„Das wird wieder ein teurer Winter“, befürchtet Frau Behnke und meint damit weniger die Heizkosten. „Mit dem Heizen übertreib ich’s nicht“, sagt sie, „aber kalt will ich’s auch nicht haben.“ Wer den 2. Weltkrieg miterlebt hat, dem sei eine tiefe Abneigung gegen das Frieren geblieben. Frau Behnke hat ihn miterlebt und – anders als ihr Mann – überlebt. 83 wird sie nächstes Jahr im Frühling: „Darauf freu ich mich jetzt schon.“ Nicht wegen des dann noch weiter fortgeschrittenen Alters, sondern vielmehr, weil das Frühjahr gemein- hin den Winter vertreibt. Obwohl Frau Behnke auch den mag – eigentlich. Wenn die Begleiterschei- nungen nicht wären.
„Seit vier Wochen lauf ich nur noch um den Pud- ding“, sagt die Neuköll- nerin. Aus der Haustür raus, bis zur Ecke, um die Ecke und um drei weitere Ecken, bis sie wieder vor ihrer Haustür steht. Tag für Tag, weil sie Bewegung braucht, unter Menschen sein will und raus muss, um nicht rammdösig zu werden. Dicke Socken in den Winterstiefeln verhindern, dass die Rentnerin kalte Füße kriegt, Spikes unter den Sohlen reduzieren die Gefahr auszurutschen. Aber die Angst vor einem Sturz ist trotzdem immer dabei. Eine Straße zu überqueren, kommt für die 82-Jährige zurzeit nicht infrage: „Das ist doch lebensgefährlich, und die Schneeberge an den Straßenrändern werden immer höher.“ Eine Freundin von Frau Behnke hat vor einigen Tagen versucht, einen zu überwinden, um zum Discounter zu schleichen. Jetzt liegt sie mit einem Oberschenkelhalsbruch und einer eingegipsten rechten Hand im Krankenhaus. Auch für „einen jungen Hüpfer von 71 Jahren wie sie“ sei das gewiss keine angenehme Sache.
In einen Supermarkt würde Frau Behnke auch gerne mal wieder gehen, doch das verbieten die Straßen, die zwischen dem und ihrer Haustür liegen. „Manchmal lass ich mir Lebensmittel liefern oder von dem netten Pärchen mitbringen, das über mir wohnt. Aber das meiste besorg ich im Spätkauf um die Ecke, auch wenn die Preise da höher sind“, erklärt die Rentnerin. Sie habe zum Glück gut verdient und könne sich die Investitionen in ein Stück Alltagsnormalität leisten. Andere Alte, denen es nicht so geht, tun ihr einfach nur leid. Mit einigen davon ist sie befreundet. „Wir telefonieren häufiger als sonst, wiedersehen werden wir uns aber wohl erst, wenn der Schnee weg ist“, erzählt Frau Behnke. So profitiere außer dem Inhaber des Spätkaufs auch noch die Telekom vom Kapitulieren des Berliner Senats vor dem Winter: „Was haben Wowereit und wie sie alle heißen nach dem letzten getönt, dass sich solche Verhältnisse nicht wiederholen dürfen. Und was ist nun besser? Nüscht! Schämen sollten die sich was!“
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