„Ab sofort reduzierte Preise“ steht seit Tagen auf einigen Fenstern des Café Selig am Herrfurthplatz. Heute Mittag um 12 hat Martina Fandrich, derzeit noch Pächterin des Selig, das Café zum letzten Mal geöffnet, um Gäste zu bewirten. Zu Supersonder- preisen, denn „je mehr abends weg ist, desto besser“, sagt sie und meint damit nicht nur alles, was gegessen oder getrunken werden kann. Auch für das komplette Interieur vom Teelöffel über Tische und Stühle bis zum Kühlschrank werden Abnehmer gesucht. Nur die Theke bleibe drin.
Für Martina Fandrich endet damit ein fünfjähriges Abenteuer als Gastronomin: Sie habe den Kampf um die Verlängerung des bis zum 31.5. laufenden Pachtvertrags mit der Genezareth-Gemeinde verloren. Von verhärteten Fronten spricht sie, von Differenzen, die irgendwo zwischen Emotionalem und Rationalem angesiedelt scheinen, und von einem fruchtlosen Mediationsgespräch im November letzten Jahres. Alles in allem mehr Indizien für ein zerrüttetes Verhältnis als für eine harmonische geschäftliche Beziehung. Denkbar schlecht waren folglich Martina Fandrichs Chancen, als Pächterin die Etablierung des Cafés direkt neben der Genezareth-Kirche fortsetzen zu dürfen.
Da nützte ihr auch eine dicke Kladde voller Unterschriften von Anwohnern und Gästen nichts, die ihr den Rücken stärken wollten. „Die Kirche“, so Martina Fandrich, „wollte aber einen Betreiberwechsel.“ Als erste, durch Missverständliches befeuerte Gerüchte im Kiez began- nen die Runde zu machen, das Café Selig werde geschlossen, reagierte sie ihrerseits durch das Aus- hang einer Mitteilung im Schaukasten des Ge- meindebüros. Doch die scheint eine Spur zu de- zent zu sein, um allge- meine Aufmerksamkeit zu finden.
Eine Frau rüttelt empört an der verschlossenen Tür des Büros, fragt, wo man denn jemanden von der Kirche sprechen könne. Sie wohne im Kiez und habe gehört, dass das Café Selig geschlossen werden soll. „Das ist doch ein Unding“, echauffiert sie sich. Das dürfe doch nicht sein, schließlich habe sich Frau Fandrich so sehr um das Café bemüht. Neben derartigen persönlichen Protesten hat sich auch eine Initiative gebildet, die ihren Unmut durch Zettel zum Ausdruck bringt, die rund um das Epizentrum der Aufruhr angebracht wurden. Außer Wut und Enttäuschung symbolisieren die freilich auch ein gewisses Maß an Naivität und Verpeiltheit. Das Ansinnen der Initiative, sich basisdemokratisch in marktwirtschaftliche Belange einmischen zu können, wird jedenfalls am Betreiberwechsel für das Café Selig nichts ändern.
„Der Traum ist ausgeträumt“, sagt Martina Fandrich mit Tränen in den Augen. Aus- gerechnet jetzt, bedauert sie, wo sich das Café durch die Öffnung des Tempelhofer Feldes im Aufwind befinde und die Flaute vorbei sei. Ihre persönliche Zukunft sieht sie weniger optimistisch: „Insolvenz und Arbeitslosigkeit. Was soll schon sonst kommen?“
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