Ein Musterbeispiel mit Wenn und Aber

Wenn von Beispielen gelungener Integration die Rede ist, sind es oft Asiaten, die auf dem Präsentierteller landen.  Martin Hyun, der in Krefeld geborene Sohn korea- nischer Gastarbeiter, ist eines dieser Vorzeigeexemplare. Doch ganz so einfach ist die Sache dann doch nur auf den ersten, oberflächlichen Blick – das wurde im Laufe martin hyun,stadtbibliothek neuköllndes gestrigen Abends, als der 31-Jährige in der Stadtbibliothek Neukölln aus seinem Buch „Lautlos – ja, sprachlos – nein“ las, im- mer deutlicher.

Das autobiografische Werk erzählt von Hyuns Aufwachsen zwischen zwei Kulturen. Im Elternhaus herrschte, wie bei den meisten Einwanderern der ersten Generation, auch noch Jahrzehnte später das Korea der 60er-Jahre. „Da ist die Zeit wirklich stehen- geblieben“, sagt Martin Hyun und klingt dabei eher verständnis- als vorwurfsvoll. „Eigentlich bin ich ziemlich faul“, gibt er zu, doch sein Vater ließ ihm keine Chance, diesen We- senszug auszuleben. Disziplin war neben einer guten Bildung das A und O seiner Er- ziehung. Und obwohl Vater Hyun die deutsche Sprache bis heute nur radebrechend beherrscht, war es ihm äußerst wichtig, dass seine Kinder sie perfekt lernen: „Er hat einfach alles getan, um uns den Weg ins Leben in Deutschland zu ebnen.“ Nur gegen die Natur war er machtlos: Deshalb sieht der Sohn eben nicht wie ein Mitteleuropäer sondern asiatisch aus. „Immerhin“, sagt Martin Hyun grinsend, „hat mein Vater mir seine Naturlocken vererbt.“ Die seien für Koreaner ziemlich ungewöhnlich.

Die Optik hält der Politikwissenschaftler, der seit 17 Jahren deutscher Staatsbürger ist, für eines der größten Hemmnisse bei der Integration. Immer wieder werde er mit der Frage „Wie ist das denn in Korea?“ konfrontiert, wenn es um Vergleiche zwischen Deutschland und der Heimat seiner Eltern geht: „Was soll ich dazu sagen, außer dass ich mit Korea nichts zu tun habe?“ Er kenne Korea kaum, sei hier geboren, hier aufgewachsen und hier zuhause. Sogar kulinarisch hat die Sozialisierung ganze Arbeit geleistet: Vor Beginn der Lesung ließ er eine Tüte martin hyun,taekwondo,werthers echte,stadtbibliothek neuköllnWerther’s Echte durch die Reihen gehen. „Die“, er- klärt er, „geben mir das Gefühl, zuhause zu sein.“

Von seiner Seite aus ist die Sache mit der Integra- tion also klar, doch solan- ge es die nur einseitig gibt, könne von einer ge- lungenen Integration nicht die Rede sein. „Mit diesem allgegenwärtigen Wir-und-die-anderen-Denken funktioniert das einfach nicht“, ist Martin Hyun überzeugt.  Vor allem bei den Ereignissen um den 20. Jahrestag der deutschen Einheit wurde ihm wieder mal klar, wie wenig er dazu gehört: „Wir Deutschen mit Migrationshintergrund haben dabei doch gar nicht stattgefunden.“ Damit sich das gesellschaftliche Bewusstsein und der Identifikationsprozess kommender Zuwanderergenerationen der Realität angleicht, plädiert er für die Einführung des Themas „Integrations- geschichte in Deutschland“ als Schulfach in der Mittelstufe.

Um den Ist-Zustand von Migranten in der Arbeitswelt geht es in seinem zweiten Buch, das gerade lektoriert wird. „Machtlos – ja, mutlos – nein“ soll es heißen und die Chancen oder auch Chancenlosigkeit im öffentlichen Dienst und bei Führungs- positionen behandeln. Das heiß diskutierte Vorhaben über anonyme Bewerbungen gleiche Ausgangspositionen zu erreichen, hält Martin Hyun für „totalen Quatsch“.  Es sei doch nun wirklich egal, ob jemand wegen seines falschen Namens und Aussehens schon in der ersten oder erst in der zweiten Bewerbungsrunde das Nachsehen habe. Einschlägige Erfahrungen sind auch ihm nicht fremd. Um dem Problem beizukommen, schätzt er,  wäre eine harte Quote wesentlich geeigneter.

Auch Neukölln wird in Martin Hyuns neuem Buch eine Rolle spielen. Er lebe zwar in Friedrichshain, sei aber fast täglich in Neukölln: „Was ich hier besonders mag, ist, dass Vielfalt nicht nur gelebt sondern förmlich zelebriert wird.“ Er hält eine hellblaue Jacke hoch, deren Vorder- und Rückseite mit Respekt einflößenden Taekwondo-Symbolen bestickt ist, frotzelt, dass das seine Lebensversicherung für Neukölln sei. Alternativ könnte sich Martin Hyun auch die Aufschrift „Achtung! Ich hab als erster Deutsch-Koreaner in der Deutschen Eishockey Liga und in der deutschen Junioren-Nationalmannschaft gespielt!“ auf den Jackenrücken applizieren lassen. Stimmen würde es, doch dafür, dass er sich als Deutscher akzeptiert fühlt, hat es nicht gesorgt.

=ensa=