Natürlich könnten sie es so machen, wie schon viele Neuköllner Eltern es gemacht haben: Stand die Einschulung des Kindes bevor, verließen sie Neukölln und zogen in weniger verrufene Bezirke mit angeseheneren Schulen, um die Weichen für einen optimalen Start in die Bildungskarrie- re des Nachwuchses zu stellen.
Doch die über 20 Eltern, die schon jetzt zur noch jungen Initiative „Kiez- schule für alle“ gehören, haben an- deres vor: Sie wollen in ihrer ver- trauten Umgebung bleiben und sich zum Wohle ihrer Kinder in eben der für ein besseres Grundschulangebot engagieren. „Ich wohne seit vielen Jahren hier im Kiez“, sagt eine Mutter, meint damit den Schillerkiez und spricht aus, was alle in der Runde denken: Ihre Tochter werde 2012 eingeschult. „Aber wir wollen deshalb weder umziehen, noch wollen wir uns und dem Kind die tägliche Fahrerei zu einer weiter entfernten Schule zumuten!“
Zwei staatliche Grundschulen gibt es im Viertel: die Karl-Weise-Schule, die einen gebundenen Ganztagsbetrieb garantiert, und die Karlsgarten-Grundschule, eine ver- lässliche Halbtagsschule. Bei ersterer habe sie bereits hospitiert und festgestellt, dass die Schule, deren Angebote und die Lehrer okay seien, erzählt die Mutter. Einen großen Nachteil habe sie jedoch auch erkennen müssen: „Da sind wirklich viele Kinder aus bildungsfernen Familien.“ Für ihre Tochter wünsche sie sich definitiv ein Lernen in einem besser durchmischten Umfeld. Ein Vater hört sich die Bedenken, Erfahrungen und Begehren, die die Elternteile in der kurzen Vorstellungsrunde offenbaren, aufmerksam an. Sein Sohn gehe seit einigen Wochen in die Karl-Weise-Schule, berichtet er und verrät schmunzelnd: „Dafür müssen wir uns nun vor der Familie und Freunden ständig rechtfertigen. Insofern hab ich einerseits ein Selbst- verteidigungsinteresse am Thema dieser Initiative, andererseits aber auch ein Anliegen: Schickt eure Kinder zur Weise-Schule!“
Das liegt auch im Interesse von Tanja van Hal, die als Lehrerin dort tätig ist. Eine bessere Durchmischung der Schüler- schaft sei auch seitens der Schule sehr erwünscht, bestätigt sie und erläutert den Anwesenden die Praxis des jahrgangs- übergreifenden Lernens (JÜL), den Ganz- tagsbetrieb, die jüngst an der Schule ein- geführte Begabtenförderung sowie einige der angebotenen Projekte. Ihre Kollegin Anja Kieffer betreut als Erzieherin im Tandem mit der Lehrerin die Klassen. „Ich bin wirklich glücklich über die Initiative und darüber, dass es immer mehr engagierte Eltern im Kiez gibt, die ihre Kinder hier zur Schule schicken wollen“, sagt sie.
Für die, denen das im nächsten Jahr bevorsteht, drängt die Zeit: In der letzten Oktober- und der ersten Novemberwoche muss die Entscheidung für die in 2006 Geborenen gefallen sein und die Anmeldung erfolgen. Auf über ein halbes Dutzend Kinder der versammelten Eltern trifft das zu. Grundsätzlich sei sie von der Karlsgarten-Grundschule positiv überrascht gewesen, erzählt die Mutter eines Fünfjährigen und verweist auf das dort angesiedelte SINUS-Transfer-Projekt, das einen Schwerpunkt auf Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer legt. Nur: „Vom Hort der Schule kann man wirklich nicht begeistert sein.“ Andere stimmen dem Eindruck zu, das Schlagwort „Kinderaufbewahrung“ fällt. Susann Worschech, eine der Urheberinnen der Initiative „Kiezschule für alle“, denkt laut über die Möglichkeit einer Schülerladen-Gründung als Hort-Alternative nach. Doch den auf die Schnelle aus dem Boden stampfen zu wollen, wäre unrealistisch – und den Eltern geht es eindeutig ums Machbare.
Welche Wünsche haben wir an eine Schule? Was sind Ängste und was begründete Bedenken bei der Auswahl der Schule? Wie ist es um die Kooperationsbereitschaft der Schulen bestellt? Wie würden sie beispielsweise auf die Forderung reagieren, eine größere Gruppe von Kindern der Initiative geschlossen in einem Klassen- verband zu beschulen? Das sind die Fragen, die akut zu klären sind, finden sie.
Die Initiative „Kiezschule für alle“ trifft sich am 31. Oktober um 20.30 Uhr wieder; der Ort steht noch nicht fest, kann aber per E-Mail an kiezschule-fuer-alle[ätt]gmx.de erfragt werden. Weitere engagierte Eltern sind herzlich willkommen.
=ensa=
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