Noch ein Jahr, dann hätte das 50-jährige Bestehen des Ladens gefeiert werden können. Doch dazu wird es nicht mehr kommen: Ende September schließt Schmidt’s Büro- und Schulmarkt in der Hermannstraße 89.
„Wo kann ich denn dann meinen Elvis-Kalender bestellen?“, fragt eine Mittfünfzigerin.
Ein alter Mann, Typ Herr, will wissen, ob in der Nähe überhaupt ein anderes Geschäft sei, in dem man richtiges Tesa-Film kaufen kann. Von diesem ganzen billigen Kram, sagt er, halte er nichts. Deshalb besorge er sich jeden Kugelschreiber, Briefumschlag, Klebstoff oder eben die Tesa-Film-Rollen bei Schmidt’s. Eine Erzieherin aus einer Kita in der Nachbarschaft guckt in den immer leerer werdenden Regalen nach Dingen, die zum Basteln verwendet werden könnten. Mit Tonpapier-Bögen in verschiedenen Farben, einigen Pinseln und einer Rolle Seidenpapier verlässt sie den Laden.
Seit ein paar Wochen hat das Einkaufen hier etwas von Leichenfledderei. Leuchtende Zettel mit der Aufschrift 30 % hängen über Schulheften, Tuschkästen, Ringbucheinlagen und den meisten anderen Dingen, bei manchen Artikeln darf man sogar 50 % vom Preis auf dem Etikett abziehen. Was weg ist, ist weg. Lieber die Marge reduzieren als auf Unmengen von Waren sitzen zu blei- ben. Im Gegensatz zu manch ande- rem Räumungsverkauf in Neukölln, bei dem schon kurz nach der Schließung ein neuer Inhaber mit identischem Sortiment weitermacht, ist dieses ein richtiger. Eine echte Geschäftsaufgabe nach der Devise „Besser jetzt als gleich“. Hoffnungen,
dass es in absehbarer Zeit mit den Umsätzen wieder bergauf gehen könnte, haben Inhaber Helmut Horn und seine Frau nicht.
Als sie den Laden übernahmen, habe es noch 10 Schreibwarenhandlun- gen in Neukölln gegeben. „Jetzt sind wir die letzte“, sagt Horns Frau. Eine gegenläufige Entwicklung legten Bil- ligmärkte hin, in denen viele Artikel, die auch „Schmidt’s Büro- und Schulmarkt“ anbot, in minderwertigerer Qualität zu bedeutend niedrigen Preisen zu haben sind. Einer ist schräg gegenüber seit ein Lebensmittel-Discounter diese Filiale aufgab. „Und dann noch die ganzen Shopping- center, die genehmigt werden und uns kleinen Einzelhändlern das Genick brechen.“
Von der 1B-Lage sei die Hermannstraße zur 2C-Kategorie abgesackt. An der Miete habe sich das jedoch leider nicht bemerkbar gemacht: „Immerhin ist sie nicht gestiegen, aber bei sinkenden Umsätzen war sie eben auch nicht länger tragbar.“ Dass die Gewerbefläche schnell neu vermietet wird, bezweifeln die Noch-Mieter. Insgesamt 14 Wohnungen stünden im Haus leer, da käme es auf die zusätzlichen Quadratmeter sicher auch nicht mehr an: „Was der Hauseigentümer vorhat, ist uns wirklich ein Rätsel.“
Unklar ist ebenso die Zukunft der Horns. Um einem Rentner-Dasein zu frönen sind sie noch viel zu jung. Da werde sich schon etwas finden, sind sie überzeugt. „In den letzten 30 Jahren haben wir nur für den Laden funktioniert“, so der Rückblick auf die Zeit in der Hermannstraße, „jetzt bringen wir erstmal unsere Gesundheit wieder auf Trab.“ Sollte es wirklich jemals zu einer Gentrifizierung des Schillerkiezes, zu dem auch die Hermannstraße gehört, kommen – für das letzte Schreibwarengeschäft Neuköllns kämen Kaufkräftige mit der Ambition, die lokale Wirtschaft zu unterstützen zu spät. „Übernächsten Donnerstag noch, dann ist Schluss“, sagt die Frau hinter der Ladentheke und klingt dabei eher erleichtert als wehmütig.
_ensa_
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