Über 50 Jahre lang herrschte seitens der Evangelischen Kirche – zumindest nach außen – Schweigen über das, was von 1943 bis 1945 auf dem Friedhof der Jerusalemsgemeinde und Neue Kirchengemeinde an der Hermannstraße in Neu- kölln geschah:
Über 100 Zwangsarbeiter aus der Sow- jetunion waren in den letzten beiden Kriegsjahren im „Berliner Friedhofslager“ kaserniert, das als einziges deutschlandweit von der Kirche geplant, finanziert und betrieben wurde.
Erst im Jahr 2000, als die Entschädigung von Zwangsarbeitern öffentlich diskutiert wurde, fing auch die Evangelische Kirche an, ihre Rolle im NS-Regime selbstkritisch zu hinterfragen. Von einer Verpflichtung, dem Schicksal der Zwangsarbeiter nachzugehen, sprach Wolfgang Huber, damals Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in seiner Bußtagspredigt: „Wir wollen damit nicht aufhören, bis die Überlebenden Wie- dergutmachung erfahren. Wir sagen es zu uns selbst, aber wir sagen es auch in die Öffentlichkeit: Die Zeit drängt. An jedem Tag sterben ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die Schuld daran, dass sie zur Arbeit gezwungen wurden, trugen unsere Väter und Mütter. Die Verantwortung dafür, das uns Mögliche zur Wiedergutmachung zu tun, liegt bei uns. Vor dieser Verantwortung versagen wir an jedem Tag, den die Wiedergutmachung weiter hinausgeschoben wird. Es gibt nicht nur eine erste, es gibt auch eine zweite Schuld.“
Weitere zehn Jahre später, am 65. Jahrestag der Befreiung des Friedhofslagers durch die Rote Armee, wurde auf dem St. Thomas-Kirchhof ein neuer Ausstellungs- und Informationspavillon als Gedenkstätte für kirchliche Zwangsarbeiter eröffnet. Und es lohnt sich, sich für den mal Zeit zu nehmen. Auf 14 Schautafeln sind die bedrückenden Erinnerungen zehn ehemaliger Zwangsarbeiter an den Lebens- abschnitt als Zwangsarbeiter festgehalten, die eindringlich vom Krieg und der Arbeit auf den Friedhöfen erzählen. Außerdem gibt Filme, Tondokumente und Kopien kirchlicher Dokumente zu sehen.
Der Pavillon auf dem St. Thomas-Kirchhof in der Hermannstraße 79 – 85 ist noch bis Oktober mittwochs und samstags von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet. Weitere Infos hier!
Zum Vertiefen des Themas ebenfalls sehr lesenswert: der Vortrag von Dr. Christian Homrichhausen anlässlich der Tagung der Berliner Initiative zur Erforschung der NS-Zwangsarbeit.
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