Gewollt und nicht gekonnt

Vielleicht lag es am Termin, vielleicht am Thema, vielleicht an der Bewerbung der Veranstaltung, vielleicht aber auch am Ort, wo sie stattfand: Im Rahmen der Tage des interkulturellen Dialogs rathaus neukölln, rathausturm neuköllnhatte die Lokale Agenda 21 Neukölln Freitagnachmittag zu einem Gespräch über Werte ins Puschkin-Zimmer des Neuköllner Rathauses eingeladen. Doch Protagonisten für das, was  landläufig als „interkulturell“ bezeichnet wird, blieben der Diskussion in Berlins 160-Nationen-Bezirk fern. Aus dem Dialog zwischen der Minder- und Mehrheitsgesellschaft, den die 2003 gestartete Veranstaltungsreihe anzukurbeln versucht, wurde nichts. Aufschlussreich und konstruktiv war er trotzdem – gewissermaßen auch interkulturell, vor allem aber intergenerativ.

Vier Frauen und zwei Männer aus drei Generationen saßen zusammen, um darüber zu reden, welche Werte ihnen wichtig sind, welche für das gesellschaftliche Miteinander wichtig erscheinen und wie diese bewahrt werden können.

Zur Eröffnung der Diskussion brachte Moderator Christian Kölling das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ins Spiel. Das sei ein enorm wichtiger Wert, sagte er und erntete dafür Zustimmung. „Ich empfinde aber schon ein gewisses Unbehagen“, schränkte eine Frau ein, die sich als Neuköllnerin mit bayrischem Migrations- hintergrund vorgestellt hatte,  „dass bestimmte Dinge nicht angesprochen werden können, ohne in eine bestimmte Ecke geschoben zu werden.“ Auch darüber hätte sie gerne mit Menschen geredet, die ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands – und Bayerns – haben.

Die Frage, ob in anderen Ländern und Kulturen völlig andere Werte wichtig sind und vermittelt werden, macht sich im Puschkin-Zimmer breit – ebenso die Unlust, darüber zu spekulieren. „Der Wert, Teil der Gesellschaft zu sein, ist jedenfalls bei vielen nicht so ausgeprägt“, weiß eine Sozialarbeiterin, die auch beruflich ständig mit der Heraus- forderung konfrontiert ist, Migranten zur gesellschaftlichen Teilhabe zu bewegen. „Ob das klappt oder nicht“, so ihre Erfahrung, „ist vorrangig bildungsabhängig.“ Viele, und das beträfe Deutsche ebenso, seien von der Komplexität überfordert.

Bildung ist ein Wert, sind sich die Diskutanten einig. Plötzlich ist das Wort Hu- mankapital da, und mit ihm die Überlegung, ob der Wert des Menschen nicht viel zu sehr an Bildung festgemacht werde. Wieder fehlt jemand, der den Aspekt aus dem Dunstkreis des hiesigen Werteschemas hieven kann. Der vielleicht sogar noch etwas dazu sagen kann, wie es um universale Werte und ihre unterschiedliche Ausprägung bestellt ist. Wie es sich beispielsweise in anderen Kulturkreisen mit Rücksichtnahme und Respekt verhält. Früher, erinnert sich die Frau mit dem bayrischen Zungenschlag, habe es ständig „Das macht man nicht!“ geheißen. Heute habe sie dagegen das Gefühl, dass jeder macht, was er will. „Diese laute Telefoniererei in der U-Bahn ist zum Beispiel völlig selbstverständlich geworden“, moniert sie. „Ob ich mir die Intimitäten aus dem Leben anderer anhören will, interessiert niemanden.“ Inzwischen sei sie froh, wenn diese Gespräche in einer für sie unverständlichen Sprache stattfinden: „Das stört mich dann wenigstens nicht beim Lesen.“

„Werte“, schlägt einer aus der Runde vor, „müssen besser kommuniziert werden. Vielleicht brauchen wir aber auch eine stärkere Normierung von Werten.“ Das könnte das Miteinander verbessern und gäbe zugleich Kindern und Jugendlichen etwas, woran sie sich erst orientieren und später reiben können.

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