Schon die Kirchgasse an sich ist ein Aha- und Oho-Erlebnis für viele: Wenige Minuten Fußweg von der trubeligen Karl-Marx-Stra- ße entfernt, tut sich in ihr dörfliche Idylle mit rumpeligem Kopfsteinpflaster, pittores- ken Häusern, Scheunen und lauschigen
Gärten auf. Letztere sind es, die an diesem Wochenende dafür sorgen, dass mehr Menschen als sonst Neuköllns historisches Herz, das Böhmische Dorf, erkunden. Auch heute laden acht Anwohner der Kirchgasse wieder im Rahmen der Offe- nen Gärten 2011 von 12 bis 18 Uhr zum Entdecken ih-
rer Höfe und grünen Oa- sen ein.
„Anno 1996“ steht über dem Tor der Scheune am nordwestlichen Ende der Kirchgasse. Eine fünfköpfige Gruppe, die gerade neben der güldenen Gießkanne durch den schmalen Torbogen auf das liebevoll gepflegte Grundstück drängt, hofft: „Maybe we can eat another Schmalzstulle there.“ Der Wunsch wird ihnen erfüllt, zusätzlich werden vom Haus- und Hofherrn Getränke und Anekdoten über die Geschichte des Anwesens angeboten, das sich seit Generationen in Familienbesitz befindet. Wie es früher aus-
sah, kann man sich auf einem alten Foto angucken. Wer sich in der vor 15 Jahren restaurierten Scheune genauer umsieht, die heute gerne für Feste genutzt wird, stößt dabei auch auf die wohl einzige Wetteruhr mit einem Keiler auf der Spitze. Lutz Müller-Froelich war 14, als er sie für seinen Vater zum 50. Geburtstag baute. Der sei ein leidenschaftlicher Jäger gewesen, erzählt er. Jahrzehntelang schmückte die Wetteruhr das Dach des Wohnhauses und weckte dort auch den Jagdinstinkt eines Nachbarn: „Der schoss nachts oft mit einem Luftgewehr aus dem Fenster seiner Dach- wohnung auf das Wildschein.“ Die Spuren sind auf
dem metal- lenen Keiler im- mer noch deut- lich zu erken- nen. Um Spuren anderer Art geht es am anderen Ende der Kirchgasse, kurz vor dem Friedrich Wilhelm I.-Denkmal.
Der Garten des 1845 er- bauten Hau- ses ist über einen Seiten- eingang im Wanzlikpfad zu erreichen. Seit 2007 wird das von einer Familie ohne böhmische Vorfahren erwor- bene Gebäude nach Denkmalschutz-Auflagen kernsaniert. Zwei Jahre, schätzen sie, werde es wohl noch dauern, bis wirklich alles fertig ist und das Leben auf einer Baustelle ein Ende habe. Der Garten gleicht bereits jetzt einem verwunschenen, grü-
nen Paradies. Allerdings einem mit einem äußerst ungewöhnlichen Format: „Vorne an der Kirchgasse ist das Grundstück 10 Meter breit, hinten sind es gerade mal eineinhalb Meter.“
=ensa=
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