Denn dann müsse man sich ja unweigerlich der Folgefrage stellen, wie das Problem zu lösen sei. Auch sein schon oft bemühtes Rechenexempel hatte Buschkowsky wieder parat: Mit 220.000 Euro pro Jahr könne man fünf Knackies durchfüttern oder aber 650 Schüler durchs Abi bringen. Die Gesellschaft müsse sich entscheiden. So recht Buschkowsky mit solchen Thesen immer noch haben mag, langsam klingen sie wie eine Platte mit Sprung, die ebenso wenig Veränderung bewirkt. Am Ende verschwand der Bezirksbürgermeister umgehend und hinterließ das Gefühl seiner Unwissenheit über das Buch und die Autoren. Nunja.
Gerd Nowakowski vom Tagesspiegel, der die Veranstaltung moderierte, tat der Stimmung im Saal um einiges besser und sorgte immer wieder für Gelächter – auch mit einer kleinen Aufzählung des nicht unerheblichen Strafregisters, das Fadi Saad als Mitglied einer Jugendgang angesammelt hatte. Saad wiederum lockerte das Publikum auf, indem er sich nicht eisern an Absprachen hielt, sondern ein wenig vor sich hin improvisierte. So kam es denn wohl auch, dass mehr erzählt als gelesen wurde. Dass mehr diskutiert als zitiert wurde und die Veranstaltung so sehr lebendig blieb.
Immer wieder ging es dabei um die Erziehungs- frage und den Punkt, wer wieviel Verantwortung dafür trägt. Auch unter den Autoren gibt es hier Kontroversen: Während Fadi Saad die Lehrer im Boot sieht, ist Karlheinz Gaertner der Meinung, dass – insbesondere vor dem Hintergrund der perso- nellen und finanziellen Schieflage in den Schulen – die Zuständigkeit eindeutig bei den Eltern liegt.
Am Ende sprachen alle angeregt miteinander und es blieb die Hoffnung, dass Menschen wie Fadi Saad und Karlheinz Gaertner wirklich etwas verändern können. Viel Lob bekamen die beiden für das, was sie in ihren Brotjobs machen, allemal: Einige Sozialarbeiter und Gewaltpräventions- experten von der Polizei berichteten kurz von ihrem Arbeitsalltag mit Jugendlichen und untermauerten so das vorher Gesagte. Patentrezepte mit Erfolgsgarantie zum Stoppen der Jugendgewalt wollte niemand geben, aber Empfehlungen wie zum Beispiel die, das Waffengesetz zu ändern und ein generelles Messerverbot zu erheben. Wie das praktisch umgesetzt werden könnte, erfuhr ich leider nicht.
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